Neue Strukturen

Seit 1999 betreibt die Deutsche Bank eine umfassende Transformation ihrer weltweiten IT und Operations. Ziel der Veränderungen: weitreichende Kostensenkung und verstärkte Ausrichtung der Technologie auf die spezifischen Bedürfnisse der verschiedenen Geschäftsbereiche. Hermann-Josef Lamberti, Mitglied des Vorstands der Deutschen Bank, über die Elemente der Veränderung und die Auswirkungen auf die internationale Organisation.




McK: Herr Lamberti, in Banken gehört IT zu den wesentlichen Effizienztreibern und damit auch zu den kritischsten Elementen eines Optimierungsprogramms. Sie haben vor fünf Jahren begonnen, Ihre Technologie umzustellen. Wo lagen die größten Hürden?

Hermann-Josef Lamberti: Zunächst einmal waren die Strukturen und Verantwortlichkeiten nicht sauber getrennt. Der damalige IT- und Operations-Bereich Global Technology Services war so aufgestellt, dass er zum Teil Profit Center, zum Teil aber auch Cost Center war. Außerdem war er der interne Dienstleister für die Bank, den jeder Bereich nutzen musste – ohne jedoch eine Budgetkontrolle darüber zu haben. Einmal im Jahr, bei der Verabschiedung des Jahresplans, schlug die IT ein Top-down-Budget in Milliardenhöhe vor, statt dass die Geschäftsbereiche ihre Investitionsschwerpunkte auf Basis ihrer strategischen Ausrichtung selbst bestimmten. Dies führte unter anderem zu Fehleinschätzungen der Kostensituation.
Also trafen wir zwei Grundsatzentscheidungen. Wir wollten einen organisatorisch klar aufgestellten Profit-Center-Bereich aufbauen, der einen wesentlichen Teil der Operations als eigenes, gewinnorientiertes Geschäft führen sollte, und zwar klar getrennt von den Geschäftsbereichen. Zudem, und darauf aufbauend, haben wir entschieden, die Global Technology Services zu zerlegen, den Geschäftseinheiten zuzuordnen und ein Modell aufzubauen, in dem sich IT und Operations an den Bedürfnissen des jeweiligen Geschäftsbereichs orientieren. Wir nennen das Business- Alignment.

Das klingt nach größeren internen Umbauten.

Ja, wir mussten zunächst völlig neue Strukturen schaffen: erstens eine veränderte Aufbauorganisation des Application Developments, also unserer Anwendungsentwicklung, zweitens einen klar definierten Infrastrukturbereich und drittens eine neue Einheit, die als interner Dienstleister bankübergreifende Funktionen wie etwa Einkauf oder Facility Management, aber auch Kreditkartenmanagement, Point of Sale, Zahlungs- und Wertpapierabwicklung übernahm – ein Bereich mit mehreren tausend Mitarbeitern. Danach galt es, eine IT-Governance-Struktur aufzubauen, die das Budget in zwei Teile trennt. Wir unterscheiden hierbei zwischen Change the Bank (CTB) und Run the Bank (RTB). Während das RTB-Budget für die Aufrechterhaltung des laufenden Betriebs vorgesehen ist, ermöglicht der CTB-Teil Neuinvestitionen, also Changes, für die Weiterentwicklung unserer IT.

Warum diese Trennung?

Man muss die beiden Kostenblöcke unterschiedlich angehen, um mehr Spielraum für neue IT-Projekte zu gewinnen – ohne das Gesamtbudget weiter zu erhöhen. Unser Ziel war es, die RTB-Kosten jährlich um fünf Prozent zu reduzieren und das CTB-Budget um 25 bis 30 Prozent zu steigern. Wir haben beides erreicht und konnten im RTB-Bereich übrigens nicht nur die Kosten senken, sondern sogar ein gestiegenes Transaktionsvolumen managen. Die Produktivitätssteigerungen bei RTB dienen so als Finanzierungsquelle für neue Investitionen im Bereich CTB. Der Prozess dorthin erforderte allerdings wieder tiefgreifende Änderungen: Das Business sollte ja eigenständige Investitionsentscheidungen über das CTB-Budget treffen können. Das war natürlich manchmal schwierig, weil auch die IT eine Meinung zu bestimmten Projekten oder Implementierungen hat. Um dies zu berücksichtigen, haben wir das IT-Investment Committee als Steuerungsgremium für alle neuen Projekte installiert. Dort sitzen die Projektmanager der Geschäftsbereiche, die COO-Vertreter für die übergreifende Kostenkontrolle und die IT-Vertreter zusammen. Diese Struktur führt dazu, dass die Geschäftsbereiche über ihre Investitionsvorhaben selbst bestimmen können – und die IT als informierter Auftragnehmer beteiligt ist.

Theoretisch. Neue Strukturen sind noch kein Garant für Erfolg.

Die Grundvoraussetzung für Erfolg ist jedoch komplette Kostentransparenz. Heute können wir bis zum einzelnen Mitarbeiter genau sehen, wer wem was berechnet. Früher verlief dieser Allokationsprozess zwischen IT, anderen Zentralfunktionen und den Geschäftsbereichen in mehrere Richtungen und war eher ein Nullsummenspiel. Sobald jemand ein Budget änderte, veränderten sich auch die Allokationen zu den anderen Bereichen. Die haben dann ebenfalls ihre Budgets angepasst, und am Ende waren wir wieder in der gleichen Situation wie am Anfang. Um diese Vernebelung zu beenden, haben wir ein neues Modell eingeführt: Alle Geschäftsbereiche und Funktionen dürfen sich nur in klar definierter Art und Weise wie in einem Wasserfall nach unten verrechnen.

Kostentransparenz senkt noch nicht die Kosten. Was haben Sie konkret eingespart?

Zwischen 2001 und 2003 etwa eine Milliarde Euro. Das war deutlich mehr als zunächst erwartet. Übrigens kamen diese Einsparungen zum größten Teil aus dem RTB-Budget. Im Bereich CTB sind die Investitionen wie geplant gestiegen und machen jetzt etwa 30 Prozent unseres Gesamtbudgets für IT aus.

Einsparungen in dieser Größenordnung lassen sich vermutlich nicht allein durch Budgetschnitte erreichen. Wodurch noch?

Durch eine Kombination vieler einzelner Maßnahmen. Entscheidend war zu Beginn ein sauberer Masterplan. Ein wesentlicher Ansatzpunkt darin: der massive Spin-off nicht zentraler Funktionen. So haben wir beispielsweise unsere ehemalige Tochtergesellschaft Emagine mit einem externen Partner, GFT Technologies, zusammengeführt. Die Bank kooperiert nun also mit der GFT als Dienstleister für Anwendungsentwicklungen. Außerdem haben wir den Bereich RTB systematisch schlanker gemacht. Hier spielt auch Outsourcing eine wesentliche Rolle. Wir haben uns dabei auf die bestehende Support-Organisation der Bank konzentriert. Viele Funktionen waren ja bereits unter dem Dach dieser internen Einheit gebündelt, die sich um bankübergreifende Funktionen kümmerte – was für mich immer ein guter Indikator war, dass man solche Funktionen auch nach außen geben könnte. Ein Beispiel dafür ist auch DB Payments, unsere operative Einheit für die Zahlungsverkehrsabwicklung im Retail-Geschäft, die wir kürzlich an die Deutsche Postbank verkauft haben.

Wie weit sind Sie beim Outsourcing gegangen?

Wir betrachten die Auslagerung auf drei Ebenen: Infrastruktur, Geschäftsprozesse und so genannte Commodity-Banking-Prozesse.
Die erste Ebene betrifft die reinen Basis-Infrastrukturdienste. Dazu gehört etwa der Betrieb unserer Rechenzentren. Inzwischen ist es die Aufgabe unseres Outsourcing-Partners, innerhalb eines vorgesehenen Kostenrahmens die Verfügbarkeit zu maximieren und Rechnerleistung nach einem hoch entwickelten Preismodell zur Verfügung zu stellen. Das war unter anderem notwendig, weil wir mittelfristig ohnehin die physische Infrastruktur hätten erneuern müssen und nach dem 11. September 2001 unsere Konzepte im Business Continuity Management überarbeiten wollten. Auch unsere kontinentaleuropäischen Data Center etwa in Italien, Spanien, Luxemburg und der Schweiz haben wir bei unserem Outsourcing-Partner integriert.
Die nächste Ebene bilden die Geschäftsprozesse, damit sind wir beim Thema Business Process Outsourcing. Dabei geht es nicht um Kernprozesse der Bank, sondern um unterstützende Prozesse wie beispielsweise den Einkauf, Human-Resources-Systeme oder das Facility Management. Für unseren Geschäftserfolg oder unsere Wettbewerbsfähigkeit ist es nicht entscheidend, derartiges Prozesswissen im eigenen Haus zu behalten.
Als dritte Ebene kämen Bankprozesse in Frage, die einen Commodity-Charakter haben. Das bedeutet, dass sie weder einen wettbewerbsunterscheidenden Faktor noch eine sehr hohe Profit-Marge besitzen, obwohl sie im Grunde typisches Bankgeschäft sind, wie etwa die Wertpapier- oder Zahlungsabwicklung im Retail-Bereich. Ich glaube, dass auch solche Prozesse auf Dauer ausgelagert werden können und dass sich diesem Konzept eine Vielzahl anderer Marktteilnehmer anschließen wird. Wir sprechen hier von der Industrialisierung des Bankgeschäfts.

Wer Outsourcing betreibt, will zuerst einmal Geld sparen.

Natürlich. Kostensenkung ist ein großer Entscheidungsfaktor. Wir verfolgen kein Outsourcing ohne signifikanten Kostenvorteil. Das Minimum war für uns immer 20 Prozent. Gleichzeitig müssen sich aber auch Qualitätsfortschritte erzielen lassen. Insgesamt zielen unsere Bemühungen darauf ab, die Komplexität zu reduzieren und die Kosten in den Griff zu bekommen.

Wie lässt sich die Performance-Orientierung für ausgelagerte Prozesse sicherstellen?

Für Funktionen, über die Sie keine direkte Kontrolle mehr besitzen, gibt es zwei Möglichkeiten: Wettbewerb und Transparenz.
Wettbewerb bedeutet: Sie gehen in offene Ausschreibungen, so dass Sie wirkliche Marktpreise erzielen können. Beim Thema Infrastruktur bedeutet das zum Beispiel, dass Equipment nicht nur von einem Hersteller, sondern von jedem Anbieter geliefert werden kann. Wir versuchen inzwischen immer, für jeden Bereich ein Portfolio von mehreren Providern zu haben. Transparenz, oder auch Open Book, heißt, vollen Einblick in die Kostensituation zu haben, aber auch in die Produktivität und in die Performance-Indikatoren für jeden Prozess.

Planen Sie auch Offshoring-Projekte?

Das Thema Offshoring erreicht jetzt auch die so genannten White-Collar-Jobs. Der Bereich der IT-Anwendungsentwicklung gehört sicher zu den ersten, die hiervon betroffen sind. Da wir eine globale Bank sind, mit viel Erfahrung etwa bei der Softwareentwicklung in Indien, führen wir bereits Projekte mit Offshore-Spezialisten durch. Aus meiner Sicht hat diese Welle gerade erst begonnen, und wir bewegen uns mit ihr.

Wie weit?

Wir gehen davon aus, dass sich Kundendaten im weitesten Sinne nicht offshoren lassen. Nicht etwa, weil die Technik nicht funktionieren würde, sondern weil sich aufgrund möglicher rechtlicher und politischer Unwägbarkeiten in Offshoring-Ländern die Sicherheit dieser Daten unter Umständen nicht immer gewährleisten lässt. Was würden unsere Aufsichtsbehörden sagen, wenn die Daten deutscher Banken über deutsche Kunden etwa in China geführt würden?

Was sind aus Ihrer Sicht in Bezug auf die Entwicklung der IT die entscheidenden Themen in den nächsten zwei, drei Jahren?

Unser Zukunftsszenario hat drei Eckpunkte: den Übergang zu einem Value Contribution Model, die Trennung von Distribution und Produktion und den Fokus auf Kundenorientierung. Bei unserem Value Contribution Model oder auch Wertbeitragsmodell geht es darum, IT-Investments im Sinne ihres wirklichen Beitrags zur Wertschöpfung zu messen. Wir haben hier bereits erste Ansätze entwickelt. Zudem werden wir die Trennung zwischen Vertrieb und Produktion noch klarer ziehen müssen.
Und schließlich brauchen wir einen neuen Schub an Kundenorientierung. Der kann weder durch neue Mitarbeiter, noch durch das hundertfünfundzwanzigste Training zum Thema Cross Selling erfolgen, sondern allein durch die Technik. Nur die Technologie kann meines Erachtens nach dabei helfen, neue Kunden zu erschließen oder aber bestehendes Kundenpotenzial besser auszuschöpfen. Das macht für mich dann auch die nächste Runde der IT-Evolution aus. Ich bin fest davon überzeugt, dass diese unmittelbar bevorsteht.

Hermann-Josef Lamberti

ist seit Oktober 1999 Mitglied des Vorstands der Deutsche Bank AG. Als Chief Operating Officer und Chief Information Officer ist er für das Kosten- und Infrastrukturmanagement, die Informationstechnologie und Operations, das Gebäude- und Flächenmanagement sowie für den Einkauf der Deutsche-Bank-Gruppe weltweit verantwortlich.
Zuvor war Hermann-Josef Lamberti 14 Jahre lang für die IBM tätig.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.