Kleines Dorf ganz groß

Jühnde, ein Dorf in Süd-Niedersachsen, will seine gesamte Energie aus Pflanzen und Gülle produzieren. Ein Pilotprojekt, das nur aufgrund von Subventionen funktioniert, aber dennoch weltweit Modell stehen soll. Und eine Geschichte über Idealismus, Begeisterung, Kuhmägen und Geld.




Es begann mit einem Bierdeckel, doch davon später. Es ist Samstagmorgen, neun Uhr: Der Januarwind jagt über Jühnde hinweg und trägt den Geruch von Vieh mit sich. Jägerzäune und Gartenzwerge wackeln. Es ist eiskalt. Eckhard Fangmeier schiebt den Reißverschluss seiner Jacke hoch. Er zieht von Haus zu Haus, klingelt, bittet um ein Gespräch. Und Jühnde scheint ein Ort der Barmherzigkeit zu sein. Niemand lässt den Mann in der Kälte stehen, überall bittet man ihn selbstverständlich in die gute Stube. Dort versinkt er in plüschigen Sofas, wird mit Kaffee, Apfeltorte oder Bier verwöhnt. Aber Fangmeier hat ja auch etwas zu bieten. Der 46-jährige Physiker vertritt die Gemeinde in ihrem ganz großen Projekt. Jühnde will das erste Bioenergiedorf Deutschlands werden.

Motivation und Mastschwein

Bislang ist im Ort zwar noch kaum etwas davon zu sehen. Lediglich am Dorfrand stecken Holzpflöcke ein 23.500 Quadratmeter großes Baugrundstück ab; die Muttererde ist beiseite geschoben – mehr nicht. Doch sobald das Wetter besser wird, wollen die Jühnder Bauarbeiter-Kolonnen bestellen. Bis Herbst 2005 sollen gleich hinter dem gelben Ortsschild eine Biogasanlage und ein Holzhackschnitzelheizwerk stehen. Die Produkte: Wärme und Strom.

Jeder Haushalt im Dorf soll seine Heizung künftig über ein Nahwärmenetz direkt an die dorfeigene Anlage anschließen. Erstmals soll ein ganzer Ort seine Wärme aus erneuerbaren Energien ziehen. Eine Premiere, bei der die Jühnder nicht nur als Kunden, sondern auch als Teilhaber und Produzenten fungieren. Wer Öko-Strom beziehen will, muss mit dem Anschluss an die Anlage auch Anteile an der Betreibergenossenschaft zeichnen. Die örtlichen Land- und Forstwirte liefern die Energiestoffe.

Während die erzeugte Wärme in Jühnde bleiben wird, soll die Elektrizität – rund 3,8 Millionen Kilowattstunden jährlich – an den örtlichen Energieanbieter EAM Energie AG verkauft werden. Mit dem Erlös finanziert die Gemeinde einen Großteil des Projektes. Ihren eigenen Verbrauch, insgesamt zwei Millionen Kilowattstunden im Jahr, werden die Jühnder wie bisher beim Anbieter ihrer Wahl beziehen.

Jühnde, knapp 20 Kilometer westlich von Göttingen gelegen, hat 780 Einwohner, eine Kirche, einen Friedhof, Kindergarten, Krämerladen und eine Bäckerei, rund 900 Kühe, 1400 Schweine, 850 Hektar Wald, 1000 Hektar Feld und Wiese. Die Volksbank öffnet drei Stunden die Woche, der Gasthof schenkt an vier Abenden aus. Die meisten Bürger arbeiten im Umland. Das Vereinsleben ist rege.

Die Idee mit der Biogasanlage stammt aus der Stadt. Ein Team aus Wirtschafts-, Natur- und Sozialwissenschaftlern vom Interdisziplinären Zentrum für Nachhaltige Entwicklung der Universität Göttingen (IZNE) hat das Projekt erdacht. „Wir haben uns gefragt: ‚Wie können wir die Ressourcen vor der Haustür umweltfreundlich einsetzen? Wie können wir Menschen dazu bewegen, sie zu nutzen? Und wie kann Umweltschutz ökonomisch rentabel gestaltet werden?‘“, erzählt die Projektkoordinatorin Marianne Karpenstein-Machan. „Wir wollten ein Dorf beim Bau einer Biogasanlage beraten und es über einen langen Zeitraum wissenschaftlich begleiten. Das sollte ein Modell für andere sein.“

Mit der Idee und einem noch vagen Konzept zogen die Wissenschaftler über Land. Sie hielten Vorträge vor 21 Dorfversammlungen, 17 konnten sie für ihr Projekt begeistern. „Motivation und Mastschwein“ wurden schließlich zu Kriterien für die Auswahl: Würden die Landwirte Gülle und Pflanzen als Treibstoff für die Anlage liefern? Würden die Dorfbewohner investieren? Auch dann mitmachen, wenn die Öko-Wärme teurer werden sollte als die herkömmliche Gas- oder Ölheizung?

Wie die Verdauung einer Kuh

Auf der Suche nach Antworten verschickte das IZNE Fragebögen an alle Dorfbewohner. Das war im Frühjahr 2000. Und da kommt der Bierdeckel ins Spiel und mit ihm Eckhard Fangmeier: „Kurz nachdem das IZNE im Dorf war, saß ich mit Tennisfreunden beim Bier. Wir fanden die Idee spannend, unsere eigene Lebenswelt zu gestalten. Es reden ja immer alle von Umweltschutz, aber keiner tut was. Auf einem Bierdeckel haben wir unseren Entschluss besiegelt: Wir machen uns stark für das Projekt.“

Die Fragebögen der Wissenschaftler hat Fangmeiers Taskforce bei den Jühndern persönlich eingesammelt. „Das Interesse war da, wir mussten nur die Trägheit der Menschen überwinden.“ Im Oktober 2001 wurde Jühnde vom IZNE zum Bioenergiedorf auserwählt. Und 780 Dörfler machten sich auf den Weg in die Zukunft.

Wie die aussieht, erklärt Hans-Erich Tannhäuser, der verantwortliche Ingenieur, vor einem liebevoll gebauten Miniatur-Pappmodell im Projektbüro. Tannhäuser redet so, dass ihn auch Laien verstehen. Darin hat er Übung: Unzählige Male hat er den Jühndern in einfachen Worten die Technik nahe gebracht. „Das Holzhackschnitzelheizwerk ist trotz des langen Namens im Prinzip nicht mehr als ein Holzofen.“ Als Energiestoffe für die Biogasanlage werden Gülle vom Schwein und vom Rind, außerdem Mais, Leinsamen, Gräser oder Unkraut dienen. Im Fermenter, einem Behälter von 16 Metern Durchmesser und 18 Metern Höhe, verquirlt ein Rührwerk die Zutaten bei 37 Grad. Archebakterien, die sich in der Brühe zu Hause fühlen, zerlegen die Stoffe und produzieren Gase, vornehmlich Methangas (CH4) und Kohlendioxid (CO2). Zweimal am Tag gibt es Nachschub. Die vergärten Substanzen fließen ab, Gase steigen auf. „An sich funktioniert es genauso wie das Verdauungssystem einer Kuh“, sagt Ingenieur Tannhäuser.

Die Gase strömen in ein Blockheizkraftwerk und treiben dort einen Motor an, der – ähnlich wie bei einem Fahrrad-Dynamo – über einen Generator Elektrizität erzeugt. Das Abfallprodukt ist Wärme. Ein Wärmetauscher führt die Hitze des laufenden Motors und seiner Abgase ab. Wasser speichert die Wärme, fließt mit rund 80 Grad durch die Rohre des Nahwärmenetzes in die Heizkörper der Häuser und erhitzt auch noch das Duschwasser.

Die Biogasanlage wird das ganze Jahr laufen, ihre Energie den Grundbedarf der Dorfbewohner decken. Der Holzofen dagegen soll nur im eisigen Winter zusätzliche Wärme liefern. Fällt beides aus, springt ein Öl-Ofen an – dieses Notfall-Aggregat mit 25.000 Litern Fassungsvermögen ist das einzige Zugeständnis an das fossile Energiezeitalter. „Vielleicht brauchen wir den Öl-Ofen nie“, verteidigt Tannhäuser das Relikt. „Und wenn, werden im Jahr sicher nicht mehr als 25.000 Liter verbraucht.“ Ein Bruchteil der 350.000 Liter Öl, die durch die Anlage in den Jühnder Haushalten insgesamt eingespart werden sollen. Der niedrigere Ölverbrauch reduziert schädliches Kohlendioxid trotz der Methanverbrennung. „Wir rechnen damit, dass jeder Jühnder, der mitmacht, seinen CO2-Ausstoß um zirka 60 Prozent verringert“, sagt Tannhäuser. Im Schnitt entfallen pro Jahr 10,4 Tonnen CO2 auf jeden Bundesbürger. Die Jühnder Bio-Aktivisten seien bald nur noch für 4,3 Tonnen pro Kopf verantwortlich.

Fehlt nur noch das Geld

Werden die Pläne wahr, übertrifft Jühnde selbst die ehrgeizigen Klimaschutzziele der Bundesregierung. Um die CO2-Belastung zu reduzieren, sollen hier zu Lande verstärkt erneuerbare Energien eingesetzt werden – Wind- und Wasserkraft, Solarenergie, Geothermie (Nutzung von Erdwärme) und Energie aus Biomasse, also auch Biogas. Zurzeit tragen erneuerbare Energien etwa zehn Prozent zum Strom- und rund drei Prozent zum gesamten Energieverbrauch in Deutschland bei. Bis zum Jahr 2010 sollen diese Anteile auf 12,5 beziehungsweise mindestens 4,2 Prozent steigen. Nach Schätzungen des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit könnten im Jahr 2010 durch die Nutzung regenerativer Energien rund 80 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden.

Jühnde will dann ganz vorn mit dabei sein, und seit einigen Monaten dürfen die Dörfler tatsächlich hoffen. Auf den Bierdeckel-Beschluss und die Phase der Euphorie folgte nämlich erst einmal Ernüchterung. Und das hatte weniger mit mangelnder Zuversicht als mit Zahlen zu tun. Es ging ums Geld. Das Konzept der Universität war nicht bis ins Detail durchgerechnet. Oder aber die Wissenschaftler haben die Rechnung auf den Dorfversammlungen nicht exakt aufgemacht. Der Frage danach weichen heute alle aus. Sicher ist: Niemandem in Jühnde war klar, wie teuer die saubere Energie werden würde. Nirgendwo stand, dass das Projekt mehrere Millionen Euro kosten und wo das Geld herkommen sollte.

Bis 2002 wurde das Vorhaben noch über das IZNE finanziert. Danach gründeten Fangmeier und 46 andere Biogas-Fans eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts für die Planung. Grundrisse und Aufrisse der Anlage mussten gezeichnet, Konzepte erstellt, Wirtschaftlichkeitsrechnungen durchgeführt werden. Mehrere Dutzend Bürger organisierten sich in Arbeitsgruppen, machten sich schlau über Nahwärmenetze, Heizwerke und Energiepflanzen. Allein die zweijährige Planungsphase verschlang rund 400.000 Euro. 75 Prozent davon zahlte die dem Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft unterstellte Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V. (FNR), 15 Prozent steuerte Leader+ bei, eine europäische Initiative für den ländlichen Raum. Die restlichen 40.000 Euro brachten die Dorfbewohner selbst auf.

Doch das war nur der Anfang. Wie sich zeigte, wurden für den Bau der Anlage und ein 5600 Meter langes Nahwärmenetz 5,2 Millionen Euro gebraucht. Immerhin: Im Juli 2004 sagte die FNR eine Investitionsförderung von 1,32 Millionen Euro zu, der Landkreis Göttingen spendierte 100.000, das Land Niedersachsen 96.000 Euro. Fehlten immer noch mehr als 3,68 Millionen Euro. Das Projekt stockte.

Es hätte nicht viel gefehlt, und Jühnde wäre geblieben, was es war: ein Dorf unweit von Göttingen. Seit dem 1. August 2004 ist Jühnde wieder Modell – mit den besten Aussichten, tatsächlich das erste deutsche Bioenergiedorf zu werden. Die Novelle des Gesetzes für Erneuerbare Energien (EEG) brachte den Umschwung: Mit dem Inkrafttreten des EEG, das die Abnahme und Vergütung von Strom aus erneuerbaren Energien regelt, war das Projekt gesichert.

Jühnde heizt, Deutschland zahlt

Seit August vergangenen Jahres sind die örtlichen Energiekonzerne verpflichtet, Strom aus nachwachsenden Rohstoffen abzunehmen und mit festgelegten Sätzen zu vergüten – der Preis wird den Anlagebetreibern 20 Jahre lang garantiert. Ein Glücksfall für Jühnde. Während der örtliche Energieanbieter die Kilowattstunde Strom an den Börsen zurzeit für 2,9 bis 3,8 Cent erwerben kann, muss er für die Kilowattstunde aus Jühnde 17,38 Cent bezahlen. Günther-Michael Birmes, der Sprecher der örtlichen EAM Energie AG, bleibt dennoch gelassen. Warum auch nicht? Für den Energieversorger bedeutet der teure Öko-Strom keine finanziellen Einbußen. Die Mehrkosten werden bundesweit auf alle Stromabnehmer umgelegt.

So will es die Regierung. Mit dem Atomausstieg müssen langfristig neue Wege für die Energieversorgung gefunden werden. „Und die Entwicklung erneuerbarer Energien ist eine Investition in die Zukunft, die vernünftig und relativ überschaubar ist“, findet Holger Krawinkel, Fachbereichsleiter Bauen, Energie und Umwelt bei der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. Für den einzelnen Bürger steige der Strompreis durch die Subvention der verschiedenen regenerativen Energien nur minimal: Bei einem derzeitigen Anteil von etwa zehn Prozent am gesamten Strom verbrauch mache das gerade einmal 0,6 Cent pro Kilowattstunde aus. „Das sind für einen Zwei-Personen-Haushalt nicht einmal zwei Euro im Monat“, rechnet Krawinkel vor. „Und wenn sich die erneuerbaren Energien erst einmal etabliert haben, werden sie noch billiger, im Gegensatz zu den fossilen Brennstoffen – die werden immer knapper und teurer.“

Für Jühnde ein gutes Geschäft

Für Jühnde rechnet sich der Öko-Strom heute schon. Die 3,8 Millionen Kilowattstunden, die das Dorf jährlich produzieren will, waren über Nacht 660.440 Euro wert, und das für die nächsten 20 Jahre. Das würde reichen, um die Anlage zu amortisieren, Kredite für die erforderlichen Investitionen waren in Reichweite gerückt. Am 15. Oktober 2004 wurde die Betriebsgesellschaft „Bioenergiedorf Jühnde eG“ gegründet.

Der eingetragenen Genossenschaft kann jeder beitreten, Jühnder oder nicht, Wärmekunde oder nicht. 500 Euro kostet ein Anteil, doch Eckhard Fangmeier hofft auf Investoren, die ein Vielfaches zeichnen. Denn für den Kredit in Millionenhöhe verlangen die Banken vom Bioenergiedorf eine halbe Million Euro Eigenkapital. Immerhin: 400.000 Euro sind bereits zusammen. Fangmeier rollt den Dorfplan aus: Jeder grüne Punkt steht für einen Wärmekunden, 130 von 200 Haushalten haben sich schon für das umweltschonende Heizkonzept entschieden. Damit ist die Hürde genommen, das Konzept rechnet sich – und sie alle machen mit: der Bürgermeister und die Bauern, die Lehrer und die Landwirte im Dorf, die Jungen wie die Alten.

Allein an diesem Samstagmorgen hat Fangmeier drei neue Sticker aufgeklebt. Jeder Jühnder, der einen Anschluss legen lässt, muss mit drei Anteilen à 500 Euro der Genossenschaft beitreten. Zudem werden Anschlusskosten fällig: 1000 Euro für eine Anschlussleistung bis 30 Kilowattstunden; 1500 Euro für die Anschlussleistung bis zu 70 Kilowattstunden und 2000 Euro für jede stärkere Nutzung. Das Wärmenetz kostet jeden Haushalt außerdem eine Pauschale von 500 Euro pro Jahr und 4,9 Cent pro Kilowattstunde Wärmeleistung. Ob die Dörfler damit finanziell besser dastehen als bisher, hängt letztlich von der Entwicklung der Öl- und Gaspreise ab. Ganz sicher bleiben die Kosten für die Jühnder Bürger aber konstant und überschaubar. „Und so wie die Öl- und Gaspreise steigen, gehen wir davon aus, dass sich die Nahwärme sogar rentiert“, sagt der Bürgermeister.

Wie bei Asterix

Auch die örtlichen Bauern profitieren. „Wir schaffen uns neue Absatzmärkte, Energiepflanzen sind ein Zukunftsmarkt“, sagt etwa Landwirt Reinhard von Werder und skizziert die rosigen Aussichten: „Die Anlage verschafft uns einen besseren oder zumindest sicheren Verdienst, weil wir mit der Betreibergesellschaft Fünfjahresverträge abgeschlossen haben. Im ersten Jahr werden sechs Landwirte Rohstoffe liefern, insgesamt 10.000 Tonnen Energiepflanzen und 9000 Kubikmeter Gülle. Der Preis für die Pflanzen entspricht dem Durchschnittspreis für Winterweizen. Für die Gülle, die wir zur Anlage fahren und abholen, bekommen wir zwar nur eine Transportpauschale, dafür ist der Dünger nach der Vergärung hochwertiger. Wir müssen also weniger Dünger zukaufen.“

So nährt die Biogasanlage im Dorf seine Bürger – und ihren Stolz: Jühnde ist plötzlich wer. Natürlich erschienen die Dorfbewohner nahezu vollzählig, als Bundesumweltminister Jürgen Trittin und Bundesverbraucherministerin Renate Künast im November 2004 öffentlichkeitswirksam ihre Spaten in die Jühnder Erde stießen. Die Älteren kamen in Festkleidung und zitieren seitdem gern aus der Rede der Ministerin. Gelegenheit dazu haben sie immer öfter. Neuerdings berichtet das Göttinger Tageblatt regelmäßig über das Projekt, auch im Hamburger Abendblatt und in der FAZ stand der Name Jühnde schon schwarz auf weiß. Die jüngsten Artikel hängen am schwarzen Brett an der Scheunenwand gegenüber dem Krämerladen. „Es ist ein bisschen wie bei Asterix“, findet Klaus Hassenzahl, Musiklehrer und Bürger von Jühnde. „Wir sind ein ganz normales Dorf, und doch sind wir anders.“

Über den Weg dorthin und um Nachahmer zu motivieren, schreiben die Wissenschaftler des IZNE jetzt einen „Leitfaden – Weg zum Bioenergiedorf“. Andere Dörfer und ganze Regionen sollen ihre Energie-Infrastruktur danach neu ausrichten. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit.

Interesse zeigen insbesondere die Japaner. Obwohl in Jühnde noch nicht einmal eine Anlage steht, hat im Januar dieses Jahres schon die dritte Delegation aus dem Osten das Dorf besucht. Aber für die Technik interessierten sich die Besucher auch nicht. Die Wissenschaftler, Umweltaktivisten und Kommunalpolitiker wollten in Jühnde erfahren, wie es gelang, ein ganzes Dorf für eine Idee zu gewinnen. Eckhard Fangmeier wird sich wohl Übersetzungen für das Wort Bierdeckel besorgen müssen.

DIE MAGISCHE ZAHL

Hypothetische Rechnung bei 130 Haushalten
Wirtschaftlichkeitsrechnung
Kapitalbedarf3.684.000 Euro
Eigenkapital Bioenergiedorf eG500.000 Euro
Fremdkapitalbedarf (Darlehen über 3,2 Millionen Euro, 20 Jahre zu 5,5 Prozent Zinsen)3.184.000 Euro
Erträge
3,8 Mio. kWh-Produktion an EAM für 17,38 ct/kWh pro Jahr660.440 Euro
130 Haushalte mit je 500 Euro Jahrespauschale65.000 Euro
Wärmeverbrauch von 24.000 Einheiten je Haushalt zu 4,9 ct152.880 Euro
Gesamt878.320 Euro
Aufwendungen
Zins und Tilgung pro Jahr267.775 Euro
Gülle, Pflanzen und Holz pro Jahr260.000 Euro
Deckungsbeitrag pro Jahr350.505 Euro

Der Deckungsbeitrag reicht aus, um die erforderlichen 1,5 Mitarbeiter für den Betrieb der Anlage zu bezahlen, das Eigenkapital angemessen zu verzinsen und Rücklagen für künftige Investitionen zu bilden. Jeder weitere teilnehmende Haushalt erhöht den Deckungsbeitrag.

So setzt sich der Preis für den Öko-Strom zusammen

10,38 Cent für die Kilowattstunde, die aus nachwachsenden Rohstoffen (Nawaro) und Gülle erzeugt wird. Es dürfen keine Abfälle wie Öl oder Schmierfette verwendet werden. Sechs Cent Biomassezuschlag werden fällig, wenn nur Pflanzen, die in der Biomasseverordnung aufgeführt sind, in die Anlage gegeben werden. Maximal zwei Cent Kraft-Wärme-Kopplungs- Zuschlag. Aus dem Biogas wird nicht nur Strom, sondern auch Wärme produziert. Jühnde weiß noch nicht, wie hoch der Grad der Wärmenutzung sein wird, und geht daher von einem Zuschlag von einem Cent aus.

Insgesamt muss der örtliche Energieanbieter dem Bioenergiedorf Jühnde also 17,38 Cent für die Kilowattstunde zahlen.

Links

www.bioenergiedorf.de
www.izne.uni-goettingen.de
www1.ml.niedersachsen.de/leaderplus
www.erneuerbare-energien.de
www.fnr.de

Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.