Die Jagd nach dem grünen E

Als rohstoffarmes Land ist Japan viel stärker von Importen abhängig als die meisten anderen Industriestaaten. Nach dem Ölschock 1973 wurde Energiesparen deshalb zum Volkssport. Inzwischen hat es die Nation darin zur Meisterschaft gebracht.




Irgendwo weit unten schlägt eine Tür zu. Hastig steigt ein Anzugträger durch das rosa gestrichene Treppenhaus der Tokioter Niederlassung des japanischen Autoherstellers Toyota. Wieder eine Tür. Nun trippeln Damenabsätze die Stufen hinab, Stimmen hallen durch den Schacht. Vielleicht denken die Angestellten beim Treppensteigen an ihre Gesundheit, wahrscheinlicher aber an den Energie-Spar-Appell der Firmenführung: „One up, two down!“ Wer ein Stockwerk hoch oder zwei heruntergehen muss, nehme bitte die Treppe und nicht den Aufzug. „Im Sommer ist noch mehr los“, sagt ein Firmensprecher. Wenn Klimaanlagen die tropische Hitze draußen in den Büros auf erträgliche Maße herabkühlen und der Stromversorger Tokyo Electric Power Company (Tepco) in Spitzenzeiten fast so viel Strom wie alle Stromerzeuger in ganz Deutschland liefern muss, ruft Toyota seine Angestellten fast täglich zum Spar-Spaziergang auf. Zur Unterstützung schaltet die Firma auch mal Rolltreppen und Fahrstühle ab.

Stromsparen ist tief im Bewusstsein der Japaner verankert. „Japans Firmen gehören zu den energieeffizientesten der Welt“, sagt Masanobu Ishikawa, Professor an der Universität Kobe und Experte für Energieeffizienz. Das Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie (Meti) erklärt das Land sogar zum Spar-Meister unter den großen Industrienationen. Frankreich, so rechnet das Meti vor, braucht zehn Prozent mehr Energie als das fernöstliche Inselreich, um einen Dollar seines Bruttoinlandsprodukts zu erzeugen, Deutschland 17, die USA brauchen sogar 65 Prozent mehr.

Ur-Trauma Ölkrise

Noch deutlicher ist die Energiebilanz 2004 der International Energy Agency: Wendet Japan für 1000 Dollar Bruttoinlandsprodukt so viel Energie auf wie in 0,09 Tonnen Erdöl steckt, benötigt Deutschland 0,13 Tonnen so genanntes Erdöl-Äquivalent, Frankreich 0,15 Tonnen, die USA benötigen 0,25 Tonnen. Japan hat sich einen Vorsprung geschaffen. Die zweitgrößte Wirtschaftsnation der Welt ist Vorreiter in puncto Effizienz – auch bezogen auf den Umgang mit Energie.

Die Einsicht, dass sich Sparen lohnt, reicht zurück bis in die frühen siebziger Jahre, als sich der Rohölpreis zwischen 1973 und 1974 von drei auf zwölf Dollar vervierfachte. Die gesamte Weltwirtschaft stürzte damals in eine tiefe Krise, für die Japaner jedoch war die Erfahrung besonders schlimm: Ihr Land besitzt kaum eigene Ressourcen, die Inselnation ist stärker von Energie-Importen abhängig als alle anderen großen Industrieländer. Damals hing das Land fast vollständig am Öl, noch heute muss es 80 Prozent seines Energiebedarfs einführen. In Deutschland, der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt, sind es nur 60 Prozent.

Der Schock der Ölkrise traf die Nation tief, „es war das Ur-Trauma für Japans Wirtschaft“, sagt Ishikawa. Asiens Wirtschaftswundernation, in der damals ein Wachstum von nur vier Prozent per annum bereits als nationales Unglück empfunden wurde, schrumpfte 1974 um 1,2 Prozent – nach einem Plus von 8,1 Prozent im Vorjahr. „Die Gesellschaft war in Panik, dass die gesamte Wirtschaft ausgelöscht wird“, erinnert sich Ishikawa. Regierung und Wirtschaft erklärten Energiesparen zum Programm. Um die Abhängigkeit vom Öl zu senken, investierte der Staat Milliarden in den Aufbau eigener Energie-Erzeuger. Seit 1973 wurden in Japan 56 Atomkraftwerksblöcke gebaut. Die heimische Kernkraft, Flüssiggas aus Südostasien und Kohle haben den Öl-Anteil, laut Meti, zur Jahrtausendwende auf 52 Prozent sinken lassen. Insgesamt hat sich das japanische Bruttoinlandsprodukt seit 1973 verdoppelt – der Energieverbrauch im Industriesektor ist gleich geblieben.

Die Betriebe starteten mit einem Erste-Hilfe-Programm: Warmwasserrohre wurden mit Lumpen umwickelt, die Belegschaften darauf gedrillt, ungenutzte Lichtquellen und Maschinen auszuschalten. Doch die erzieherischen Maßnahmen waren nur der Anfang. Es folgten Investitionen in Maschinen und neue Technologien – und die Optimierung der Produktionsprozesse. Dabei haben die Treiber des Wandels längst nicht mehr nur den sparsamen Umgang mit Energie im Blick, sondern auch die Umwelt.

Beispiel Stahlindustrie. Direkt neben dem Tokioter Hauptbahnhof ragt nüchtern rot-braun der Sitz von Japans größtem Stahlhersteller Nippon Steel in den Himmel. Hier arbeitet Toru Ono, Gruppenführer der Abteilung für Energietechnik, an einem noblen Ziel: Er will den Stahlriesen in der öffentlichen Wahrnehmung vom größten Umweltverschmutzer zum Öko-Unternehmen wandeln. Auf den Visitenkarten hat die Metamorphose bereits stattgefunden. „Stoppt die Erderwärmung“, steht da in großen grünen Schriftzeichen. Klein gedruckt folgt das Versprechen: „Wir reduzieren Kohlendioxid in selbstverantwortlichem Kampf.“

Vom Umweltverschmutzer zum Öko-Unternehmen

Nippon Steel hat guten Grund für den Schwur. „Japans Stahlindustrie verbraucht zehn Prozent des Energiebedarfs des Landes, vier Prozent davon gehen allein auf unser Konto“, sagt Ono. Sein Arbeitgeber blase jährlich 61 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Luft, fünf Prozent der gesamten japanischen CO2-Emissionen. „Wenn wir uns nicht als Verschmutzer fühlen würden, wären wir sehr arrogant.“

Umso stärker betont Ono die Errungenschaften seiner Branche. „Nach der Ölkrise begannen wir einen harten Kampf für Energieeinsparungen“, erzählt er. Flächendeckend führte Nippon Steel effizientere Verfahren ein und reduzierte seinen Energieverbrauch pro Tonne Stahl in den siebziger und achtziger Jahren um fast 30 Prozent. Als sich aus der Produktion selbst kaum noch Einsparungen quetschen ließen, konzentrierten sich die Stahlmanager auf neue Technologien. „Der große Unterschied zu den Unternehmen in anderen Ländern ist heute die Abwärmerückgewinnung“, sagt Ono. Die Japaner entwickelten eine Anlage, die bei der Koksabkühlung Abwärme in Strom verwandelt. „Bei uns sind seit kurzem sämtliche Kokereien damit ausgestattet, in Europa lediglich eine in Frankreich.“

Während die Umrüstung der Werke noch lief, machten die Stahlmanager den nächsten Schritt auf dem Weg vom Umwelt-Verschmutzer zum Umwelt-Vorreiter. „Öko-industrieller Komplex“ heißt das Schlagwort, hinter dem sich die Verwandlung von schädlichem Plastik und Autoreifen in nutzbare Energie verbirgt. Willkommener Zusatzeffekt: Aus dem Umwandlungsprozess kann zusätzlich Wasserstoff gewonnen werden – der begehrte Treibstoff für Brennstoffzellen. Das Wirtschaftsministerium fand das Recycling-Projekt so überzeugend, dass es ihm 2002 den „Good Design Award“ verehrte. Das erste Mal in seiner Geschichte, dass der Preis ein Geschäftsmodell prämiert.

Und so funktioniert das System: Japans Gemeinden sammeln den Plastikverpackungsmüll und liefern ihn an geeignete Recylingunternehmen, die für ihre Arbeit von der Plastikindustrie einen Obolus erhalten. Die Stahlfirmen sind die größten Wiederverwerter. Sie sortieren die Polymer-Berge, zerhäckseln sie und formen kleine Plastikpillen von einem Zoll Durchmesser. Die Pastillen werden mit Kohle gemischt, in die Koksöfen gefüllt und dort unter Luftabschluss auf bis zu 1200 Grad erhitzt. Bei dieser Temperatur löst sich das Plastik absolut sauber und dioxinfrei in seine Bestandteile auf. 20 Prozent der Plaste werden wie Kohle zu Koks destilliert, das die Stahlöfen beheizt. 40 Prozent tropfen in Form von Leichtölen aus der Masse. Daraus können Tochtergesellschaften von Nippon Steel, dem Vorreiter der Idee, die inzwischen die gesamte Stahlindustrie verfolgt, wieder Plastik oder Kohlenstoff-Fasern herstellen. Der Rest entweicht als hochreines Koksofengas, aus dem sich Wasserstoff gewinnen lässt.

Was Menschen leicht fällt, kostet auch Roboter weniger Energie

Alle Beteiligten gewinnen, schwärmt Ono. Die Gemeinden werden einen Teil der 1,8 Millionen Tonnen Plastikmüll los, den sie sonst deponieren oder verbrennen müssten. Plastikhersteller dürfen mit ruhigerem Gewissen produzieren. Die Stahlindustrie gewinnt einen preiswerten Brennstoff, der in der Energiebilanz fast kohlendioxidneutral ist – und eröffnet sich neue Geschäfte: Bis 2010 will die Branche die Recycling-Kapazität von heute 300.000 auf eine Million Tonnen steigern. Fünf bis sechs Millionen Brennstoffzellen-Fahrzeuge pro Jahr könnte man so mit Treibstoff versorgen, schätzt Stahlmanager Ono. Eine Hand voll ist bereits im Test.

Auch die Autoindustrie hat sich gewandelt, Toyota spart nicht nur durch das Stilllegen von Fahrstühlen. Das Unternehmen, das weltweit als Vorreiter in Sachen effiziente Produktion gilt, hat auch der Energievergeudung in der Fertigung den Kampf angesagt. So sind in der „neuen globalen Schweißstraße“ im Werk Takaoka, Toyota City, die riesigen Rahmen verschwunden, die früher die Karosserieteile von außen hielten. Eingemottet sind auch die monströsen Schweißroboter. Heute senkt sich ein filigranes Montagegestell von oben zwischen die schirmenden Bleche und greift von innen zu. Schlanke Roboterarme schweißen danach die Karosserie zusammen.

Für Toyota ist das ein enormer technologischer Fortschritt. „Wir haben Investitionskosten, Platzbedarf, Unterhaltskosten und den gesamten Energieverbrauch im Vergleich zur alten Schweißstraße um 50 Prozent gesenkt“, sagt ein Fabrikmanager. Möglich wurde die eindrucksvolle Bilanz durch ein neues Designkonzept. Zuerst baute Toyota eine Produktionsstraße in Vietnam so, dass die Arbeiter ein Auto möglichst einfach in Handarbeit zusammensetzen konnten. In einem zweiten Schritt wurde die Fertigung automatisiert. Die Idee: Wenn Menschen die Arbeit leicht fällt, brauchen auch Roboter weniger Energie. Noch in diesem Jahr soll die Schweißstraße in allen Werken der Welt aufgestellt sein.

Getrieben von seiner Kaizen-Philosophie der ständigen Verbesserung, ezielte der Autobauer auch an anderen Stellen Erfolge. So verkleinerten die Ingenieure von Toyota 2003 beispielsweise die riesigen Hydroform-Pressen, die Bauteile zusammenstauchen, um 90 Prozent und senkten ihren Strombedarf um 95 Prozent. Auch die Umwelt profitierte: Alle Anstrengungen zusammengenommen, verringerte Toyota den Kohlendioxidausstoß pro Auto im Produktionsprozess zwischen 1990 und 2003 von 2,75 auf 1,84 Tonnen – ein Rückgang von 33 Prozent. General Motors, der große Konkurrent, erreichte in seinen amerikanischen Werken im selben Zeitraum einen Rückgang um 16 Prozent – von 2,79 auf 2,33 Tonnen.

Wettrennen um mehr Effizienz

„Toyota wringt trockene Handtücher aus“, sagt der Volksmund. Doch nach 30 Jahren Spardrill ist auch bei immer höherem Kraftaufwand immer weniger Energie aus den Produktionsprozessen herauszuholen. „Japans Fabriken sind nahe am Maximum“, sagt der kritische Öko-Professor Ishikawa, „es gibt nur noch einen kleinen Spielraum für Verbesserung. Wie groß der ist, hängt letztlich von der Höhe der Energiepreise ab.“

Das weiß auch die Regierung und konzentriert sich in ihren Maßnahmen neuerdings deshalb auf die Produkte selbst. Dabei hat sie Energie und Umwelt gleichzeitig im Auge: Weil in der Ökobilanz eines Produktes, beispielsweise beim Auto, im Schnitt 20 Prozent des Kohlendioxids in der Produktion anfallen und 80 Prozent im Laufe seiner Nutzung, hat das Meti jetzt neue Maßnahmen beschlossen. Die Hauptfrage bei Gebrauchsgütern, erklärt Professor Ishikawa, sei jetzt, wie viel Energie die Produkte sparen, und nicht, wie viel die Fabrik. 

Damit kommt der Verbraucher ins Spiel, der mit seiner Kaufentscheidung in hohem Maß zum Energie-Sparprogramm der Nation beitragen kann. Und der in Japan, anders als in vielen anderen Nationen, auch in der Vergangenheit durchaus seinen Beitrag leistete.

Anders als in Deutschland pendelt die Masse der Bürger seit Jahrzehnten umweltfreundlich per Bahn. Dank ihres genügsamen Lebensstils verbrauchen die Japaner im Privatbereich pro Kopf nur halb so viel Energie wie die Deutschen. In Japan entfallen auf den einzelnen Bürger rein rechnerisch 4488 Kilowattstunden pro Jahr, in Deutschland sind es 9435 Kilowattstunden.

Doch gesellschaftlicher Wandel, Wohlstand und die Digitalisierung des Lebens lassen auch in Japan den privaten Energieverbrauch wachsen. Die Zahl der Autos ist seit den siebziger Jahren gestiegen, wer es zu Wohlstand gebracht hat, regelt die Temperatur im Haus heute mit einer Klimaanlage. Und mit jedem technischen Entwicklungsschub scharen auch die Menschen in Japan neue Stromsauger um sich: Mobiltelefone, Computer, DVD-Spieler und MP3-Player für den Heimgebrauch. Seit 1990 vermehrten sich die Elektro-Vampire pro Haushalt um fast ein Viertel. Der Stromverbrauch stieg gleichzeitig um 32 auf heute 282 Kilowattstunden im Jahr. Seit 1975 hat sich der Verbrauch im Haushalt um 111 Kilowattstunden im Haushalt erhöht.

Genau hier setzt Japan seit 1998 mit dem „Top-Runner-Programm“ an. Der nüchterne Öko-Professor Ishikawa ist davon ganz hingerissen: „Eine der größten Erfolgsstorys weltweit! Seit seiner Einführung hat sich die Energieeffizienz vieler Geräte mehr als verdoppelt.“ Zuständig dafür ist heute Masanori Tsuruda, stellvertretender Direktor der Abteilung für Energieeffizienz und -einsparung im Wirtschaftsministerium. Der 31-jährige Experte erklärt sein Programm: Für die Energieeffizienz von 18 Produktgruppen, sie reichen von Autos über Heißwasserboiler bis hin zu Klimaanlagen und Kühlschränken, hat das Meti einen Mindeststandard festgesetzt. Den muss nicht jedes einzelne Produkt einer Produktgruppe erfüllen, die Hersteller müssen den Standard jedoch zumindest mit dem Mittelwert all ihrer Produkte erreichen. Am Ende einer Runde wird das sparsamste Gerät jeder Produktgruppe als „Top-Runner“ gekürt, für das nächste Jahr wird sein Verbrauch als Standard festgesetzt. Das Programm hat sich als wirksam erwiesen, obwohl die Geldstrafe bei Verstößen gegen den Standard mit 7500 Euro nicht besonders hoch ist.

Schlau: Das Meti vermengt Umweltschutz und Industriepolitik

„Wir setzen auf die Scham-Strategie“, sagt Tsuruda. Anders als in Europa üblich, scheut sich das Ministerium nicht, öffentlich Sieger und Verlierer auszuloben. Dazu wird jedes Gerät mit einem kleinen Schild versehen. Ein grünes „E“ zeigt dem Käufer, dass dieses Produkt die Effizienzhürde passiert hat, eine Zahl darunter, um wie viel Prozent. Ein orangefarbenes „E“ markiert die Versager. Und wehe dem Unternehmen, das die Mindestverpflichtung nicht erfüllt: „Wir veröffentlichen den Namen der Firma, das schmerzt mehr als jede Geldbuße.“ So wird die Übererfüllung des Standards zu einem mächtigen Marketinginstrument.

Geschickt vermengt das Meti damit Umweltschutz und Industriepolitik. Weil die Industrie die Energieeffizienz ihrer Produkte steigert, stärkt sie gleichzeitig ihre technische Wettbewerbsfähigkeit. So hat Matsushita Electric auf der Jagd nach dem grünen E eine 1,80 Meter hohe FCKW-freie Kühl-Gefrier-Kombination entwickelt, die um ein Vielfaches effizienter ist, als der Meti-Richtwert erlaubt. Nur 160 Kilowattstunden im Jahr soll das Ungetüm schlucken, in Japan ist es damit schon ein Renner. Bald soll der Riesenkühlschrank auch im Boom-Land China die Konkurrenz entzaubern. Die Japaner machen weiter, Umwelt und Energie fest im Blick. Die Stromsparerziehung wird verstärkt, daneben wird für eine Wärmeisolierung der Häuser geworben und Recycling massiv ausgebaut. Toyota und Honda mischen mit ihren Hybrid-Autos, die Benzin- und Elektroantrieb vereinen, bereits weltweit die Automobilbranche auf. Japanische Firmen wie Sharp, Kyocera und Sanyo zählen inzwischen zu den größten Herstellern von Solarzellen, einer ihrer Hauptwachstumsmärkte ist Deutschland. Den größten Teil seiner Forschungsgelder investiert das Meti heute in die Entwicklung der Brennstoffzelle, ab diesem Jahr subventioniert das Ministerium sie als häusliche Energiequelle. Weitere Schwerpunkte zum Aufbau der Nach-Öl-Gesellschaft bilden Kernfusion und Kernkraft. Mit der Europäischen Union ringt Japan zurzeit um den Standort für einen internationalen thermonuklearen Versuchsreaktor, in dem wie in der Sonne Wasserstoffatome verschmolzen und ungeheure Energiemengen erzeugt werden sollen. Und in ihrem Atomprogramm will die Regierung schnellstmöglich den „nuklearen Brennstoffkreislauf“ schließen, bei dem Plutonium recycelt wird.

Auch der Meister hat noch Schwächen

Was das Energiesparen angeht, ist die zweitgrößte Industrienation der Welt auf einem vielversprechenden Weg, aber noch längst nicht am Ziel. Trotz aller Anstrengungen ist Japan in einigen Bereichen noch Öko-Entwicklungsland. Illegale Müllkippen verseuchen die Umwelt, altertümlich anmutende Waschmaschinen gurgeln mehr als hundert Liter Wasser pro Wäsche durch den Ausguss, viele Häuser haben keinen Anschluss an die Abwasserkanäle und sind miserabel isoliert.

Auch die Energiespar-Meister der Industrie haben sich jüngst den Zorn des Meti zugezogen. Unter dem Eindruck des Kyoto-Protokolls hatten sie sich freiwillig verpflichtet, die Kohlendioxid-Emissionen zwischen 2008 und 2012 um sechs Prozent zu senken. Nun schaffen sie es womöglich nicht. Der Meti-Beamte Tsuruda schimpft: „Die Selbstverpflichtung der Industrie ist wie eine riesige schwarze Kiste. Dieses Jahr haben wir sie geöffnet und waren sehr negativ überrascht.“

In einem Report prangerte das Ministerium elf Industriezweige namentlich an, darunter die Stahl- und Stromproduzenten. Das ist in Japan schon ein ziemlich harscher Rüffel. Tsurudas persönliche Lehre: Ohne verbindliche Ziele geht es nicht. „Die Regierung sollte dafür getadelt werden, dass sie diese schwarze Kiste zugelassen hat.“

Die Firmen verteidigen sich: „Es ist wirklich schwer, den Energieverbrauch zu senken, wenn man gleichzeitig die Produktion erhöhen muss“, klagt Shin Imaguchi, Umweltmanager im Matsushita-Konzern, stellvertretend für die Japan AG. Zumal, wenn Produkte wie die großformatigen Plasma-Fernseher über Nacht zu Bestsellern werden, die in der Herstellung und im Betrieb mehr Strom verbrauchen als herkömmliche TV-Geräte. 2003 sind die Kohlendioxid-Emissionen von Panasonic-Produkten in der Herstellung, statt wie geplant durchschnittlich um drei Prozent zu sinken, um 19 Prozent gestiegen. Das ist der Fluch des Erfolgs, möchten die Manager sagen.

Doch beim Effizienz-Bürokraten Masanori Tsuruda kommen sie damit nicht an. Er ist wild entschlossen, der Industrie weitere Zugeständnisse abzutrotzen – und fängt mit acht neuen Produktgruppen im Top-Runner-Programm an. Künftig sollen auch Lkw und Busse, DVD-Spieler, Flachbild-Fernseher und Reiskocher an ihrem Energie-Verbrauch über die gesamte Lebensdauer gemessen werden. „Das ist hochpolitisch“, sagt er. „Die Firmen werden wieder behaupten, mit den neuen Standards nicht mehr produzieren zu können.“ Dann lacht er. „Aber wir haben Glück. Neuerdings kann ich immer sagen: Wegen des Kyoto-Protokolls müssen wir das jetzt durchsetzen.“


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.