Paarlauf mit Tücken

Ein anonymes Verbrauchsgut zu einer Marke machen, die Verbraucher anspricht, ohne dabei die Marke des Endproduktes zu überschatten? Wer sich als Ingredient Brand etablieren will, muss einen komplizierten Spagat vollbringen.




Die Epidemie begann ganz unscheinbar. Pendler in Denver starrten im Sommer 1989 im Morgenstau auf mysteriöse Plakatwände, auf die sie sich keinen Reim machen konnten. „286“ stand da, in Rot darüber gesprüht ein großes Graffiti-X. Unten rechts ein kleiner Firmenname: Intel. Vandalismus auf einer Annonce für ein neues Auto? Oder vielleicht eine neue Vorwahl für Denver? Die Verwirrung hatte Methode. Ausgetüftelt hatte die mysteriöse Kampagne Dennis Carter, der damalige Marketing- Manager und spätere Vice President von Intel, mit einem fünfköpfigen Team. Ziel war es, die Welt mit einer neuen Mikrochip-Marke zu infizieren. Wegen des äußerst begrenzten Budgets blieb jedoch nur eine einzige US-Metropole, um die Keime freizusetzen.

Personal Computer waren Ende der achtziger Jahre noch keine Gebrauchsgegenstände, um die sich Millionen von Endverbrauchern rissen, sondern teure, relativ esoterische Geräte. Für die Frage, welcher Chip in den beigen Kästen versteckt war, interessierte sich niemand. „Die wenigsten konnten mit den Anzeigen etwas anfangen. Die meisten Kollegen im Haus bezweifelten, dass wir Erfolg haben würden“, erinnert sich Carter, der Intels Aufstieg zur Weltmarke verantwortet. Aus seiner Guerilla-Taktik wurde schließlich das Kringel-Logo Intel Inside, das heute mehr als 3000 Elektronikhersteller auf ihre Produkte kleben. Durchschnittlich alle fünf Minuten ertönt irgendwo auf der Welt der dazugehörige Jingle, der im Firmenjargon Bong heißt.

Dies ist eine Geschichte der normativen Kraft des Unsichtbaren. Bis heute bekommen die wenigsten Menschen jemals zu Gesicht, wie Intel Inside denn nun aussieht. Wer schraubt schon seinen Rechner auseinander und sieht nach, was auf dem Prozessor steht, wer bemerkt den Unterschied gegenüber dem Chip der Konkurrenz? Der Weg zum Erfolg führte über bislang mehr als neun Milliarden Dollar Werbekosten. Er ist zum klassischen Fallbeispiel geworden, wie sich ein gesichtsloser Komponentenhersteller ins Rampenlicht schieben kann.

Im Jahr 2002 steht Intel in der Rangliste der wertvollsten Marken der Welt auf Platz fünf. Das zumindest hat die Markenberaterfirma Interbrand in ihrer Hitparade berechnet, die Business Week jährlich veröffentlicht. Damit liegen die Siliziumtafel-Bedampfer von Santa Clara im Bekanntheitsgrad noch vor Nokia, Disney, McDonald’s oder Marlboro und nur hinter Coca-Cola, Microsoft, General Electric und IBM. Wer seine unscheinbaren Zutaten (engl. Ingredients) zu einer starken Marke auf- und ausbauen will, schaue auf Carters Marsch durch die Institutionen der modernen Industriegesellschaft: klein anfangen, ein schlüssiges Image entwickeln, das das Interesse der Endverbraucher emotional anspricht, und mit den Herstellermarken eng zusammenarbeiten.

Beispiele für die enge Kooperation zwischen Zutatenherstellern und Endproduzenten gibt es reichlich: der Süßstoff NutraSweet, dessen rot-weißer Wirbel auf Kaugummiverpackungen und Coladosen prangt, Aufnäher für das wasserdichte Synthetik-Laminat Gore-Tex, die an Jacken und Wanderschuhen hängen, Gummisohlen von Vibram oder Bratpfannen, die mit der Antihaft-Beschichtung Teflon werben. Dabei geht es um mehr als nur darum, ein weiteres Etikett auf ein Produkt zu kleben.

Bloß raus aus der Verbrauchsgut-Falle

Ingredient Brands erlauben Zulieferern, aus der Austauschbarkeit auszubrechen und mit ihren Kunden in direkten Kontakt zu treten. So lässt sich mit viel Beharrlichkeit eine Nische auf dem hart umkämpften Marktplatz der Ideen und Versprechungen besetzen. „Die Geschichten, die Marken erzählen, sind inzwischen zum kulturellen Gewebe unserer Zivilisation geworden“, sagt Jim Twitchell. Der Englischprofessor an der Universität Florida beschäftigt sich mit Marken aus der Sicht des Literaturwissenschaftlers. „Wer ein erfolgreiches Produkt haben will, ob Komponente oder eigenständige Marke, muss mindestens ein paar Kapitel in den modernen Roman unserer Konsumgesellschaft einflechten.“

Und wer mit der unscheinbaren Komponente zum Akteur in dieser nie abgeschlossenen Erzählung aufsteigt, entkommt der „Verbrauchsgut-Falle“, wie sie die Berater von McKinsey & Company nennen. Ingredient Branding kann eine Überlebensstrategie sein in einer Welt, in der es von fast allen Zutaten mehrere Anbieter gibt. Wer seine Zutat als Marke etabliert, kann sich von der Konkurrenz abgrenzen, bessere Beziehungen zu Fertigungspartnern aufbauen und einen Nachfragesog bei Endverbrauchern schaffen. So lassen sich auf Dauer höhere Preise und bessere Margen erzielen.

Die Definitionen für Ingredient Brand sind schwammig. So viel ist jedoch unumstritten: Der Begriff trifft nur auf Komponenten zu, die man nicht für sich allein erwerben oder konsumieren kann, die oft sogar versteckt und nur Eingeweihten bekannt sind. Schwieriger wird es, wenn Lebensmittelmarken ihre etablierten Produkte gemeinsam vermarkten – etwa wenn Häagen-Dazs seiner Eiskrem den Sahnelikör Baileys beimischt. Oder wenn die Tennis-Schwestern Serena und Venus Williams ihr Image für Avon-Kosmetika zur Verfügung stellen. „Prominente kann man auch als Zutat betrachten, die für Qualität bürgen und so die Kaufentscheidung vereinfachen“, argumentiert Robert Gibralter, Bereichsleiter Strategie und Planung bei Interbrand in New York. Allerdings nur, wenn Mensch und Marke zueinander passen (siehe auch Seiten 44 bis 49).

Schokolade und Fertigkuchen: Hochzeit mit Idealen

Anders Bengtsson von der Universität Odense in Dänemark spricht wegen dieser Definitionsprobleme lieber von Mixed Brands. In diesen gemischten Marken geht eine Komponentenmarke mit einer Wirtsmarke eine je nach Marktlage unterschiedlich geartete Symbiose ein. „Für den Endverbraucher ist es egal, ob es sich um Co-Branding handelt oder um eine strategische Allianz von Komponenten und Partnermarken. Der Erfolg lässt sich daran messen, ob die Verbraucher letzten Endes ein neues Ganzes wahrnehmen, dessen Summe größer ist als die Einzelteile.“

Die Geschichten, die die zwei verschiedenen Marken transportieren, müssen zusammenpassen, damit sich die Assoziationen in den Köpfen der Öffentlichkeit aufaddieren und nicht neutralisieren. Wie Bengtsson in einer ausführlichen Studie zur Lebensmittelindustrie erklärt, ist die Beimischung von Schokolode aus dem Hause Hershey’s in die Fertigkuchenmischungen von Betty Crocker mehr als nur die Verbindung von zwei Traditionsmarken, mit denen mehrere Generationen von Amerikanern aufgewachsen sind.

„Mit einer strategischen Marken-Allianz ist es wie mit einem Paar, das sich kennen lernt und heiraten will“, erklärt Bengtsson. „Am Anfang hat jeder eine Idealvorstellung. Man geht von einer ebenbürtigen Beziehung aus. Aber immer steht die Frage im Hintergrund, ob und wie lange das gut gehen wird.“

Bis das Ja-Wort gesprochen wird, muss ein Komponentenhersteller erst einmal die Braut schön machen. Die Ingredient Brand braucht eine Mitgift – ohne Wertpotenzial lässt sich keine eigenständige Marke entwickeln. Um beispielsweise erfolgreich Sand zu verkaufen, reicht es nicht, sich als beste Sandgrube auszugeben. Eine emotional und rational ansprechende Geschichte und ein Symbol für die eine Sorte Sand muss erfunden werden.

Für den erfolgreichen Paarlauf gibt es vier Ausgangs-Szenarien, wie Ned Pfeiffer von der weltweit tätigen Branding- und Design-Beratungsfirma Landor Associates in San Francisco erläutert. Für ihn sind die Komponenten nur eine Teilmenge von dem, was er „Attribute Branding“ nennt – die Schaffung von Markenbewusstsein nicht nur für unsichtbare Bestandteile, sondern auch für Form- oder Funktionskomponenten eines Produktes wie etwa das Dolby-System zur Rauschunterdrückung in Stereoanlagen oder die Oral-B-Technologie in den elektrischen Zahnbürsten von Braun.

Viermal Paarungsbedarf

Möglichkeit 1: Die Wirtsmarke ist neu oder bedarf einer stärkeren Identität. Ein Bündnis mit einer bereits etablierten Komponentenmarke kann dabei helfen, den nötigen Aufwind zu schaffen, um Bewusstsein, Vertrauen und Käufervorlieben für das gemeinsame Produkt hervorzurufen. So könnte sich beispielsweise ein junger, unbekannter Hersteller von Sportbekleidung mit Gore-Tex rascher zum glaubwürdigen Outdoor-Anbieter aufschwingen.

Möglichkeit 2: Die Wirtsmarke weist Kompetenzlücken auf und braucht eine starke Komponente, um mehr Glaubwürdigkeit herzustellen oder neue Funktionen anzubieten. Etwa Orbit-Kaugummi, der sich seit langem als zuckerfreies Naschwerk gegen Karies vermarktet. Jetzt verwendet Orbit die Weißmacher-Chemikalien der Zahnpasta-Marke Crest, um eine neue Sorte zahnfreundlicher Kaugummis auf dem Markt zu positionieren.

Möglichkeit 3: Die Wirtsmarke sucht einen Komponentenhersteller, um im Wettbewerb relevant zu bleiben, da sie sonst in die oben beschriebene Falle des austauschbaren Verbrauchsguts laufen würde. Diese Variante ist in einem gesättigten Markt für die Produzenten von Komponenten wie für weiterverarbeitende Hersteller interessant. Wenn sich Intel Inside oder Gore-Tex zum De-facto-Standard entwickelt haben, kann kaum ein Unternehmen auf eine solche Zutat verzichten. Pfeiffer vergleicht den Einsatz einer solchen Ingredient Brand mit dem Mindesteinsatz, der benötigt wird, um bei einer Partie Poker überhaupt mitspielen zu können.

Möglichkeit 4: Die Wirtsmarke ist nicht neu, muss aber ihr Image verjüngen und bedarf zusätzlicher Argumente, um sich zu differenzieren oder Konkurrenten vom Leib zu halten. Wenn also die Nobel-Automarke Lexus ein Modell mit Sitzbezügen der ebenso teuren Ledermarke Coach auf den Markt bringt, trifft sich Luxus mit Luxus zu einem neuen Ganzen.

Das Fallbeispiel Intel zeigt, wie die wenig ansprechende Zutat in einem ebenso wenig ansprechenden Industrieprodukt zum Wunschpartner aufsteigen kann, an dem fast sämtliche Hersteller einer Branche nicht mehr vorbeikommen. „Dass wir Intel Inside als Marke schufen, war eigentlich ein Unfall“, erinnert sich der ehemalige Marketing-Chef Dennis Carter. Am Anfang stand die Notwendigkeit, eine neue Generation von Mikroprozessoren mit dem belanglosen Kürzel 80386 zu etablieren, weil der erhoffte Nachfrageschub nach dem Vorgänger ausgeblieben war. Deswegen die Denver-Kampagne, die den veralteten 286er-Chip mit einem dicken roten Kreuz einfach wegstrich. „Wir hatten ein Marketing-Problem und wollten nach besseren Wegen suchen, um Entscheider zu erreichen.“ Intel-Chef Andy Grove billigte Carters Truppe 1989 erst fünf Millionen Dollar zu, bekam dann aber kalte Füße und stellte zunächst nur ein Zehntel für ein Pilotprojekt in einer einzigen Stadt bereit.

Die mehrwöchige Kampagne auf Plakatwänden, in Lokalzeitungen und Radiosendern steigerte den Bekanntheitsgrad des neuen Chips so sehr, dass Grove die Restsumme freigab. Im Herbst 1989 überzog Carters inzwischen auf zehn Leute angewachsene Truppe neun weitere Städte mit Werbung für je eine halbe Million Dollar – aus Kostengründen verzichtete er aber auf den Schlüsselmarkt New York. Und das sogar ohne Einbußen. „Wir wollten eigentlich nur potenzielle Kunden über das neue Produkt aufklären und stellten plötzlich fest, dass wir eine Marke geschaffen hatten“, sagt Carter, der 2000 in den Ruhestand gegangen ist.

Es gab nur ein Problem. Da Intel ständig neue Chips mit neuen Namen auf den Markt bringt, ließ sich das Graffiti-Konzept nicht für jede Prozessoren-Generation wieder aufwärmen. Zudem stellte ein Gericht fest, dass beliebige Zahlenfolgen wie 286 oder 486 nicht mit einer Trademark zu schützen seien und damit kaum als Branding-Objekte taugten. Also musste ein Dachbegriff her. Carter spielte mit dem Gedanken, für das Schlagwort ISPAN zu werben, um technische Spannbreite zu suggerieren, bevor er mit einer Agentur den Dachbegriff „Intel – the Computer Inside“ ersann, der dann noch einmal zu „Intel Inside“ eingedampft wurde.

Nachdem der Marketingchef landauf, landab Reaktionen der Computerhersteller auf eine gemeinsame Werbekampagne eingeholt und Richtlinien entwickelt hatte, startete Intels Ingredient Brand im Juli 1991. Hersteller der gerade in Fahrt gekommenen PC-Industrie waren so erpicht auf das neue Intel-Siegel, dass IBM bereits drei Monate vor dem Startschuss damit warb. „Das Problem war“, berichtet Carter, „dass wir noch gar nicht wussten, was wir den Leuten eigentlich als Kernbotschaft erzählen wollten.“ Intel überließ den Herstellern die Werbung und definierte nur Leitlinien für die Platzierung seines Logos. Die Kooperation lohnte sich für die Hersteller dennoch von Anfang an. Intel erstattete ihnen die Hälfte der Kosten für Printwerbung bis zu einer Obergrenze von drei Prozent ihrer jährlichen Chipeinkäufe.

Erfolgsrezept Inside

Gut zehn Jahre nach Start der Branding-Kampagne hat sich das Modell zu einem komplizierten Regelwerk entwickelt, bei dem die Erstattungsquote von 25 bis 70 Prozent und die Obergrenze zwischen drei und sechs Prozent schwanken. Ab einem fünfstelligen Werbebudget arbeiten Account-Manager von Intel gezielt mit Herstellern und deren Agenturen zusammen, um Inhalt, Format und Botschaft fein zu justieren. Die Co-Produktion hat bisher mehr als neun Milliarden Dollar gekostet. Mittlerweile setzt Intel vermehrt auf sein eigenes Branding mit hippen Fernsehspots, die einen digitalen Lebensstil zeigen. Die Strategie ist offensichtlich so erfolgreich, dass Konkurrent Advanced Micro Devices (AMD) inzwischen eine verblüffend ähnliche Kampagne namens „AMD me“ gestartet hat.

Intels Einsichten lassen sich auch auf andere Branchen anwenden, glaubt Carol Barrett, die im Jahr 2000 die Verantwortung für das Intel-Inside-Programm von Carter übernommen hat. „Unser Erfolgsgeheimnis besteht darin, dass wir vom ersten Tag an eine schlüssige Markenstrategie hatten, die sich mit unserer Geschäftsstrategie deckt. Man sollte sich dabei immer vor Augen halten, dass man eine Ingredient Brand ist und mit Partnern arbeitet, die man nicht überwältigen sollte.“ Für sie ist Intel Inside zum Gütesiegel geworden, das Verlässlichkeit, technische Kompetenz und Sicherheit signalisiert. Je mehr das Markenbewusstsein für Prozessoren und ihre Leistungsfähigkeit wächst, desto mehr Computer werden über die Ladentheke gehen. Der Kuchen wird für alle größer.

Doch wenn der Partner zu stark wird, kann es Ärger geben: Partnerfirmen von Intel und NutraSweet sehen diesen „Auftrieb“-Effekt nicht immer so rosig. Schiebt sich nämlich die Komponente zu stark in den Vordergrund, wird aus dem Lift schnell eine Reise im Windschatten. Der Marktanteil anderer Chiphersteller schrumpfte beispielsweise seit Beginn der Intel-Branding-Strategie 1989 bis 1998 von 44 auf 17 Prozent. Sowohl IBM als auch Compaq waren zeitweilig verstimmt oder kündigten sogar ihre Lizenzen, weil sie befürchteten, dass ihre Marken von Intels Präsenz auf allen Kanälen überschattet und sie preislich zu Geiseln der übermächtigen Komponenten-Marke werden würden.

„Heute ist Intel Inside mehr ein Vehikel, mit dem Intel seine Vertriebskanäle kontrolliert“, urteilt Susan Fournier von der Harvard Business School. „Der Konzern benutzt die Marke, um Lieferverträge mit den Herstellern im Griff zu behalten.“ Für Fournier ist der Erfolg der Markenstrategie aus Verbrauchersicht zudem fragwürdig. US-Kunden suchen nach wie vor im Laden nach Dell- oder Gateway-Rechnern – und eben nicht nach einem Computer mit einem Intel-Prozessor.

Ähnliche Eheprobleme beutelten Aspartame, so der ursprüngliche Name von NutraSweet, das seit seiner Entdeckung 1965 bei G. D. Searle & Company zweimal den Eigentümer wechselte. Nach der Markteinführung 1981 besaß die Chemikalie zunächst große Zugkraft für die Nahrungsmittelindustrie, da sie das in Krebsverdacht geratene Saccharin als zuckerfreien Süßstoff ersetzen konnte. In seinen Blütezeiten hatte NutraSweet mangels Konkurrenz und dank seines Patents den 700 Millionen Dollar großen US-Markt für Süßstoff fest im Griff und konnte seinen Partnerfirmen Preis und Brand-Bestimmungen aufzwingen. Sobald das Patent im Schlüsselmarkt USA Ende 1992 ausgelaufen war, sprangen viele Hersteller ab und handelten Verträge mit anderen, preiswerteren Aspartame-Anbietern aus. NutraSweet reagierte und strich unter anderem seine Branding-Richtlinien von 80 auf zwei Seiten zusammen.

Ingredient Branding von unten: das Beispiel Gore-Tex

Wie es gelingen kann, auch ohne Druck oder Milliarden-Budget eine Komponenten-Marke zu etablieren und in enger Partnerschaft mit Herstellern zu pflegen, beweist Gore-Tex. Das wasserdichte, atmungsaktive Gewebe wurde 1969 entdeckt. Der Chemie-Ingenieur Wilbert Gore hatte sich 1958 nach einer Karriere bei DuPont selbstständig gemacht, um neue Anwendungen für Polytetrafluoräthylen (oder DuPontTeflon) zu finden. Sein Sohn Robert Gore entdeckte die Eigenschaft des Stoffes, Wassertropfen abzuweisen, aber Wasserdampf oder Schweiß durchzulassen, wenn die Faser gestreckt wird und die mikroskopischen Poren noch kleiner werden. Gore-Tex musste sich seine Abnehmer unter Sportbekleidungsherstellern jedoch erst mühsam erschließen und wählte den direkten Weg über den Verbraucher. „Hersteller sahen keinen Bedarf für eine solche neue Faser. Wir schufen in Kleinarbeit einen Nachfragesog, so dass Kunden in Geschäften nach unserem Produkt fragten“, berichtet Stephen Shuster, Brand Manager im Gore-Hauptsitz in Delaware.

Die Kampagne an der Basis war ein Häuserkampf. Vertreter demonstrierten die Vorzüge des neuen Gewebes unablässig auf Messen und in Fachgeschäften. Gore Associates schaltete eigene Anzeigen und machte zudem 1989 ein einzigartiges Versprechen, das den Kontakt zum Endverbraucher enorm verstärkte. Der Komponenten-Produzent steht für die Qualität des gesamten Kleidungsstücks gerade, egal von welchem Hersteller. Auch Intel sah sich einmal zu einem solchen Schritt gezwungen. Allerdings nur vorübergehend, als 1994 der neu eingeführte Pentium-Chip einen Rechenfehler aufwies und hunderttausende verunsicherter PC-Besitzer die Firma anriefen. „Das war der Wendepunkt“, sagt Intel-Manager Carter. „Danach fragte niemand mehr, ob wir uns als Marke etabliert haben. Für die Verbraucher waren wir eine – mit allen negativen Folgen, wenn es schief geht.“ Das bei Gore aus dem Differenzierungswunsch geborene Versprechen an den Endkunden geht weiter als diese einmalige Umtauschaktion bei Intel. Wer Mängel findet, kann seine Regenjacke oder sein Zelt direkt an Gore einschicken. Um Pannen zu vermeiden, die die polygame Marken-Ehe in den Abgrund ziehen können, hat das Unternehmen ein rigoroses Qualitätsprogramm entwickelt, das Details bis zu den zulässigen Schnürsenkeln festlegt. Hersteller müssen Prototypen an ein Testlabor einschicken, wo sie in einen Regenraum wandern. Außerdem besuchen „Field Service Teams“ regelmäßig Fabriken, um sich vom Fertigungsstandard zu überzeugen. Wer durchfällt, wird abgemahnt oder fliegt ganz aus dem Programm.

Shuster nennt das einen der Grundsätze für erfolgreiches Management einer Ingredient Brand: „Ein Leck kann das ganze Schiff versenken. Man muss seine Partner sorgfältig aussuchen und sich auf die gesamte Wertschöpfungskette konzentrieren.“

Die Pflege und der Ausbau einer Komponenten-Marke sind eine kontinuierliche Anstrengung, hat Shuster nach 20 Jahren in Gores Diensten gelernt. Zumal, da im Laufe der Zeit Patente auslaufen und immer mehr Konkurrenten ähnliche Produkte zu erheblich günstigeren Preisen anbieten. Einmal im Jahr schwärmen 40 seiner Vertreter in den gesamten USA für drei Tage in bis zu 100 Sportgeschäfte aus und demonstrieren mit Plastikeimern und Stoffproben, was Gore-Tex so alles kann. Das Unternehmen nennt das „Retail Blitz“. Mit Erfolg. Im Unterschied zu Intel verlangen viele Kunden inzwischen nach dem Material, wenn sie in Wirklichkeit ein Kleidungsstück oder Wanderschuhe einer Wirtsmarke kaufen wollen.

Dieser anhaltende Nachfragesog erlaubt es Gore, für sein Material zwischen 15 und 30 Dollar den Meter zu verlangen, während Imitate aus Taiwan für sechs bis acht Dollar zu haben sind. Trotzdem muss Gore sich ständig neu erfinden, um relevant zu bleiben, sagt Shuster. Im Windschatten der berühmten Komponente wirbt das US-Unternehmen in seinem Retail Blitz für zwei Gewebe „von den Machern von Gore-Tex“, die neue funktionale Attribute betonen: mehr Winddichte, mehr Atmungsfähigkeit.

Es ist kein Zufall, dass erfolgreiche Beispiele für Ingredient Brands relativ jungen Datums sind und vor allem aus den USA stammen. Der Markt muss übersättigt sein, der Leidens- und Margendruck der Zulieferer groß genug, um Zutaten zu einem Brand machen zu wollen. Marketing-Wissenschaftler Bengtsson etwa hat vor 1992 so gut wie keine Erwähnungen von Marken-Allianzen in der Fachliteratur finden können. Früher, so vermutet er, waren Zutaten in erster Linie firmeninterne Entwicklungen, die als Neuheit beworben wurden, ohne dass man sich auf den komplizierten Paarlauf in aller Öffentlichkeit einlassen wollte.

Dabei rührte Mars seine süßen Riegel schon in den dreißiger Jahren mit Hershey-Schokolade an. Aber damals war man auch noch etwas zugeknöpfter, wenn es ums Eheleben ging.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.