Über die Notwendigkeit von Impfungen

Sicherheitshinweis: Ihr Gehirn macht erstaunliche Dinge. Zum Beispiel verwandelt es die Angst vor Krankheiten in die Angst, sich gegen Krankheiten impfen zu lassen. 
Lesen Sie den folgenden Text deshalb gründlich, und konsultieren Sie bei Unsicherheiten Ihren Arzt oder Apotheker.




Am Anfang waren es kurze Aussetzer, Sekundenschlaf beim Essen oder plötzliche Abwesenheit mitten im Spiel. Dann ­begann die Vierjährige zu stolpern und vergaß Dinge, die sie eigentlich längst wusste. Die Kindergärtnerinnen bemerkten es als Erste und alarmierten die Eltern. Der Kinderarzt stellte dann die schreckliche Diagnose: SSPE, eine unheilbare Gehirnentzündung, die infolge einer Masernerkrankung ausbrechen kann und unweigerlich zum Tod führt.

Der Fall des Mädchens namens Aliana aus Hessen macht im Herbst 2014 deutschlandweit Schlagzeilen. Bilder zeigen das Kind mit komatösem Blick. Aliana kann zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr sitzen oder sprechen und wird künstlich ernährt. Ihre Gehirnmasse wird von der Krankheit Stück für Stück zersetzt. Die entstehenden Hohlräume fließen mit Wasser voll.

Alianas Schicksal hat Nachrichtenwert, weil die Bilder Symptome einer Krankheit zeigen, die im öffentlichen Bewusstsein kaum noch existiert. Für die meisten Deutschen sind Masern nur noch ein Name – und zwar der Name einer der zahlreichen Impfungen, die für Kleinkinder in den ersten zwei Lebensjahren empfohlen werden. Doch weil ein kleiner, aber kritischer Teil der Bevölkerung nicht geimpft ist, kommt die hochansteckende Infektionskrankheit immer wieder zum Ausbruch.

Bei einem dieser Ungeimpften steckte Aliana sich im Alter von drei Monaten an, durch eine einfache Tröpfchen-infektion wie bei der Grippe. Sie selbst war zu diesem Zeitpunkt noch nicht geimpft, denn die Kombi-Immunisierung für Masern, Mumps und Röteln bekommen Babys erst im Alter von elf Monaten. Die Erkrankung verlief zunächst mild. Die Gehirnentzündung brach erst vier Jahre später aus. In manchen Fällen sucht die Krankheit die Opfer bis zu zehn Jahre nach der Maserninfektion heim.

Doch die Bilder der sterbenden Aliana schockieren die Öffentlichkeit nicht nur – sie polarisieren sie auch. Denn Impfen ist in Deutschland nicht unumstritten. Während Behörden, Pharmaunternehmen und die überwiegende Mehrheit der Ärzte darauf drängen, den existierenden Impfempfehlungen zu folgen, werfen Impfkritiker dem Gesundheitssystem vor, aus Profitinteressen erhebliche Gesundheitsrisiken zu verschweigen und Fälle wie den von Aliana für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.

Die Auseinandersetzung wird seit Jahren mit Vehemenz und quer durch alle Bildungsschichten geführt – aufgeheizt auch von Medizinern, die die Diskussion als Disput zwischen aufgeklärten Experten und esoterischen Verschwörungstheoretikern behandelten. Inzwischen haben alle Beteiligten erkannt, dass sie die Impfkritiker ernst nehmen müssen. Denn die Erfahrung hat gezeigt: So einfach und von oben herab lassen sich die Bedenken der Impfskeptiker nicht abtun.

Allerdings ist die Diskussion um Impfungen gegen Kinderkrankheiten auch kein Thema, bei dem sich beide Parteien bequem in der Mitte treffen könnten, wären sie nur ein wenig kompromissbereit. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hält die flächendeckende Durchsetzung von Kinderimpfungen neben der Bereitstellung von sauberem Trinkwasser für die wichtigste Maßnahme, um die Gesundheit auf dem Planeten zu verbessern. Die Masern wollte sie bis 2015 ausgemerzt ­haben, aber dieses Ziel wird nicht zu halten sein. Auch die Ängste vor Impfschäden, gerade in entwickelten Ländern wie Deutschland, sind für solche Visionen ein ernst zu nehmendes Hindernis geworden. Mit ihren Ursachen beschäftigen sich deshalb mittlerweile nicht mehr nur Mediziner, die Nebenwirkungen penibler nachverfolgen als je zuvor, sondern auch Psychologen, die erforschen, was sich im Menschen ­gegen Impfungen sträubt.

Aufklärung oder Blödsinn?

Wer im Internet den Begriff „Impfen“ eingibt, kommt mit den ersten Treffern gleich auf die Seite Impfkritik.de, ein Leitmedium der deutschen Skeptiker. Betrieben wird sie von Hans Tolzin, seit mehr als zehn Jahren einer der prominentesten Vertreter der Meinung, dass Menschen die Freiheit haben sollten, selbst zu entscheiden, ob sie sich und ihre Kinder impfen lassen wollen. „Das ist für mich ein Grundrecht“, erklärt der Autor mehrerer Bücher zum Thema. Pharmaindustrie und Gesundheitsbehörden wirft er vor, massiven Druck aufzubauen, damit Eltern ihre Kinder immunisieren lassen. „An deutschen Kindergärten herrscht regelrechtes Impfmobbing“, sagt Tolzin. „Viele Kindertagesstätten weigern sich, ungeimpfte Kinder aufzunehmen.“ Dabei sei die Mehrheitsmeinung nicht unbedingt die richtige – und schon gar nicht für jeden Einzelnen. Jeder solle sich selbst seine Meinung bilden können, fordert Tolzin. Das erfordere allerdings eine umfassende Aufklärung – und eben auch die Berichte über die Risiken des Impfens, die von der Pharmaindustrie kleingeredet würden.

Die Liste der möglichen Impfschäden, über die man auf Impfschaden.info lesen kann, ist lang. Sie reichen von Fieber, Rötungen oder Schwellungen an der Impfstelle bis zu Autismus, Autoimmunkrankheiten wie Multipler Sklerose oder Narkolepsie, Diabetes, Sprachentwicklungsverzögerungen oder gar plötzlichem Kindstod. Für Eltern ist es eine Liste des Grauens, für Wissenschaftler eine Aufstellung, die sich mit Wahrscheinlichkeiten abarbeiten lässt, die zwischen häufig und nie liegen. „Impfstoffe sind Arzneimittel, und alle Arzneimittel haben Nebenwirkungen“, sagt Anke Helten, die beim britischen Pharmakonzern GlaxoSmithKline in Deutschland die Kommunikation zu Impffragen betreut. „Aber unser Gesundheitssystem verfügt über Kontrollsysteme, die Impfstoffe sehr, sehr sicher machen.“

Machtvolle Minderheiten

Zwar sind, je nach Quelle, nur 0,4 bis 3 Prozent der Bevölkerung strikte Impfgegner. Doch immerhin 60 Prozent geben in Umfragen an, sich schlecht über Impfungen informiert zu fühlen. Solche Verunsicherung müsse man ernst nehmen, meint Heinz-Josef Schmitt, früher Mediziner an der Universität Mainz und heute bei Novartis tätig. „Die Bundesländer sind gefordert, endlich die im Impfschutzgesetz festgeschriebene Verpflichtung einzulösen, die Bevölkerung über Impfungen aufzuklären“, schrieb Schmitt schon 2004 in einem Beitrag für das Fachblatt Impfen und Infektionsschutz, „und zwar so, dass die Bevölkerung nach der Aktion angibt, über Impfungen gut informiert zu sein.“

Ironischerweise könnte ausgerechnet ein Blick in die Geschichte der eigenen Zunft die Verfechter des Impfens ­demütig machen. Denn einst waren sie es, die das wissenschaftliche Establishment herausforderten. Im Jahr 1796 unternahm der britische Landarzt Edward Jenner ein waghal­siges Experiment. Er ritzte dem achtjährigen Sohn seines Gärtners die Haut an den Unterarmen auf und bestrich die Wunden mit dem Sekret aus einer Kuhpockenpustel, das er bei einer erkrankten Melkerin entnommen hatte. Der Junge wurde krank, doch der Verlauf war milde, und nach wenigen Tagen war die Infektion überwunden. Einige Wochen später wiederholte der Arzt die Prozedur, nur dass er den Jungen mit dem Sekret aus menschlichen Pockenbeulen infizierte. Diesmal wurde der Junge nicht krank und lieferte Jenner zusammen mit 21 anderen Testkandidaten die Bestätigung für seine Hypothese: Eine Infektion mit den relativ harmlosen Kuhpocken macht Menschen immun gegen die menschlichen Pocken, eine der gefürchtetsten Krankheiten jener Zeit und damals die häufigste Todesursache in Europa.

Jenner veröffentlichte seine Erkenntnisse in einem Fachartikel und nannte seine Methode Vakzinierung, nach dem lateinischen Wort „vacca“ für Kuh. Er erntete einen Sturm der ­Entrüstung. Man unterstellte ihm Hexenglauben und warf ihm vor, den menschlichen Charakter zu „vertieren“. Kritiker sammelten Unterschriften, berühmte Zeitgenossen wie Immanuel Kant warnten öffentlich vor Impfungen.

Doch noch stärker als die Vorbehalte waren die Angst und Not, die die Pocken verursachten. Andere Mediziner wiederholten Jenners Experimente, und allmählich setzte sich die Erkenntnis durch, dass der Landarzt einen wichtigen Mechanismus entdeckt hatte: Das menschliche Abwehrsystem hat ein Gedächtnis und ist in der Lage, ähnliche Krankheitserreger bei einer erneuten Infektion rasch zu identifizieren und zu besiegen.

Der Rest ist Medizingeschichte. Regierungen starteten Impfkampagnen, Ärzte und Apotheker entwickelten neue, bessere Impfstoffe – und legten den Grundstein für eine ganze Industrie. In Deutschland waren die Bayern die Ersten, die 1807 eine Zwangsimmunisierung für Säuglinge einführten. 1874 folgte das Reichsimpfgesetz. Die Zahl der Pockeninfektionen begann spürbar zu sinken. Der große Erfolg ermutigte Forscher, auch an anderen Impfstoffen zu arbeiten. Gemeinsam entwickelten beispielsweise Emil von Behring und Paul Ehrlich ein Impfserum gegen Diphterie, das 1894 von den Farbwerken Hoechst industriell produziert und auf den Markt gebracht wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg machte es sich die neu gegründete Weltgesundheitsorganisation zur Aufgabe, einen globalen Zugang zu Impfstoffen zu schaffen. Die Pockenausbrüche gingen rapide zurück. 1980 erklärte die WHO die Pocken für ausgerottet.

Gefährliche Sicherheiten

Zahlreiche andere Krankheiten sind durch Impfungen so weit zurückgedrängt worden, dass sie für die meisten Menschen kaum noch eine ernsthafte Gefahr darstellen. Dazu gehören insbesondere Kinderkrankheiten wie Windpocken, Keuchhusten, Kinderlähmung oder Mumps. Für den endgültigen Sieg gegen diese Krankheiten muss jedoch ein hoher Prozentsatz der Bevölkerung geimpft sein, weil die Erreger erst dann ­keine neuen Wirte mehr finden, in denen sie sich vermehren können.

Bei Masern wäre diese „Herdenimmunität“ bei 95 Prozent erreicht. Allerdings werden in Deutschland nur 37 Prozent der Kinder wie empfohlen in den ersten zwei Lebensjahren zweimal gegen Masern geimpft. Zum Schuleintritt sind es dann zwar immerhin gut 92 Prozent, aber auch das ist noch zu wenig, um die Masern auszurotten. Im Jahr 2013 wurden in Deutschland 1775 Masernfälle gemeldet, deutlich mehr als im Jahr davor. Zwar überwinden viele Kinder die Krankheit, aber können sie sich dann sicher fühlen? Die Gehirnentzündung SSPE (subakute sklerosierende Panenzephalitis), an der Aliana erkrankte, kann sich noch bis zu zehn Jahre später entwickeln.

Impfkritiker stellen allerdings grundsätzlich infrage, ob Immunisierungen tatsächlich so effektiv sind, wie der medizinische Mainstream behauptet. „Viele Wirksamkeitsversprechen sind übertrieben“, sagt etwa Hans Tolzin. Als Paradebeispiel für diesen Vorwurf gilt ihm die Debatte, die sich 2006 nach der Einführung von Impfstoffen gegen humane Papillomaviren entwickelte. Der sogenannte HPV-Impfstoff schützt gegen bestimmte Formen von Gebärmutterhalskrebs, der durch Viren ausgelöst wird. Hersteller und Krankenkassen starteten eine massive Aufklärungskampagne und warben dabei mit großen Versprechen.

So stellte etwa Sanofi Pasteur MSD 2007 in einer Pressemitteilung „einen bis zu hundertprozentigen Schutz vor Gebärmutterhalskrebs und weiteren HPV-bedingten Erkrankungen“ in Aussicht, obwohl dies noch nicht durch klinische Tests bewiesen war und eine Hundert-Prozent-Sicherheit gar nicht erreichbar ist. Das offensive Marketing sorgte selbst bei seriösen Medizinern für Gegenwind. 2008 forderten 13 prominente Wissenschaftler öffentlich eine „Neubewertung der HPV-Impfung und ein Ende der irreführenden Informationen“.

Für die Gesundheitsbehörden, Krankenkassen und Phar­maunternehmen geriet die HPV-Impfung zum PR-Desaster. Zwar haben klinische Studien inzwischen sowohl die Wirksamkeit als auch die Sicherheit der Impfung weiter bestätigt. Doch die anfänglich überzogenen Versprechen haben die Glaubwürdigkeit der Branche verletzt und den Impfgegnern in die Hände gespielt.

Lückenlose Dokumentationen

Industrie und Behörden haben daraus gelernt, dass sie noch intensiver aufklären müssen – und transparenter. Das Paul-Ehrlich-Institut, Deutschlands Impfaufsicht, dokumentiert alle Verdachtsfälle von Impfschäden im Internet. Die 16-köpfige ständige Impfkommission – Stiko – der Bundesrepublik Deutschland wiederum gibt Richtlinien zu Schutzimpfungen und Infektionskrankheiten heraus. Die Empfehlungen der Stiko dienen den Bundesländern als Vorlage für ihre öffentlichen Impfempfehlungen. Sie ist organisatorisch dem Robert-Koch-Institut in Berlin zugeordnet, der zentralen Einrichtung der Bundesregierung für die Krankheitsüberwachung und -prävention. Die Mitglieder der Stiko müssen ebenfalls öffentlich über mögliche Interessenkonflikte Auskunft geben.

Möglich, aber nicht wahrscheinlich 

Dass Impfungen Nebenwirkungen haben können, stellen natürlich auch die Stiko-Wissenschaftler nicht infrage. Zu den häufigen Begleiterscheinungen gehören Fieber oder lokale Ausschläge, eine natürliche Reaktion des Immunsystems. Denn bei Impfungen werden dem Körper abgetötete, chemisch veränderte oder nicht infektiöse Teile von Krankheitserregern zugeführt, gegen die das Immunsystem Antikörper produzieren muss. Für den Organismus bedeutet das Stress. Stärkere Reaktionen dagegen gehen in der Regel mit Allergien oder anderen Vorerkrankungen einher. Einen Zusammenhang von Impfung und bleibenden Schäden hält die ständige Impf­kommission im Jahr 2011 in nur 13 Fällen für grundsätzlich möglich – und auch in diesen für nicht wahrscheinlich. Die schlimmsten Impfrisiken dagegen sind völlig unbewiesen, etwa die Thesen, dass Impfungen Autismus, Multiple Skle­rose oder Diabetes auslösen könnten. 

„Bei den Fallbeispielen, die Impfkritiker ins Feld führen, habe sich bei wissenschaftlichen Prüfungen keine Verbindung herstellen lassen“, schreibt dazu etwa der Wiener Mediziner und Impfexperte Wolfgang Maurer in einem Beitrag für das Fachmagazin Pharmazie in unserer Zeit. Aus rein zeitlichen Zufälligkeiten, etwa dem Zusammentreffen einer Impfung und einer Krankheit, würden fälschlicherweise kausale Zusammenhänge konstruiert, oft mit verschwörungstheoretischen Unterstellungen – und gern von medizinischen Laien. Als seriöse Kritiker betrachtet er Impfgegner wie Hans Tolzin nicht. „Um fachlich Kritik zu üben, muss man solide Fachkenntnisse haben“, schreibt Maurer. „Ein Besitzer eines abstürzenden Computers wird sich zwar über sein Missgeschick ärgern, aber nicht auf die Idee kommen, im Internet eine Seite www.pc-kritik.org zu gründen.“

Deutlich, aber nicht rational 

Die Ironie ist verständlich, dürfte allerdings kaum dazu geeignet sein, Impfskeptiker auf die andere Seite zu ziehen. Denn die Diskussion wird nicht nur in der Arena wissenschaftlicher Argumente ausgetragen, sondern auch im Unterbewusstsein. Dort entfalten die Warnungen der Kritiker starke Wirkung, wie Cornelia Betsch, Expertin für empirische Verhaltensforschung an der Universität Erfurt, herausgefunden hat. 

In einem Experiment untersuchte die Wissenschaftlerin, wie Frauen auf Impfkontroversen im Internet reagieren. Zunächst wurde den Testpersonen eine Impfwerbung vorgespielt, angelehnt an die Kampagnen der Gesundheitsbehörden. Einigen Müttern wurde dabei ein sogenannter Furcht­appell gezeigt („Masern können zu geistiger Behinderung führen!“), anderen eine Präventionsaufforderung („Kommen Sie den Masern zuvor!“).

Im Anschluss sollten sich die Mütter vorstellen, im Netz um Rat bei der Impfentscheidung für ihre Kinder zu fragen. 

In einem simulierten Onlineforum wurden ihnen zehn Antworten zugespielt. Sieben berichteten von einem problem­losen Impfverlauf, drei von mittelschweren Komplikationen wie Diabetes. Das Experiment dauerte zehn Minuten, und als die Testmütter anschließend nach ihrer Einstellung befragt wurden, war das Bedrohungsgefühl durch Impfungen deutlich gestiegen. Die Angst, das Kind könne im Fall der Nicht­impfung an Masern erkranken, hatte hingegen nicht zugenommen. Im Gegenteil: Die Warnung, Masern könnten zu geistiger Behinderung führen, erhöhte sogar das wahrgenommene Impfrisiko. 

Betsch führt dies auf eine „Quellenkonfusion“ zurück: Die Information hinterlässt ein negatives Gefühl, dessen Herkunft nicht mehr verortet wird. Und weil Menschen außerdem grundsätzlich mehr Angst haben, etwas Falsches zu tun, als etwas Richtiges zu unterlassen, wird das Risikoempfinden eher auf die Impfung übertragen als auf die damit verhin­derte Krankheit. 

Entscheiden über die Ausrottung von Krankheiten wie Masern am Ende also nicht Vernunft und Medizin, sondern die menschliche Psyche, die Impfrisiken im Zweifel höher einschätzt als Erkrankungsrisiken? Wissenschaftlich gesehen ist die Wahrscheinlichkeit, an Masern zu erkranken und eine Hirnentzündung zu bekommen, tausendmal größer als das Risiko, einen Impfschaden zu erleiden. Doch der Mensch ist, wie er ist. Und deshalb wird die WHO ihr Ziel, die Masern 2015 für besiegt zu erklären, nicht erreichen.

Streng kontrolliert

Laut Weltgesundheitsorganisation haben Impfstoffe einen enormen Einfluss auf die öffentliche Gesundheit. Sie folgen in ihrer Bedeutung unmittelbar hinter der Versorgung mit Trinkwasser auf Rang zwei. Impfungen zählen zu den effektivsten und kostengünstigsten Strategien zur Bekämpfung und Kontrolle von Infek­tionskrankheiten und damit zu den häufigsten medizinischen Maßnahmen überhaupt. Dabei unterscheiden sie sich von allen anderen ärztlichen Eingriffen. Weil sie nicht nur auf den Nutzen des Einzelnen abzielen, sondern auch auf den Schutz der gesamten Bevölkerung. Und weil sie millionenfach bei gesunden Menschen durchgeführt werden. Gute Gründe, auch an die Sicherheit, Wirksamkeit, Verträglichkeit und die Herstellung von Impfstoffen besondere Ansprüche zu stellen. Die Produktion von Impfstoffen unterliegt weltweit strengen Vorschriften; hierzulande sind sie durch das Arzneimittelgesetz (AMG) geregelt. Danach muss jede Charge (die üblicherweise 100.000 Impfdosen umfasst) vor dem Inverkehrbringen in Deutschland vom Paul-Ehrlich-Institut (PEI) als unabhängige Behörde freigegeben werden. Dieser nationale Freigabebescheid erlaubt es dem pharmazeutischen Unternehmer, die Charge in Deutschland zu vermarkten. Die europäische Genehmigung für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln erfolgt für alle EU-Mitgliedsstaaten durch die oberste Behörde, die Europäische Arzneimittel-Agentur, EMA. Hat die Behörde den Impfstoff abgenommen, muss sich auch der Hersteller Kontrollen unterziehen und beweisen, dass er in der Lage ist, das Mittel in gleichbleibend hoher Qualität herzustellen. Diese „Good Manufacturing Practice“ umfasst eine Dokumentation aller Arbeitsschritte sowie eine regelmäßige Überprüfung der Labore, Geräte, Zulieferbetriebe und des Ausgangsmaterials. Verglichen mit traditionellen pharmazeutischen Produkten wie etwa Tabletten, benötigen Impfstoffe einen längeren Produktionszyklus von sechs bis 22 Monaten. Dabei wird das Gros seit mehr als einem Jahrhundert nach den sogenannten Prinzipien von Pasteur entwickelt, das heißt der Isolierung, Inaktivierung und Injektion der Infektionserreger einer ansteckenden Krankheit. Erst in den vergangenen Jahren sind auch neue, zum Teil sehr vielversprechende Herstellungsarten erforscht worden, allen voran gentechnische oder auch strukturbiologische Methoden. Die Produktion von Impfstoffen ist aufwendig und erfordert strenge Sicherheits- und Qualitätskriterien. Laut Angaben von Sanofi ­Pasteur MSD macht die Qualitätskontrolle etwa 70 Prozent der Gesamtproduktionszeit aus – insgesamt sind mehr als 50 ­Kontrolltests nötig. Nach jedem Produktionsschritt finden Prüfungen auf Reinheit, Sterilität und Wirksamkeit statt, bevor zunächst der Hersteller und dann die zuständige Behörde die Chargenfreigabe der Impfstoffe erteilt.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.