Der Mediziner

Wolf-Dieter Ludwig, Chefarzt der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie im
Helios Klinikum Berlin-Buch und Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ)




„Wir Ärzte befinden uns in einem Dilemma. Unser primäres Interesse ist die optimale Versorgung von Patienten, dafür brauchen wir gute therapeutische Möglichkeiten, und Arzneimittel stehen dabei weit oben. Auf der anderen Seite sind wir als Verordner diejenigen, die begrenzte Ressourcen vernünftig einsetzen und deshalb auch ökonomisch denken. Und für die pharmazeutischen Hersteller sind wir besonders wichtig, weil wir letztlich entscheiden, welches Medikament auf dem Markt besteht. Das bringt uns in eine schwierige Situation – gerade im Verhältnis zur Pharmaindustrie. Denn auch wenn uns die Industrie mit wichtigen Arzneien versorgt, sind unsere Interessen doch verschieden. Unternehmen sind profitorientiert, Mediziner hingegen wollen vor allem die bestmögliche Therapie verordnen.

Natürlich ist die Pharmaindustrie nicht per se mein Feind, die Unternehmen handeln sehr unterschiedlich. Einige folgen hohen ethischen Standards, andere aber sind rücksichtslos bei der Durchsetzung ihrer Interessen.
Da werden Ärzten Beraterverträge angeboten
und üppige Vortragshonorare gezahlt. Es
werden negative Studienergebnisse ver-
heimlicht, positive überhöht, und statt
mit sachgerechten Informationen wer-
den die Praxen mit geschönten Broschüren
geflutet. Ich weiß, dass die Branche einen eigenen Verhaltenskodex aufgestellt hat, aber die Praxis beweist, dass zu oft dagegen verstoßen wird.

Das ist ein großes Problem, denn um medizinisch begründet zu entscheiden, ob man ein Medikament einsetzt oder nicht, braucht man unabhängige Informationen. Die aber sind hierzulande nur selten zu bekommen. Sind die neuen, teuren Medikamente wirklich sinnvoll? Im Alltag fallen angesichts dieser Frage meist Bauchentscheidungen. Und am Ende merkt man, dass weniger als ein Drittel einen therapeutischen Fortschritt bringt.

Gerade bei Neuheiten gibt es ein deutliches Wissensgefälle zwischen Industrie und Medizinern, dadurch entsteht oft eine zumindest gefühlte Abhängigkeit. Und die nutzen Pharmaunternehmen gezielt aus. Was ich aber genauso kritikwürdig finde: Ärzte machen in diesem Spiel mit, sie versuchen oft nicht einmal, sich unabhängig zu informieren. Viele meinen, dass ein neues Arzneimittel automatisch auch besser wirksam ist und sofort verordnet werden sollte.

Klar, es ist nicht einfach, den Einflüsterungen der Industrie zu widerstehen. Wir brauchen für medizinische Forschungen ja auch Geld von der Industrie, weil öffentliche Gelder gestrichen wurden. Viele Ärzte fühlen sich auch geschmeichelt, wenn sie zu einem Vortrag eingeladen werden, junge Mediziner verdienen sich gerne ein Zubrot. Und neben all dem ist es nun einmal bequemer, abends auf der Couch eine kostenlose Broschüre zu lesen, als sich mühsam eigene Informationsquellen zu suchen und Originalliteratur zu lesen. Ich habe das als junger Arzt auch gemacht, heute erscheint es mir vollkommen widersinnig. Denn man wird desinformiert, gerät in einen inneren Widerspruch – und natürlich beeinflussen solche Beziehungen auch die Verordnungspraxis.

Inzwischen weiß ich es besser: Man kann sich ohne Informationsverlust von der Marketingmaschine abschotten. In der von mir geleiteten Klinik kommt kein Pharmavertreter mehr auf die Station, höchstens noch in mein Zimmer und muss dann bei echten Neuheiten vor großer Runde – Klinikbesprechung mit allen Ärzten – bestehen Hochglanzbroschüren sind unerwünscht und werden sofort entsorgt, Geschenke sind tabu.

Wir wissen trotzdem nicht weniger als andere Kollegen. Es gibt unabhängige Informationsquellen wie den „Arzneimittelbrief“ oder die Mitteilungen der AkdÄ, man kann Originalstudien und die Bewertungen des IQWiG lesen. Das ist deutlich mehr Arbeit, aber wenn ich ein Auto kaufe, frage ich ja auch nicht nur den Hersteller nach dessen Vorzügen.


Ich glaube nicht, dass die Industrie jemals aufhören wird, zumindest ein bisschen zu mogeln. Deshalb müssten schon Medizinstudenten auf Selbstschutz trainiert werden. Und es müsste mehr unabhängige Forschung geben, die als Ziel den medizinischen Fortschritt hat und sich nicht an Umsatzerwartungen orientiert. Dann bekämen wir eher die Medikamente, die wir wirklich brauchen, und es gäbe auch keine Mondpreise mehr, weil sich wirklich gute Medikamente immer durchsetzen und rentieren werden.

Ich bin skeptisch, ob die Pharmaindustrie das selbst leisten kann. Dahinter verbergen sich ja oft international agierende Konzerne mit Verkaufsdruck und Leistungszielen – mit wissenschaftlicher Argumentation allein sind die kaum zu erreichen. Die müssen ja geradezu tricksen. Manchmal tun sie mir deshalb regelrecht leid.“


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.