Nur Geduld

Nordeuropa ist bei der Gleichberechtigung weit gekommen: In Schweden gehen fast ebenso viele Frauen arbeiten wie Männer, und sie stellen laut Statistik immerhin ein Drittel der Manager des Landes. Bis ins Top-Management großer Unternehmen dringen sie dennoch kaum vor. Woran liegt das?





Wenn es um Fragen der Gleichberechtigung geht, zeigt die deutsche Politik gern nach Norden. Aber auch in Skandinavien gibt es nur wenige Frauen an der Spitze.
 Signhild Arnegård Hansen, Unternehmerin, sechsfache Mutter und bis vor Kurzem Präsidentin des schwedischen Arbeitgeberverbandes Svenskt Näringsliv, rät trotzdem zur Geduld:
 Der Einzug von Frauen ins Top-Management ist nur eine Frage der Zeit, sagt sie – wenn wir der Verlockung widerstehen, Quoten einzuführen.

Das liegt vor allem an der spezifisch schwedischen Wirtschaftsstruktur. Viele der großen börsennotierten Unternehmen sind nun einmal technische Betriebe, auch in den Vorstandsetagen finden Sie da in erster Linie hoch qualifizierte Ingenieure. Diese Struktur ist ein wesentlicher Grund dafür, weshalb wir bislang noch zu wenige Frauen an der Spitze haben. Inzwischen entscheiden sich zwar mehr Frauen für ein Ingenieurstudium als früher. Aber es sind eben noch immer zu wenige. Bei anderen Studiengängen, etwa in der Medizin oder auch in der Betriebswirtschaft, sieht es besser aus. Entsprechend besser ist auch das Bild in den Führungsetagen anderer Branchen – abseits der börsennotierten Unternehmen.

Der Branchenmix kann nicht die einzige Erklärung für die Abwesenheit von Frauen sein.

Nein, natürlich nicht. Es sind auch die von Frauen gewählten Karrieren. Wir sehen, dass Frauen häufig nicht darauf aus sind, die ganz große Verantwortung für das operative Geschäft und die Finanzen zu übernehmen. Sie bevorzugen sichere, administrative Jobs, die Arbeit in Personalabteilungen beispielsweise.

Das würde auch den hohen Frauenanteil im öffentlichen Dienst in Nordeuropa erklären ...

So ist es, und die schwedische Politik hat ja auch viel unternommen, um die Gleichberechtigung von Frauen voranzutreiben. Sie hat die rechte von Frauen gestärkt, sie hat dafür gesorgt, dass die Unternehmen sich mit der Frauenfrage beschäftigen müssen, dass sie den Behörden gegenüber Rechenschaft schuldig sind. Und sie hat vor allem dafür gesorgt, dass sich Beruf und Familie vereinbaren lassen.

Sie meinen die frühe Einführung des Elterngeldes und den Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen – vor Jahrzehnten. Beides gilt uns in Deutschland als Vorbild. In Schweden wählen selbst Männer die bezahlte Elternzeit, siebzig Prozent der unter Sechsjährigen besuchen eine Kita, und das unbürokratische schwedische System der Betreuung erlaubt es den Eltern zudem problemlos, sich um die Pflege ihrer kranken Kinder zu kümmern.

Ja, das waren viele kleine Schritte, und auch an der Ausbildungsfrage wird intensiv gearbeitet. Wir unternehmen eine Menge, um Mädchen und Frauen für technische Berufe zu interessieren. Deshalb glaube ich auch, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis wir im Top-Management mehr Frauen sehen werden.

Ich leitete bis zum Sommer, als erste Frau und Inhaberin eines Familienunternehmens, den schwedischen Wirtschaftsverband Svenskt Näringsliv. Ich bin Unternehmerin und sitze in einer reihe von Aufsichtsräten. Deshalb glaube ich, einen guten Überblick zu haben. Und ich kann Ihnen sagen: Der entscheidende Generationswechsel in den Chefetagen steht kurz bevor.

Was macht Sie da so optimistisch?

Nun, die Generation, die nachrückt, wird nicht nur schon viel stärker von Frauen geprägt. Sie unterscheidet sich auch dadurch, dass es in ihr einen anderen Schlag Männer gibt als früher, Männer, die auch im Familienleben mehr Verantwortung übernehmen wollen als die Männer der Generation zuvor. Es gibt ein anderes Klima, mehr Verständnis, bessere Chancen für Frauen – wenn diese Frauen die Karriere wollen. Sie stehen sich da leider doch noch sehr oft selbst im Weg. Sie erkennen zum Beispiel nicht, dass sie im Wettbewerb am Arbeitsmarkt die Wahl haben: Kommen sie in einem Unternehmen nicht voran, aus welchen Gründen auch immer, können sie es mit ihrer Kompetenz andernorts versuchen.

Mit Hinweisen wie diesen machen Sie sich bei Ihren Geschlechtsgenossinnen vermutlich nur wenige Freunde.

Da gibt es ab und zu schon böse Kommentare. Aber so ist es nun mal: Es ist leichter, die Schuld auf die Männer oder das Kollektiv abzuschieben, als an sich selbst zu arbeiten. Jeder Mensch ist ein Individuum. Jeder steht für sich selbst.

Vor einigen Jahren gab es in Nordeuropa und Griechenland eine Initiative namens „Women to the Top“, in die fünfzehn große schwedische Unternehmen eingebunden waren. Sie nahmen sich vor, endlich auch Frauen ins Top-Management einzuschleusen. Das Ergebnis dieses Engagements, sagen Wissenschaftler wie Ulla Eriksson-Zetterquist, war ernüchternd: Trotz des erklärten Ziels gelangten die hoch qualifizierten Kandidatinnen des Programms kaum bis in die Vorstände.

Aber liegt das denn wirklich am Geschlecht? Mir ist der Blick dieser Untersuchungen oft zu akademisch. Bei Studien wie diesen wird zum Beispiel oft vergessen, wie wichtig bei der Rekrutierung in die Gremien die Erfahrung ist, die ein Kandidat mitbringt. Natürlich haben wir heute viele kompetente Frauen. Aber sind sie auch schon lange genug dabei? Ich glaube nicht, und deshalb sage ich ja: Das Ganze ist wirklich eine Frage der Zeit.

Der Anteil der Frauen im mittleren Management und derer, die eigene Betriebe gegründet haben, steigt. Diese Frauen wissen, was Verantwortung bedeutet. Die wissen, wie man Verhandlungen führt. Wie man einen Deal macht. Diese Generation wird die richtigen Erfahrungen mitbringen, um im Board anderer Unternehmen zu sitzen. Und ganz nebenbei, da wir bei diesem Thema oft von der Macht und Ohnmacht der Frauen sprechen: Es ist im Arbeitsleben ein erheblicher Machtfaktor, eine eigene Firma gegründet zu haben und zu führen.

Sie sitzen in einigen wichtigen Aufsichtsräten, in dem der SEB beispielsweise, typischerweise eine Männerdomäne. Sehen Sie dort Anzeichen für Entwicklungen, die Ihre These stützen?

Gerade bei der SEB gibt es interne Förderprogramme, der CEO dort ist eine Frau, Annika Falkengren, und die Frauenfrage kommt stets zur Sprache, wenn Stellen im Management zu besetzen sind. Nach meiner Beobachtung ist aber auch andernorts der Wunsch vorhanden, mehr Frauen in die Boards zu holen, eine gesunde Mischung zu haben, das erweitert die Perspektiven und auch das Marktverständnis. Aber die Kandidatinnen müssen nun einmal die nötige Erfahrung mitbringen. Und daran mangelt es oft noch, das könnten Ihnen auch die Headhunter bestätigen, mit denen die Unternehmen zusammenarbeiten.

Bei Ihren Nachbarn in Norwegen hat 2003, mit einer Umsetzungsfrist bis 2008, die Politik nachgeholfen: mit einer Frauenquote für die Aufsichtsräte, die sehr erfolgreich zu sein scheint. Könnte das den Prozess nicht auch in Schweden und anderswo beschleunigen?

Ich glaube nicht, dass uns Quoten weiterbringen. Mir erscheint es schon mit Blick auf den sich abzeichnenden Fachkräftemängel wichtiger zu sein, mehr Frauen für technische Berufe zu interessieren und zu Ingenieuren auszubilden. Der Fachkräftemangel, der uns im Übrigen auch zu einer besseren Förderung der Migranten animieren sollte, wird mit dazu beitragen, die Entwicklung anzutreiben.

Sie können Frauenquoten also wenig abgewinnen?

Positive Impulse, Anreize und Mentorenprogramme sind gut – Zwang ist es nicht. Aus meiner Sicht hatte die Quote in Norwegen vor allem zur Folge, dass sich derzeit weniger Frauen als früher im operativen Management finden, weil die Politik sie verfrüht in die Kontrollgremien schob. Für das mittlere Management und für das Top-Management im operativen Geschäft war das nicht unbedingt gut. Die Regelung brachte nicht mehr Frauen ins Gesamtsystem. Sie schlug lediglich andernorts Lücken.

Die tollen Zahlen, von denen überall die rede ist, gibt es damit zunächst nur auf dem Papier. Für Politiker ist das natürlich verlockend: Die Quote beschert ihnen vermeintliche Erfolge, deshalb sprechen bisweilen sogar schwedische Politiker davon, obwohl wir den Zwang per Gesetz eigentlich ablehnen. Ich hoffe, wir bleiben dabei. Wir brauchen keine Quote. Die neue Generation kommt. Und die Generation der Männer, die gemeinsame Jagdausflüge mögen, tritt ab. Mit ihr verschwinden auch die alten Netzwerke und Hierarchie-Vorstellungen.

Diese „neue Generation“ – wen genau meinen Sie damit eigentlich: Die Generation der heute Fünfzigjährigen, Ihre eigene also?

Nein, eher die der Mitte der Siebzigerjahre Geborenen. In ihr gibt es viele sehr starke und sehr gut ausgebildete Frauen.

Die finden sich auch unter den Älteren, Sie selbst sind das beste Beispiel dafür. Sie haben Ihre Karriere trotz der Dominanz der Männer gemacht. Sie sind Mutter von sechs Kindern und Unternehmerin. Svenska Lantchips, 1991 von Ihnen gegründet, ist ein international erfolgreicher Kartoffelchips-Hersteller.

Ich bewegte mich als junge Frau noch in einer Welt, die meine Ambitionen und Management-Versuche zunächst voller Skepsis beobachtete. Ich bin allerdings nicht sicher, ob das nicht stärker mit meiner Jugend als mit meinem Geschlecht zu tun hatte. Der Respekt, den mir die Männer entgegenbrachten, stieg aber mit dem Erfolg von Svenska Lantchips.

Wie reagierten andere Frauen auf Sie?

Es gab kaum andere Frauen, die so dachten wie ich. Das änderte sich erst nach der Jahrtausendwende. Auf einmal wurde es „trendy“, sich als Unternehmerin zu versuchen. Ich reiste seinerzeit kreuz und quer durchs Land, um von meinen Erfahrungen zu berichten. Wichtig für das neue Bewusstsein, das damals entstand, waren aber nicht zuletzt Initiativen, die schon Schüler mit Unternehmern in Kontakt brachten und eigene Erfahrungen als Unternehmer sammeln ließen. Vorbilder haben eine enorme Bedeutung – auch und gerade für das Interesse und die Ambitionen junger Frauen.

Wie erleben Sie die Situation in anderen Ländern – beispielsweise in den USA, mit denen Sie ja allein über Svenska Lantchips viel zu tun haben. Haben es die amerikanischen Frauen besser?

In den USA finden Sie schon heute viel mehr Frauen im Top-Management als etwa in Schweden. Aber ihr Preis für die Karriere ist hoch: Die Frauen, die Sie in den Vereinigten Staaten an der Spitze sehen, verzichten oft auf ein Familienleben, sie arbeiten 24 Stunden. Das wollen wir in Schweden nicht. In unserem Land herrscht eine andere Kultur, die Familie zählt hier schon immer sehr viel. Und das gilt erst recht für die nächste Generation. Unsere Idealvorstellungen von Beruf und Familie haben sich in den vergangenen Jahren grundlegend geändert. Bei jungen Frauen – und Männern.

DIE QUOTE – FLUCH ODER SEGEN?

In Gleichstellungsfragen gelten die skandinavischen Länder schon lange als Vorbild. In der Top-Ten-Liste des aktuellen Global Gender Gap Index des Weltwirtschaftsforums sind die Plätze 2, 3 und 4 von Norwegen, Finnland und Schweden belegt, Dänemark folgt auf Platz 7 (Deutschland belegt Platz 13). Spitzenreiter ist – genau wie in 2009 – Island.

Furore machte der Zweitplatzierte: Als Norwegen 2003 als erster Staat eine radikale Frauenquote verabschiedete, sorgte das weltweit für Schlagzeilen. Dass neben allen Unternehmen im Staatsbesitz auch alle privaten Aktiengesellschaften bis spätestens 2008 mindestens 40 Prozent ihrer Aufsichtsratsposten mit Frauen besetzen mussten, wenn sie keine Strafe riskieren wollten, sorgte für heftige Proteste: Wenn Proporz über Sachverstand ginge, drohten ökonomische Fehlentscheidungen, hieß es. Ausländische Investoren würden womöglich das Vertrauen in die örtliche Börse verlieren. Außerdem gebe es gar nicht genügend Frauen. Ein Firmenchef aus Oslo fürchtete sogar, man werde wohl einen Hostessendienst beauftragen müssen, um das Ziel des allgemeinen Gleichstellungsgesetzes zu erreichen.

Tatsächlich verfehlte keine einzige der rund 450 betroffenen Aktiengesellschaften die 40-Prozent-Marke, inzwischen sind 600 Frauen in die norwegischen Verwaltungsräte eingezogen, etwa fünf Prozent von ihnen leiten das Gremium. Selbst nicht regulierte Firmen sind nachgezogen: In den Top-65 ist mittlerweile jeder vierte Kontrolleur weiblich, so eine Studie des Centers for Corporate Diversity in Oslo. Insgesamt lag der Frauenanteil in den höchsten Entscheidungsgremien der größten börsennotierten Unternehmen in Norwegen im vergangenen Jahr bei 42 Prozent, so eine Erhebung der Europäischen Kommission. Zum Vergleich: In Deutschland lag er im Jahr 2009 bei 13, im EU-27-Durchschnitt bei elf Prozent.

Kein Wunder, dass EU-Justizkommissarin Viviane Reding eine Frauenquote auf europäischer Ebene nicht mehr ausschließt. Ginge es nach ihr, müssten Europas Konzerne bis Ende 2011 deutlich mehr und spätestens im Jahr 2020 mindestens 40 Prozent aller Aufsichtsratspositionen mit Frauen besetzt haben. Für Reding ist der Zwang per Gesetz nur das „letzte Mittel“. Aber die Tatsache, dass sich der weibliche Anteil in Europas Kontrollgremien in den vergangenen sechs Jahren nur von acht auf elf Prozent erhöht habe, zeuge in ihren Augen von einer zu großen Lethargie auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite.

Dabei scheint der Druck aus Brüssel gar nicht nötig, das Beispiel Norwegen macht in Europa ohnehin bereits Schule. So mancher Staat ist dem Vorreiter schon gefolgt und hat einen vorgeschriebenen Anteil von Frauen in Aufsichts- und Verwaltungsräten oder Staatsbetrieben eingeführt. Spanien hat sich verpflichtet, bis 2015 eine Frauenquote von 40 Prozent zu erreichen, Island schreibt das allen Betrieben mit mehr als 50 Beschäftigten sogar bis 2013 vor, die Niederlande verlangen von Betrieben mit mehr als 250 Mitarbeitern spätestens 2016 eine 30-Prozent-Quote sowohl im Aufsichtsrat als auch im Vorstand. In Frankreich muss das entsprechende Gesetz nur noch ratifiziert werden. Geht es durch, muss 2013 jeder fünfte Aufsichtsratsposten mit einer Frau besetzt sein, ab 2016 gilt dann eine 40-Prozent-Quote.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.