Ein Plädoyer für die Geräuschmaschine

Professor Ariely, Sie beschäftigen sich seit Jahren mit der Frage, wieso wir uns im Geschäfts- und Privatleben unvernünftig verhalten und unsere Fehler mit schöner Regelmäßigkeit wiederholen. Was treibt den Menschen zur Unvernunft?





Verhaltensökonom Dan Ariely über Vernunft, genetische Programme, Hindernisse im Kopf – und die Hürden im System, die Frauen vom Einzug in die Chefetage abhalten.

Das Menschsein. Rein rational wissen wir ja genau, was wir tun und wie wir uns verhalten sollten. Wir sollten Entscheidungen treffen, die in unserem besten Interesse sind. Theoretisch sollten wir in der Lage sein, verschiedene Optionen abzuwägen und diejenige auszuwählen, die unseren langfristigen Zielen am besten nützt. Das heißt, für morgen zu sparen, statt heute alles auszugeben, an der Salattheke zuzugreifen und sich am Kuchenbüfett zurückzuhalten, eine dringende Aufgabe heute anzugehen und sie nicht auf die lange Bank zu schieben. Die Betonung liegt auf dem Wörtchen „sollten“, denn wir wissen alle, dass menschliches Verhalten in Wahrheit ganz anders aussieht ...

Und der Bruch zwischen Theorie und Wirklichkeit ist die Spielwiese des Verhaltensökonomen.

Genau. Unsere Disziplin geht im Gegensatz zu den klassischen Wirtschaftswissenschaften nicht davon aus, dass der Mensch wie ein Computer alle vorhandenen Informationen verarbeitet, Wahrscheinlichkeiten und Möglichkeiten berechnet, das für und Wider abwägt und dann unbeirrbare, nüchterne Entscheidungen fällt. Wir alle tun das Gegenteil. Wenn wir Signale wie das Wort „gratis“ sehen, durch gezielt ausgewählte Menüpunkte abgelenkt werden, uns an etwas Angenehmes oder Unangenehmes erinnern oder eine kurzfristige Belohnung kassieren können, dann springen Verhaltensmuster an, die in uns programmiert sind – wir können gar nicht anders. Ein gutes Beispiel ist die Angst, etwas herzugeben, das man bereits besitzt, auch wenn man im Gegenzug etwas ungleich Wertvolleres bekommen kann.

Kann sich der Verhaltensökonom auch einen Reim darauf machen, warum es - trotz ihrer Zahl und ihrer Qualifikation so selten bis in die Chefetage bringen?

Zu dieser frage gibt es inzwischen eine Menge interessanter Untersuchungen. Und auch hier lautet die wichtigste Antwort: Mit Vernunftgründen lässt sich das Phänomen kaum erklären. Frauen sind so gut wie Männer und so schlau wie Männer, sie besitzen alle Talente. Aber Frauen begrenzen sich sehr oft selbst. Es gibt zum Beispiel ein Experiment, in dem sollten Amerikanerinnen asiatischer Herkunft in einer Gruppe gemeinsam mit Männern einen Mathe-Test absolvieren. Wurden die Kandidatinnen vor dem Test explizit daran erinnert, dass sie Asiatinnen sind, erzielten sie sehr gute Ergebnisse. Der vorherige deutliche Hinweis auf ihr Geschlecht sorgte hingegen für schlechtere Lösungen. Wir nennen das „Framing“, also das absichtliche Setzen von Rahmenbedingungen.

Ist das rational? natürlich nicht. Aber das Experiment geht noch weiter: für denselben Test stellten die Kollegen in einer neuen Versuchsanordnung im Raum ein Gerät auf, das ein permanentes Rauschen erzeugte. Den Probandinnen sagten sie, dass diese „unterschwellige Geräuschmaschine“ Stress verursache, was ihre Konzentration und dadurch wiederum ihre Rechenkünste beeinträchtigen könne. Und siehe da: Mit der nutzlosen Maschine im Raum fielen die Resultate der Frauen für dieselben Tests deutlich besser aus als ohne.

Welchen Schluss zog die Wissenschaft daraus?

Frauen lassen sich von ihrem Frausein blockieren. Wir alle leiden im Alltag unter Stress oder den Anflügen von Unsicherheit und Angst. Wichtig ist, welche Gründe wir dafür verantwortlich machen. Es scheint, als ob Frauen Angstgefühle viel zu oft in der Tatsache begründet sehen, dass sie weiblich sind. Das reduziert ganz klar ihr Selbstvertrauen und ihr Können.

Sollte es so einfach sein? Das würde ja bedeuten, dass wir nur geschickt die richtigen Rahmenbedingungen setzen müssten, damit Frauen und Männer auf Augenhöhe antreten.

Das ist schwer zu sagen, denn im Verhalten der Geschlechter gibt es ja noch eine Reihe weiterer Unterschiede. Mein Kollege Uri Gneezy an der University of California in San Diego beispielsweise hat untersucht, ob Männer und Frauen ein unterschiedliches Talent zum Verhandeln besitzen. Auch er hat eine gemischte Gruppe von Probanden zusammengestellt, die Rechenaufgaben lösen sollten. Sie wurden für richtige Antworten belohnt. Dabei stellte er sie vor die Wahl: Die Testperson konnte die Aufgaben entweder der Reihe nach beantworten und wurde pro Ergebnis bezahlt. Oder sie ging in Konkurrenz und trat gegen drei andere Kandidaten an. Dem Sieger der Wettbewerbsvariante winkte eine viermal höhere Summe als dem Einzelkämpfer, alle anderen in der Vierer-Gruppe gingen leer aus. Jeder Proband konnte sich also aussuchen, ob er allein für seine persönliche Leistung bezahlt werden will oder ob er einen Wettbewerbsbonus riskiert.

Und was kam dabei heraus?

Sie ahnen es: Männer lieben die Konkurrenz und wählen die Risikovariante viel öfter als Frauen – aber das sogar, wenn sie nach eigenen Angaben schlecht rechnen können! Demgegenüber schlagen selbst gute Mathematikerinnen den Wettbewerb aus. Es gibt also je nach Geschlecht eine inhärente Vorliebe oder Abneigung für Konkurrenzsituationen. Das hat nicht nur Einfluss auf die Frage, wie aggressiv die Geschlechter verhandeln. Es hat fundamentale Konsequenzen für die Frage, wie man eine Karriereleiter erklimmt.

Und es bringt nicht zwangsläufig die Besten, sondern die Risikofreudigsten an die Spitze. Aber davon einmal abgesehen: Sollen Frauen nun also die Lust an der Konkurrenz entwickeln?

Große Organisationen, in denen viele um die wenigen Führungspositionen konkurrieren, belohnen nun einmal eher ein wettbewerbsorientiertes Verhalten, ganz unabhängig vom Geschlecht. Aber ja, eine frau, die sich auf die klassischen Konkurrenzgebiete nicht einlässt, hat es schwer. Zu diesem Thema kann ich ein hervorragendes Buch von Linda Babcock und Sara Laschever empfehlen, „Women Don’t Ask“. Die beiden Autorinnen zeigen, dass Frauen sich auch auf anderen Gebieten oft zurücknehmen. Sie fragen nicht nach dem, was ihnen zusteht, vom Bewerbungsinterview über eine Gehaltserhöhung bis hin zur Beförderung. Frauen, die hart verhandeln, fürchten, von ihrer Umwelt negativ wahrgenommen zu werden. Männer hingegen sind stolz auf ihre brutalen Verhandlungsmethoden – sie prahlen hinterher beim Boss, und der freut sich sogar mit ihnen.

Wenn sich Frauen so verhalten, glauben sie, dass ihre Umgebung sie deswegen weniger schätzt, und Experimente belegen, dass das tatsächlich der fall ist. Es gibt soziale Stereotypen gegenüber Frauen, die mit harten Bandagen antreten, deshalb verkneifen sich viele ein solches Verhalten gleich vorbeugend, einmal ganz abgesehen von ihrer Lust. Aber natürlich hat gerade das wiederum Auswirkungen auf ihren Erfolg und ihre Beförderung.

Das klingt ziemlich ausweglos und in Summe nach der bequemen These, wonach Frauen selbst schuld sind, wenn sie unter der gläsernen Decke stecken bleiben, weil sie ihr Fortkommen systematisch selbst sabotieren.

Der ehemalige Harvard-Präsident (und bis vor Kurzem Obamas Wirtschaftsberater) Larry Summers löste vor einigen Jahren einen Sturm der Entrüstung aus, als er in einer Rede laut darüber nachdachte, ob es einen angeborenen Unterschied zwischen Frauen und Männern gibt, der dazu führt, dass Erstere in wissenschaftlichen und mathematischen Karrieren weniger erfolgreich sind. Ich denke, er hat eine wichtige und legitime Frage gestellt: Warum gibt es nur wenige Frauen an der Spitze akademischer Einrichtungen?

Und, wie lautet Ihre Antwort?

Ich möchte die frage ein wenig abändern. Bieten Hochschulen einen guten Karriereweg für Frauen? Ich glaube, nein. Ich habe eine Menge junger Studentinnen in meinen Seminaren und diskutiere das oft mit ihnen. Denn es ist doch so: Wer es in der Wissenschaft zu etwas bringen will, beendet sein Grundstudium mit 22 und promoviert mit 27 oder 28. Die nächsten drei bis vier Jahre widmet er einem Postdoc-Programm, zieht ein paar Mal um und steigt dann mit Anfang 30 als Assistenz-Professor in die akademische Laufbahn ein.

Ein guter Job mit Anfang 30, wo ist das Problem?

nun, jetzt liegen weitere sieben Jahre vor mir, um eine Festanstellung als Professor zu erlangen. Diese Phase ist äußerst stressig und erfordert vollen Einsatz. An einer guten Universität werden nur ein Drittel der Anwärter übernommen, also muss die Mehrheit der Jungprofessoren an eine andere Hochschule wechseln. Wenn ich es endlich geschafft habe, bin ich Anfang 40 – kein guter Zeitpunkt, um Kinder zu haben. In so einem Wissenschaftsbetrieb werden Frauen immer das nachsehen haben, und in der Wirtschaft ist es nicht anders. Wir sollten uns deshalb fragen, ob unsere Strukturen mit der biologischen Uhr vereinbar sind. Wir sollten unser ganzes System auf den Prüfstand stellen. Es entstand, als nur wenige Frauen am Arbeitsmarkt teilnahmen, doch die Zeiten haben sich grundlegend geändert.

Gäbe es auf dem Weg zu einem Systemumbau nicht zumindest noch ein paar Stellschrauben außer der, dass sich die Frauen verändern? Möglicherweise lässt sich ja auch die männliche Mehrheit in einer Organisation beeinflussen, um die Situation zu verbessern.

Wenn Männer die Probleme besser verstünden, die im Verborgenen schlummern, wäre ihr Umgang mit Frauen am Arbeitsplatz besser. Aber das ist eine Gratwanderung. Ich verlange keineswegs, dass Männer in Verhandlungen mit Frauen behutsamer vorgehen als in einer reinen Männerrunde oder dass wir Verhandlungsrunden nur für Frauen schaffen.

Als ich am MIT mit Anfang 30 meine ersten Vorlesungen und Seminare abhalten musste, stand ich als Mann auch vor einer Reihe von Problemen. Ich war jünger als viele meiner Studenten, und ich war mir nicht sicher, ob sie mich ernst nehmen würden. natürlich hatte ich Angst. Und was hat mir geholfen? Das, was auch den Frauen in der Fakultät hilft, die sich regelmäßig treffen und austauschen: das Gespräch mit meinen Kollegen. Wir dürfen nicht alles durch die Geschlechterbrille betrachten. Ich würde auf jeden fall von Dingen abraten, die die Kluft zwischen Männern und Frauen am Arbeitsplatz noch vergrößern.

Dann sind Frauenquoten für den Verhaltensökonomen vermutlich auch der falsche Weg.

Quoten sind tatsächlich ein schwieriges Thema. Das MIT beispielsweise wollte aus guten Gründen explizit mehr Frauen einstellen – als Vorbilder für Studenten und um einen Lehrkörper der Zukunft zu schmieden. Der Präsident übernahm sogar einen Teil der Gehälter für Frauen, die von den Fachbereichen eingestellt wurden. So weit so gut, aber dann hat die Universität eine Präsidentin berufen und am selben Tag eine Erklärung veröffentlicht, in der es hieß, man habe sie bewusst nicht deshalb eingestellt, weil sie eine frau war. Das halte ich für eine Schande! Wieso konnten sie nicht zugeben: Wir haben sie geholt, weil sie brillant ist – und obendrein weiblich, denn wir wollen explizit mehr Frauen einstellen? natürlich verzerren Quoten eine Menge am Arbeitsplatz, aber wir brauchen nun einmal mehr Frauen in Spitzenpositionen, damit sie die nächste Generation weiblicher Führungskräfte heranziehen.

Ist nicht eines der grundlegenden Probleme bei solchen Lösungsansätzen, dass man marktferne Aspekte in eine ursprünglich rein ökonomische Transaktion einbringt? Ich verkaufe meine Arbeitskraft und werde dafür entlohnt und befördert. Soziale oder gar wohltätige Eingriffe zugunsten eines Geschlechts verzerren die Rahmenbedingungen.

Das ist ein wichtiger Punkt, alles hat seinen Preis. Wir wissen aus unseren Forschungen, dass es immer Probleme gibt, sobald gesellschaftliche normen und Gebote des Marktes aufeinandertreffen, beispielsweise, wenn man Menschen für freiwillige, gute Taten plötzlich Geld anbietet. Das nehmen sie einem übel. Schlimmer noch: Die sozialen normen verschwinden unter dem Einfluss von Marktkräften sogar und sind nur schwer wiederherzustellen.


Was passiert also, wenn wir die Zusammensetzung von Belegschaften über eine Quote verändern? Und wie verhält sich jemand, der jetzt für eine weibliche Vorgesetzte arbeitet? Steht diese Person unter dem Eindruck, der neue Chef sei nur Chef, weil er eine Frau ist? Und wie verändert das den Arbeitsalltag – ist das motivierend, demotivierend, verringert oder steigert es die Leistung? Wenn jemand davon überzeugt ist, dass es in einem System nicht mit rechten Dingen zugeht, nehmen beispielsweise fragen der fairen Entlohnung und Belohnung eine ganz andere Bedeutung an. Das zeigt, wie komplex unser Problem ist, und Quoten werden es nicht lösen. Ich fürchte, es ist so: Im Beruf ziehen Frauen einfach den Kürzeren! Die biologische Tatsache, dass sie Kinder gebären, schafft jede Menge Verwicklungen am Arbeitsplatz.

An der Biologie werden wir kaum drehen können.

Richtig, und wir müssen auch akzeptieren, dass es soziale und kulturelle Faktoren gibt, die wir nur schwer beeinflussen oder verändern können. Aber über all dem steht die große frage, wie wir Karrierewege strukturieren, in denen Frauen erfolgreich sein und eine Familie gründen können. Ich habe dazu einen kühnen Vorschlag: Warum gewährt der Staat nicht allen Frauen zwischen 18 und 21 automatisch Mutterschaftsurlaub? In diesen Jahren könnten sie Kinder bekommen und bezögen dafür eine Art Grundeinkommen. Danach könnten sie studieren und sich, so sie denn wollen, um ihre Karriere kümmern. Klar, dazu müssten wir unsere sozialen und wirtschaftlichen Strukturen fundamental verändern. Aber da wir uns alle in schöner Regelmäßigkeit irrational verhalten, läge darin auch die große Chance, unser Verhalten einmal in Zeitlupe anzuschauen – und darüber nachzudenken, wie wir unsere Lebens- und Arbeitswelt umbauen können, um unsere blinden flecken endlich auszufüllen.

ZUR PERSON:

Dan Ariely ist Professor für Psychologie und Verhaltensökonomie an der Duke University in North Carolina. Seine Leidenschaft sind auf den ersten Blick einfache Experimente, die oft die Grundannahmen der Volkswirtschaftslehre ins Wanken bringen. Sie entlarven menschliches Verhalten, das sich mit den Lehren des Homo oeconomicus nicht erklären lässt.

Wie Vorurteile, Klischees und unbewusste Verhaltensmuster auch dem vermeintlich rational denkenden Zeitgenossen Fallstricke legen, hat Ariely in zwei populärwissenschaftlichen Bestsellern dargelegt: „Denken hilft zwar, nützt aber nichts: Warum 
wir immer wieder unvernünftige Entscheidungen treffen“ (Predictably Irrational; auf Deutsch bei Droemer Knaur, 2008) und in diesem Jahr in „Fühlen nützt nichts, hilft aber: Warum wir uns immer wieder unvernünftig verhalten“ (The Upside of Irrationality, auf Deutsch bei Droemer Knaur).

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Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.