Die Taschen-Wirtschaft

Korruption ist keine Sache niederträchtiger Einzeltäter. Korruption ist Geschäftspolitik. Mit unlauteren Mitteln. Mit voller Absicht. Allen bekannt und gut getarnt. Genau das macht sie so gefährlich, weiß die Kriminologin Britta Bannenberg.




Frau Professor Bannenberg, wie entsteht Korruption? Wie leben diese Menschen mit der Doppelmoral?

Korruption ist zutiefst menschlich. Es gibt sie, seit Menschen zusammenleben. Sie ist so normal wie die Liebe. Menschen haben Interessen und versuchen sie durchzusetzen. Korruption ist dabei immer Machtmissbrauch. Das Besondere am Korruptionssystem ist: Wir haben zwei Seiten, die mitspielen. Bei anderen Delikten haben wir Täter und Opfer. Hier haben wir zwei Täter. Der eine korrumpiert, der andere lässt sich korrumpieren. Wenn einer nicht mitspielt, geht’s nicht.

Wer fängt an, der Bestecher oder derjenige, der sich bestechen lässt?

Da gibt es keine Regel. Anfangs hatte ich gedacht, es geht um alte Schulfreundschaften von Männern, die sich später wiedertreffen. Das ist falsch. Die Leute finden sich blind. Es gibt alle Varianten: vom kurzen Andeuten bis hin zur echten Erpressung. Wer sich kennt, ist einander gefällig, es kann aber auch sehr schnell gehen unter völlig Fremden. Wo es um Aufträge geht, ist die Korruption nicht weit. Netzwerke organisierter Wirtschaftskriminalität bilden sich vor allem dort, wo Großaufträge zu holen sind: technische Anlagen, Klärwerke, Kraftwerke. Da gibt es keine vorbestimmten Marktpreise, und es sind große Summen im Spiel. Da spielen die Bestechungsprozente eine lukrative Rolle. Hinzu kommt harter Wettbewerb. Grundsätzlich gilt: Je lukrativer es wird, desto interessanter ist die Illegalität, weil die Profitmöglichkeiten steigen.

Wettbewerb und Großaufträge gibt es in vielen Branchen. Gibt es auch ein korruptes Persönlichkeitsprofil?


Es gibt ausgewiesene Betrüger. Aber der typische Wirtschaftskriminelle ist nicht besonders niederträchtig, sondern vielmehr ein besonders erfolgreicher Mitarbeiter im Unternehmen. Er folgt den Wettbewerbsregeln in optimaler Weise. Er hat das Spiel begriffen. Ein Leistungsträger, der die Unternehmensinteressen optimal durchsetzt – mithilfe von Bestechung. Es sind eindeutig Männer, in der Regel über 40. Das überrascht nicht, denn Männer haben das Fachwissen, die Branchenkenntnis, die Macht und die Budgetverantwortung, für die es sich lohnt, zu korrumpieren. Es sind die tragenden Säulen der deutschen Wirtschaft, ob bei Mittelständlern oder Aktiengesellschaften. Leistung und Zahlen müssen stimmen. Offen wird Korruption nicht angesprochen, man muss sich Strategien ausdenken, und diese Leute kennen sie.

Wann wird aus einem ehrlichen Menschen ein korrupter?

Das geht schnell. Bestechlich ist nicht, wer Schulden hat oder alkoholsüchtig ist und deshalb seine Leistung nicht mehr bringen kann und auf Nebenwege ausweichen muss. Im Gegenteil: Der Leistungsträger, der auf Karriere Wert legt, ist anfällig. Weil er im Unternehmen belohnt wird, wenn er Korruption einsetzt, durch Anerkennung oder Prämien. Genau das ist das strukturelle Problem.

Sind eher Menschen oder Systeme korrupt?

Korruption als ein Aspekt der Wirtschaftskriminalität wird eher von Strukturen geprägt als von Individuen. Die Strukturen eines Unternehmens oder einer Verwaltung bestimmen, ob Korruption zugelassen wird, jedenfalls in größerem Maße. Insofern sind Menschen in unterschiedlichen Systemen unterschiedlich korrupt. Eigentlich verfügen die Leute über ein fest gefügtes Werte- und Normensystem. Zu Hause haben sie Frau und Kind, daneben vielleicht noch die Geliebte. Nichts Besonderes. Keine Luxushobbys. Ganz normale Menschen eben. Sie wissen, dass Diebstahl Diebstahl ist und Betrug gleich Betrug. Aber beim korruptiven Handeln machen sie eine Ausnahme.

Wie leben diese Menschen mit der Doppelmoral?

Viele fühlen sich völlig im Recht. Weil sie es normal finden und auch ihren Erfolg darauf gründen. Je mehr sie an Aufträgen reinholen, und sei es durch Bestechung, desto besser ist es für das Unternehmen. Und für sie selbst. „Ich tue es ja nur für die Firma“ ist eine beliebte Ausrede. So weit hergeholt ist das auch nicht. Wer besticht, zahlt nie aus der eigenen Tasche, sondern lässt das durch seine Firma begleichen.

Andere nutzen schon vorab Neutralisierungstechniken. Sie sprechen beispielsweise nie von „Schmiergeld“ und „Bestechung“. Sie sagen: „Wir müssen zusätzlich 15 Prozent bezahlen, sonst kriegen wir den Auftrag nicht. Es machen doch alle so.“ Schönfärberei beruhigt das Gewissen. Diese Menschen sind bis ins Mark getroffen, wenn sie erwischt werden. Sie haben ihre Rechtfertigungsstrategien verinnerlicht, sie glauben das wirklich. Nur das hat ihnen erlaubt, so zu leben, wie sie gelebt haben, mit ihren korruptiv erworbenen Marmorsäulen und temperierten Weinbars in der Hütte.

Warum Menschen korrupt werden und was sie davon abhalten kann, weiß in der Theorie kaum jemand besser als Britta Bannenberg. Ihr Wissen teilt die Professorin in der Justus-Liebig-Universität in Gießen mit ihren Studenten.
Im Korruptionsindex von Transparency International liegt Deutschland mit
 7,8 von möglichen 10 Punkten lediglich auf dem 16. Platz (Stand 2007). Damit rangiert die Bundesrepublik noch hinter Hongkong
 und nur knapp vor Chile. Die weltweit saubersten Länder sind, was Bestechung angeht, Dänemark, Finnland und Neuseeland
 mit jeweils 9,4 Punkten. Unter den 180 untersuchten Staaten grassiert Korruption am stärksten in Somalia, Burma (jeweils 1,4) und im Irak (1,5 Punkte).
Der Begriff „Compliance“ taucht im Zusammenhang
mit Korruption immer wieder auf. Er bezeichnet in
der betriebswirtschaftlichen Fachsprache und im CR-Vokabular die Einhaltung von Gesetzen und Richtlinien sowie von freiwilligen Kodizes in Unternehmen. Viele Konzerne haben eigene Compliance-Abteilungen,
 die sicherstellen sollen, dass kriminelle Handlungen wie Bestechung, Betrug, Datenmissbrauch
oder Insider-Handel erst
gar nicht passieren – 
nicht immer mit
dem gewünschten Erfolg.

Was ist mit Menschen passiert, die irgendwann als Gewerkschafter anfangen und später mit den Bossen zu Prostituierten gehen?


Nicht viel. Das ist der klassische Aufstieg in eine Machtposition, in der man über dem Gesetz steht. Und dann macht man eben das, was dort als normal gilt. Ob man Prostituierte besucht oder Zigarren raucht, das mag eine Typfrage sein.

Ist persönlicher Wohlstand entscheidend?

Jedenfalls verhindert er Korruption nicht. Diejenigen, die am meisten haben, entwickeln Fantasien, wie sie an noch mehr herankommen. Sehr erfolgreiche Manager mit einem Jahresgehalt von 400 000 Euro plus Prämien, dickem Auto und Villa im Taunus, haben sich bestechen lassen, um zwei bis drei Millionen zusätzlich einzustreichen. Ich kenne einen, der packte sein Geld auf ein Schweizer Nummernkonto und rührte es nicht an. Bis die Staatsanwaltschaft kam. Eigentlich tragisch. Er hatte einfach eine Gelegenheit ergriffen. Das war ein sehr sympathischer Typ. Einer wie viele: Typische Korruptionstäter protzen nicht mit Luxusgütern, sie sind nicht materiell gierig. Das ist nicht die Hauptmotivation.

Es hat also nichts mit Geld zu tun?

Nicht nur, es ist eher das Zeichen von Macht. Man muss ja erst in die Situation kommen, dass einem einer ein oder zwei Millionen anbietet. Das ist dann ein Gefühl der Überlegenheit gegenüber der Masse. Diesen Menschen geht es darum, etwas Besonderes zu sein.

Wie wichtig ist, wie Menschen in Unternehmen behandelt werden?

Es geht um Belohnung, in jeder Organisation. Nehmen Sie Verwaltungen. Dort stellt man häufig fest, dass sich Personen mit Entscheidungskompetenz abschotten. Sie versuchen vertrauenswürdig zu erscheinen, indem sie vorgeben, besonders normentreu zu sein. In Wahrheit aber sind das ehrgeizige Männer, denen die gewünschte Anerkennung im öffentlichen Dienst versagt bleibt. Es sind gerade nicht diejenigen, die Dienst nach Vorschrift machen. Sie arbeiten am Wochenende, besuchen Messen, kennen sich bestens aus. Und sagen dann oft: Ich arbeite mehr als meine Kollegen und tue was für das Amt, dann will ich auch verdienen wie ein Unternehmer. Das klingt zwar nach materiellen Interessen, aber den Anerkennungsaspekt sollte man nicht vernachlässigen.

Sie sagen, Korruptionstäter wissen eigentlich, was recht ist und was nicht. Das klingt nach so etwas wie einer Gehirnwäsche in korrupten Strukturen, seien es Verwaltungen oder Unternehmen.

Ja, so könnte man es nennen. Korruption ist in Unternehmen normal, ist Geschäftspolitik und nicht individuelles Fehlverhalten von einzelnen Kriminellen. Also muss die Mehrheit der Mitarbeiter dieses Mitwissen tragen und auch umsetzen. Wenn ein Neuer kommt und sich wundert, dass er einen Geldkoffer über die Grenze tragen soll, wird er ganz schnell von seinen Kollegen eingewiesen: Du, das ist völlig normal, das machen alle. Der Neue merkt: Jeder, auch die Vorgesetzten, finden das normal. Das ist Sozialisation. In jedem Unternehmen gilt ein bestimmtes Normengefüge, und das vermittelt sich sofort.

Wie kann sich der Einzelne da raushalten?

In einem durch und durch korrupten Unternehmen hat er keine Chance. Wenn er aus dem Unternehmen heraus keine Signale bekommt, dass man die Korruption ächten will, geht er ein hohes Risiko ein, seinen Arbeitsplatz zu verlieren, wenn er einen Verdacht gegenüber seinem Vorgesetzten äußert. Das endet dann ganz schnell im Vorwurf der Nestbeschmutzung.

Für den Einzelnen ist Gegenwehr sicher schwierig. Aber warum wehren sich Ihrer Erfahrung nach nicht mehr Mitarbeiter gemeinsam gegen diesen Korruptionszwang?

Das liegt an der spezifischen Struktur eines korruptiven Systems, etwa der Abteilung in einem Unternehmen. Da wissen die Leute zwar, dass geschmiert wird, aber nicht immer, welcher Kollege genau es tut und welcher nicht. Das bleibt bewusst unter der Decke, ist Geschäftspolitik. Keiner weiß zu viel, aber alle sind unsicher. Und das treibt Korruption: weil jeder Angst hat anzuecken und keiner genau weiß, wer Teil des Systems ist.

Wer ist verantwortlich dafür, dass derartig korrupte Systeme entstehen?

Eindeutig die Unternehmensleitung: Wenn die keine Korruption will, erlebt die Firma vielleicht den einen oder anderen Fall. Aber sie wird keine strukturelle Korruption erleben. Einzelne Personen, selbst an entscheidender Stelle, können niemals ein bestechliches System etablieren. Die entscheidende Weichenstellung erfolgt bei der Unternehmensleitung, die in wesentlichen Fragen Korruption zulässt. Das sendet die Signale ins gesamte Unternehmen. Darf die Innenrevision solche Vorgänge aufgreifen? Darf ein Abteilungsleiter tricksen? Darf ein Mitarbeiter einen Verdacht melden? Die Antworten bestimmen das Klima und die Kultur in einem Unternehmen. Insofern hat die Führungsspitze die entscheidende Option.

Kann es Korruption ohne Wissen der Führungsebene geben?

Ja. Aber die Frage ist: Wenn das größere Ausmaße annimmt, wie schwach ist dann die Kontrollstruktur? Dann gibt es ein Führungsdefizit. Viele Manager sind fürchterlich naiv. Die glauben wirklich noch an Einzelfälle.

Was versäumen die Zuständigen, wenn Korruption entsteht?

Sie üben ihre Führungsfunktion nicht aus. Sie nehmen hin, dass mit illegalen Methoden Umsatz gemacht wird. Auch das Wohl der Mitarbeiter ist ihnen egal. Es gibt dann keine Werte, keinen gemeinsamen Stolz auf das, was man anbietet, sei es ein gutes Produkt oder eine Dienstleistung. Ein Unternehmen ist ein soziales Gebilde, wo Fremde aufeinandertreffen. Die muss doch irgendwas einen.

Alles andere folgt daraus. Wie bringe ich mein Produkt an die Kunden? Wie setze ich mich durch? Diese Fragen stellen sich lange vor der Frage nach Kontrollinstanzen. Denn wenn es keine gemeinsamen Werte gibt, gelten nur diejenigen Mitarbeiter als besonders erfolgreich, die Umsatz um jeden Preis machen.

Werte gelten als Kür. Davor gilt die Pflicht, und die heißt Umsatz. Wer das Geschäft machen will, kommt mitunter an Korruption eben nicht vorbei, heißt es oft. Insbesondere im Ausland.


Das sind nur Rechtfertigungsversuche. Ich sehe das anders. Die Frage ist doch: Warum will ich dort landen? Um irgendwelchen Potentaten die Schweizer Konten zu füllen?

Nein. Um Aufträge zu bekommen.

Ich frage mich oft, was Unternehmer dazu reizt, Geschäfte zu machen. Schauen Sie sich nur Russland an. Was da nebenbei an Sicherheitskosten aufläuft. Also, ich habe meine Zweifel, ob sich das wirklich lohnt. Und auch einige Unternehmen überlegen inzwischen längst, sich aus bestimmten Ländern zurückzuziehen. Oder sie fragen sich, ob man sich mit den jeweiligen Branchenführern nicht auf korruptionsfreies Handeln einigen kann.

Sind das wirklich realistische Optionen? Globale Konzerne oder große Mittelständler, die weltweit aktiv sind, können sich ja nicht so einfach in großem Stil aus ihren angestammten Märkten zurückziehen.


Warum nicht? Bei den Ländern im unteren Drittel des Korruptionsindex von Transparency International stellt sich die ernste Frage, ob ein Unternehmen dort wirklich Geschäfte machen kann und will. Dort ist die Betroffenheit mit Korruption enorm, da wird geschmiert bei jedem Lebenssachverhalt. Ein Rückzug ist möglich. Ich glaube nicht, dass man dort so hohe Profite macht, eben weil die Korruption so viel kostet. Und die großen Unternehmen machen auch woanders Geschäfte, dadurch lassen sich eventuelle Verluste kompensieren. Außerdem ziehen sie sich sehr schnell zurück, wenn sie einmal aufgefallen sind und strafrechtlich verfolgt werden. Da schaffen sie es ja auch, ohne zusammenzubrechen.

Sie sagen, Korruption ist Machtmissbrauch. Um das zu verhindern, setzen viele Unternehmen und Verwaltungen schon lange auf dezentrale Strukturen. So werden Machtblöcke zerschlagen, gleichzeitig entstehen viele kleine Fürstentümer, in denen die Verantwortlichen selbstständig entscheiden können. Sie könnten sich also auch leichter für korruptives Handeln entscheiden. Begünstigen die modernen Führungsprinzipien also ungewollt unkontrollierte Korruption?

Empirisch ist das nicht bewiesen, aber ich glaube schon, dass dem so ist. Die neuen Steuerungsmodelle in der Verwaltung beispielsweise, mit eigenen Budgets und der eigenverantwortlichen Verwendung durch die Fachbereiche, sind ein Punkt, wo ich aus korruptionspräventiver Sichtweise sage: Niemals darf man so etwas flächendeckend einführen. Es ist hochriskant, Menschen in Entscheidungspositionen noch mehr Macht in die Hand zu geben. Sie können die Personen nicht ständig rotieren lassen. Auch das Vier-Augen-Prinzip bedeutet keine echte Kontrolle. Und was für Verwaltungen gilt, gilt genauso für Unternehmen. Je mehr Kompetenzen allein in einer Hand liegen, umso schlechter.

Was ist die Konsequenz?

Das Wir-Gefühl muss gestärkt werden. Und es muss ernsthaft vermittelt werden, dass jeder ehrlich und gesetzestreu sein soll. Macht trägt aber den Machtmissbrauch in sich. Kontrollen braucht man deshalb auch – aber keine Überwachung nach Stasi-Manier. Stattdessen wenig Kontrolle, unberechenbar eingesetzt: Wer nicht weiß, wann er kontrolliert wird, hat ein hohes Entdeckungsrisiko, und das schreckt ab.

Die Angst, entdeckt zu werden, schützt vor Korruption?

Ja, denn sonst wird Korruption zur erfolgreichen Strategie und ist lukrativ. Ziehen wir mal eine Parallele: Wenn auf allen deutschen Autobahnen nur noch drei Polizeistreifen unterwegs wären, meinen Sie, dass die Leute sich noch an Regeln halten würden? Wenn jemand erfolgreich gegen Regeln verstößt und niemand ihn hindert, warum sollte er es lassen? Das ist doch menschlich. Der Mensch handelt als Egoist nach seinen Interessen.

Und was ist mit dem Vertrauensgrundsatz? Ein Fehler?

Nein. Wenn man ihn mit Kontrolle paart. Der Vertrauensgrundsatz ist zwar gefährlich, aber man kann unmöglich jedes menschliche Verhalten kontrollieren. Man muss auch delegieren können. Und hinnehmen, dass menschliches Verhalten mitunter negativ ist. Die entscheidende Frage ist die nach dem notwendigen Maß an Kontrolle.

Gibt es natürliche Entwicklungsprozesse für korrupte Systeme?

Bei Kartellen beispielsweise kann der Punkt kommen, an dem die Beteiligten gar nicht mehr wissen, wofür sie eigentlich Schmiergeld zahlen. Es gehen Gelder drauf, die selbst die Kriminellen nicht mehr kontrollieren können. Dann wird es interessant: Es bilden sich meist zwei Große, die das Kartell dann bestimmen. Die anderen haben nichts mehr zu sagen. Das kann das Ende des Kartells bedeuten. Korrupte Systeme können brechen.

Wenn Korruption so gut funktioniert: Warum sollte sich ein Unternehmen ändern?

In der Wirtschaft spielen nur rationale Gründe eine Rolle. Die meisten Unternehmen haben die Risiken erkannt: Aufträge können wegbrechen, das Image wird beschädigt, Strafverfolgung droht: Die Schäden sind einfach zu groß.

In Deutschland haben wir Korruption lange verleugnet. Wo stehen wir aus Ihrer Sicht heute insgesamt?


Das Problem wurde unter der Decke gehalten. So etwas ist nicht gut. Aber wir sollten nicht glauben, ausufernde Diskussionen über Korruption hätten das konkrete Handeln verändert. Wichtig ist, dass die Korrupten ganz persönlich unter Druck geraten, etwa durch Strafverfolgung. Ansonsten bleiben gesellschaftliche Werte nur abstrakt. Jetzt ist das Tabu gebrochen, und das ist gut, weil mehr Menschen hinschauen und sich trauen, etwas zu sagen. Damit besteht die Chance, dass sich mehr Ehrliche gegen die Betrüger durchsetzen und die Unternehmen erfolgreicher sind, die sich der Korruption verweigern.

Aber ist die öffentliche Erregung über Korruption nicht scheinheilig, gerade von Politikern? Haben die nicht erst den Boden dafür bereitet? Bis vor wenigen Jahren konnten die Unternehmen ihre Bestechungsgelder sogar noch steuerlich absetzen.

Natürlich war diese Absetzbarkeit ein unerträglicher rechtlicher Widerspruch! Aber der wurde 1999 beseitigt. Öffentliche Skandalisierung und Medienaufmerksamkeit insbesondere bei prominenten Unternehmen sind scheinheilig, aber das ist von der notwendigen Strafgesetzgebung und -verfolgung deutlich zu unterscheiden. Und die hat sich tatsächlich verschärft.

Die Skandinavier haben weniger Korruption als wir. Was machen sie besser?

Transparenz ist das Entscheidende, in der Verwaltung, in der Informationsfreiheit. In Skandinavien ist jeder einzelne Bürger gläsern, bis hin zu den Steuererklärungen, die man im Internet einsehen kann. Man weiß, wo jemand wohnt, welche Steuern er zahlt, wo er arbeitet. Die Bürger verstehen sich als Gemeinschaft. Das ist ein ganz starker Zug.

Transparenz ist die Folge politischer Entscheidungen. Hinkt Deutschland dabei noch hinterher?


Die Politik kann gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen, um Korruption zu ächten und zu verfolgen. Aber es geht nicht nur um Gesetze, sondern vor allem um die Strukturen, damit die Gesetze dann auch durchgesetzt werden können. Da haben wir Defizite. Auf Landesebene zum Beispiel ist der entscheidende Flaschenhals bei der Verfolgung nicht beseitigt: genügend qualifizierte Staatsanwälte in Schwerpunktabteilungen. Das ist ein riesiges Manko. Die Dezernate sind unterbesetzt, ständig wechseln die Verantwortlichen. Das ist eine merkwürdige Diskrepanz: Einerseits haben wir relativ scharfe Gesetze, andererseits wissen wir, dass sie nicht umgesetzt werden können.

Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch?

Es gibt eine gewollte Zurückhaltung auf politischer Seite. Man will Wirtschaftskriminalität nicht genauso konsequent verfolgen wie Alltagskriminalität.

Warum?

Wirtschaftskriminalität wird von den Stützen der Wirtschaft und damit der Gesellschaft begangen. Deshalb scheut man sich zu handeln. Zudem gibt es Verflechtungen. Politiker haben Mehrfachfunktionen in der Wirtschaft und auch starke persönliche Bindungen, sie wechseln häufig in die Bereiche, in denen sie vorher politisch aktiv waren. Das muss nicht korruptiv sein, kann es aber. Auf jeden Fall ist eine Nähe gegeben, die vielleicht zu dieser Zurückhaltung bei der Verfolgung der Korruption führt.

Heißt das, es gibt einen Korruptionslobbyismus in Deutschland?

Selbstverständlich! Warum gibt es noch keine schwarze Liste und Vergabesperren für korrupte Unternehmen? Das Verbot der Abgeordnetenbestechung steht nur auf dem Papier. Warum wird dieser Tatbestand nicht verschärft? Oder das Unternehmensstrafrecht, das ein Unternehmen selbst und nicht nur einzelne Mitarbeiter in die Verantwortung nimmt. In den USA gibt es das, hier nicht. Obwohl es nicht um schwarze Schafe geht, sondern um Topunternehmen, die gezielt und ganz bewusst korrumpieren. Da bekommt man schon seine Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Politik bei der Bekämpfung von Korruption.

Das klingt nicht gerade sehr zuversichtlich.

Korruption wird man nie vollständig zum Verschwinden bringen, genauso wenig wie Mord und Totschlag. Aber man kann sie eindämmen. Da gäbe es noch sehr viel Spielraum. Durch stärkere Verfolgung. Durch kompetentes Personal bei den Staatsanwaltschaften. Das ist ganz wichtig. Die Leute müssen kontinuierlich für dieses Fachgebiet spezialisiert werden.

Aber all das wird das Problem der Korruption nicht lösen. Die Verantwortung liegt bei Unternehmen und Behörden selbst. Sie müssen ihre so oft beschworene Selbstkontrolle endlich wirksam durchsetzen. Es geht darum, einen Missstand nicht größer werden zu lassen, die berüchtigte Sog- und Spiralwirkung zu stoppen. Mit einigen Korruptionsfällen wird man dann locker leben können.

Dass die Täter von selbst aufhören ist wohl nur ein Wunschtraum?

Ja. Der klassische Täter hört erst dann auf, wenn er erwischt wird. Und am Ende zerbricht er daran keineswegs. Denn er findet schnell wieder einen neuen Job. Sofern er im Verfahren nicht zu viel ausgesagt hat.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.