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brandeins.

Ich hatte diese Geschichte aus der Ferne mitbekommen und freute mich, dass sich darin deutlich zeigte, welche unternehmerische Kraft in Mitarbeitern steckt, wenn man sie nur zulässt.

Aktionär von brand eins

Zwei Jahre nach der emanzipatorischen Existenzgründung war brand eins aber nun in eine ernste Krise geraten. Die Investoren, welche die Neugründung ermöglicht hatten, waren durch die Börsenverluste nach der New-Economy-Krise in finanzielle Nöte geraten, und die Beteiligungsgesellschaft, mit der man fast schon verhandlungseinig gewesen war, sprang kurzfristig ab. Kurz: Den Blattmachern stand das Wasser bis zum Hals.

Um die Abonnenten zu einer Rettungsaktion aufzurufen, fehlte die Zeit: Die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft verlangte rechtlich zu viele langwierige Einzelmaßnahmen; bis dahin wäre man längst zahlungsunfähig. Die private »Leihgabe« einer Freundin  von Gabriele Fischer schaffte noch einmal Luft für zwei Monate. Aber wenn man sich nicht der Insolvenzverschleppung schuldig machen wollte, blieb als einzige juristisch vertretbare Rettungsaktion nur noch, die bestehenden Verhandlungen mit potenziellen Gesellschaftern zum Abschluss zu bringen. Dieses Schlupfloch legte die Redaktion sehr großzügig aus. Was genau ist schon eine »bestehende Verhandlung«? Also schrieb die Redaktion etwa 250 Leute an, mit denen man schon einmal in  irgendeiner Form Kontakt gehabt hatte und die wussten, wie  man das Wort Geld buchstabiert.

Da Gabriele Fischer kurz vorher bei einer Vernissage in einer Karlsruher Galerie zufällig Michael Kolodziej wieder getroffen hatte, landete auch er im Verteiler. Mit diesem Brief stand er nun also vor mir.

Ich griff zum Telefonhörer, ließ mir die ganze Geschichte von Frau Fischer in Ruhe erzählen, erfuhr auch, dass die Redakteure inzwischen schon 200 000 Euro eingesammelt hatten, aber dass man ernsthaft nur weitermachen könnte, wenn man nicht mindestens eine Million zusammenbekäme. Ich bat sie, mir die Bilanz zuzuschicken, damit ich mir ein genaueres Bild der Finanzlage machen konnte. Seit meinen kleinen Eskapaden der 1980er Jahre hatte ich keine weiteren Investitionen in fremde Unternehmen getätigt.

Doch diese Geschichte war mir sympathisch, und obgleich die Bilanz das Bild einer fast hoffnungslos überschuldeten Gesellschaft zeigte, vertraute ich darauf, dass die Redaktion mit ihrem Engagement die schwierige Zeit des Börsencrashs  überstehen würde. Die Artikel jedenfalls waren es wert, geschrieben zu werden. Also sagte ich zu, für eine halbe Million Aktien zu kaufen, wenn es gelänge, die gesamte Million zusammenzubekommen. Denn das sah Gabriele Fischer sehr realistisch. Einfach nur die Schulden bezahlen genügte nicht; das hätte nur die Vergangenheit gesichert. Man brauchte außerdem Geld, um die Zukunft zu sichern.

Es gelang, Ein Jahr später war die GmbH in eine AG verwandelt und ich plötzlich der größte Aktionär der brand eins Medien AG. Fortan fuhr ich jedes Jahr brav zur Hauptversammlung nach Hamburg und beobachtete wohlwollend die Bemühungen der jungen Medienschaffenden. Auf Höhenflüge folgten Krisen folgten Höhenflüge folgten Krisen.

Zwischenzeitlich wurden wir Aktionäre immer mal wieder zur Kasse gebeten, um irgendeine Flaute zu überbrücken. Dafür gab es auch in anderen Jahren kleine Gewinnmeldungen, so dass mancher meiner Mitgesellschafter meinte, übermütig werden zu können. Doch jegliche Renditeforderung erstickte ich jeweils im Keim.

Einmal, als wieder jemand aus dem Gesellschafterkreis eine Ausschüttung der Gewinne verlangte, stand ich auf und hielt das aktuelle Heft in die Höhe: »Was wollen Sie? Das hier ist die Rendite, die Sie jeden Monat in schöner Regelmäßigkeit für Ihr Geld bekommen!«

Aus: Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie von Götz W. Werner