getAbstract International Book Award 2021

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Vorwort

getAbstract fasst seit mehr als 20 Jahren Bücher zusammen. Das klingt lapidar, ist es aber nicht: Denn damit macht die Schweizer Firma Wissen leicht zugänglich. Und zeigt nebenbei auch, was gerade relevant ist.

Text: Peter Lau

Am Anfang von getAbstract stand eine fixe Idee. Als Patrick Brigger und Thomas Bergen den, wie Wikipedia es nennt, Referatedienst 1999 in Luzern gründeten, wollten die beiden Freunde eigentlich nur die Bücher der Library of Congress in Washington, neben der British Library immerhin der größten Bibliothek der Welt, zusammenfassen – sie umfasst inzwischen rund 40 Millionen Bände.

Es war völlig übergeschnappt, und so passte es gut in die Aufbruchstimmung der Neuen Wirtschaft um die Jahrtausendwende, wo groß gedacht und manchmal auch groß geliefert wurde – wenn auch selten nach Plan. „Die Start-up-Kultur haben wir bis heute“, sagt die Projektleiterin des getAbstract International Book Award Anna Wehrt, und Patrick Brigger, heute COO des Unternehmens, lacht: „Ja, irgendwie sind wir jung geblieben.“ Allerdings sind sie bei Weitem nicht mehr so unbedarft wie früher: „Unser ursprünglicher Plan“, sagt Thomas Bergen, heute CEO, ebenfalls lachend, „hätte nie funktioniert. Das war ein unmögliches Unterfangen.“

Mit den beiden Gründern zu sprechen ist ein bisschen wie ins Silicon Valley zu reisen, als dort noch nicht asoziale Milliardäre das Bild prägten: Bergen, 55, ist die gemütliche schweizerische Version des schlitzohrigen Ausdenkers, Brigger komplementär dazu der dynamische Macher. Von den Ideen und Idealen von damals ist das Duo immer noch überzeugt, was sich nicht zuletzt in ihrer Firma widerspiegelt.

„Wir hatten bis vor zwei Jahren eine Geschäftsleitung“, erzählt Bergen etwa, „aber die haben wir abgeschafft und durch etwas ersetzt, das wir Strategy Execution Group nennen. Das ist ein offenes Meeting für alle Team- und Projektleiter, aber auch sonst jeden, der Interesse hat. Es dauert 90 Minuten und hat enorm viel positive Energie freigesetzt. Die Leute spüren, dass sie an den Entscheidungen beteiligt sind.“ Eigentlich kein Wunder, dass der erste Artikel, der jemals über getAbstract geschrieben wurde, in dem Magazin einer Firma erschien, die ähnlich zukunftsgewandt ist: brand eins. Ich erinnere mich gut daran, denn ich habe ihn verfasst – und hatte danach noch ein ganz persönliches Erlebnis mit den Buchkonzentraten.

Meine damalige Freundin las ständig Ratgeber: Bücher über innere Ruhe und die Organisation des Arbeitsplatzes, über Feng Shui, Workflows, Kreativität und Disziplin. Ich fand das gut, aber ineffizient, und so schenkte ich ihr zum Geburtstag unter anderem eine Kiste mit 30 ausgedruckten Abstracts zur persönlichen Entwicklung in diversen Bereichen. Doch als ich sie nach einigen Wochen danach fragte, erklärte sie mir, sie könne damit nichts anfangen. Sie läse Ratgeber eher wie Liebesromane: als Lektüre, quasi Beruhigungsmittel auf Papier – nicht als Anregung.

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Gründer, Manager, Unternehmer und nach 22 gemeinsamen Jahren an der Spitze von getAbstract noch immer leidenschaftliche Streiter für die Demokratisierung des Wissens: Thomas Bergen (links) und Patrick Brigger

Ich fand das damals seltsam und heute noch mehr, denn was sie ablehnte, war Reichtum – Wissensreichtum. Abstracts waren lange Statussymbole: Nur Unternehmenslenker und wichtige Manager ließen sich Bücher zusammenfassen, weil sie zu beschäftigt waren, sie zu lesen. Kurzfassungen waren mehr oder weniger kompetent verfasste Einzelstücke von mehr oder weniger klugen Leuten – ein Luxus unklarer Qualität. Hinzu kam, dass die schnelle Wissensvermittlung zum Teil wohl auch Wissensvermeidung war: Der Chef erhielt, was er als wichtig betrachtete. Bücher über flache Hierarchien oder das Ende des Kapitalismus wären bei vielen Bossen alten Schlages nicht gut angekommen. Entsprechend revolutionär war der Ansatz von getAbstract: Die Buchverdichter machten ein weites Spektrum des Wissens für jedermann zugänglich. „Wir glauben an die Demokratisierung des Wissens“, sagt Bergen im Gespräch so enthusiastisch, als wäre es ihm gerade eingefallen. Der zentrale Fokus lag von Anfang an auf Wirtschaftsliteratur und Büchern zur Selbstentwicklung, aber die Zielgruppe ging bald über die klassischen Manager hinaus.

Anfangs, erzählt Brigger, dachte man, die Abstracts seien nur was fürs Management: „Aber als 2003 Microsoft zu uns kam, merkten wir, wie groß der Bedarf ist. Die waren fast alle Informatiker, von Wirtschaft hatten sie wenig Ahnung. Klar hatten die Fragen, vor allem was Soft Skills angeht. Wenn zum Beispiel jemand plötzlich ein Team führen muss – wie geht das? Oder ein Mitarbeitergespräch?“

Informationen sind einzelne Fakten, Daten und Theorien, die für sich genommen so überzeugend sein können, dass Menschen sie für die Ausrichtung ihres Denkens und Handelns nutzen – allerdings auch Querdenker. Wissen dagegen entsteht aus der Verknüpfung von Informationen, ist in aller Regel sehr komplex und deshalb auch oft schwer zu vermitteln. Wie groß der Bedarf an Wissen ist, belegen unzählige YouTube-Kanäle. Es gibt kaum ein Thema, das im Netz nicht erforscht oder von einem Selfmade-Tutor erklärt wird.

Für die getAbstract-Gründer kam die Popularisierung ihrer Zusammenfassungen dennoch nicht infrage. Es hat sie nie gereizt, Yoga-Abstracts an Yoga-Klassen zu verkaufen. „Wir wachsen seit 21 Jahren kontinuierlich – unser Konzept spricht also für uns. Warum sollten wir es ändern?“, fragt Bergen. Das Erfolgsgeheimnis seiner Meinung nach: Man habe stets an die eigene Idee geglaubt. Ein großes Quäntchen Glück sei hinzugekommen: die Erfindung des Smartphones. Das, so Bergen, sei wie für Abstracts gemacht gewesen. Es war, „als würde Steve Jobs für uns arbeiten“.

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