Brand eins madsen 01

Updates aus dem Rathaus, Teil XV

Claus Ruhe Madsen ist der erste ausländische Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt: der Hansestadt Rostock. Seit September 2019 ist der parteilose Däne offiziell im Amt. Zuvor war er Unternehmer, hat eine Möbelkette und eine Wohnmobilvermietung gegründet. Der Neuling im Politikbetrieb möchte Rostock innovativer und lebenswerter machen.

Im 15. Teil von „Updates aus dem Rathaus“ spricht Claus Ruhe Madsen über Tempo 30 in der Stadt, Ärger um ein Xavier-Naidoo-Konzert und eigene Fehler.



Claus Ruhe Madsen
Claus Ruhe Madsen

— Rostock, August 2021

brand eins: Herr Madsen, nach den Überflutungen im Westen Deutschlands wird viel darüber diskutiert, wie sich Kommunen künftig besser vor Naturkatastrophen schützen können. Rostock liegt direkt am Meer. Wie bereiten Sie sich auf Sturmhochwasser vor?

Im Moment nur theoretisch.

Und warum nicht praktisch?

Weil die Landesregierung eine bereits zugesicherte Förderung für den Bau neuer Hochwasserschutzmauern in Höhe von zehn Millionen Euro gestrichen hat. Allein können wir diese nicht bezahlen.

Wieso gibt es die Förderung jetzt doch nicht?

Die Argumentation war: Mögliche Hochwasserschäden wären kaum höher als die Kosten des geplanten Hochwasserschutzes – die Investitionen würden sich also nicht lohnen. Das hat mich überrascht. Denn wenn das Wasser bei uns reinschwappt, hat nicht nur die Stadt, sondern auch das Land ein Problem. Ich hoffe deshalb, dass ich die Landesregierung noch vom Gegenteil überzeugen kann.

Ein weiteres Vorhaben, für das Sie sich einsetzen: In Rostock soll bald überall Tempo 30 gelten.

Das ist nicht ganz korrekt. Der Gedanke dahinter: Momentan müssen wir als Kommune jedes Mal sehr aufwendig begründen, warum wir die Geschwindigkeit auf einer innerörtlichen Straße, auf der 50 Stundenkilometer erlaubt sind, auf 30 Stundenkilometer senken wollen. Um das zu vereinfachen, wollen wir die Regel umdrehen: Überall gilt Tempo 30, und dann schauen wir, wo es sinnvoll wäre, schneller zu fahren. Außerdem wollen wir in Rostocks Innenstadt mehrere Fahrradstraßen schaffen, auf denen Fahrräder Vorrang haben.

Vermutlich sind nicht alle begeistert von der Idee.

Sobald es konkret wird, heißt es sicher: „Schöne Idee, aber bitte nicht vor meiner Haustür.“ Ich will es aber dennoch ausprobieren. Wenn es sich nicht bewährt, habe ich kein Problem zu sagen: Das war keine gute Idee. Die Umbauten wären schnell rückgängig zu machen.

Jüngst hatten Sie mit Vorwürfen wegen eines geplanten Konzerts von Xavier Naidoo in der Rostocker Stadthalle zu kämpfen. Die Bürgerschaft wollte den Auftritt wegen Naidoos Rolle als Reichsbürger und Verschwörungstheoretiker verbieten. Sie haben gesagt, das geht nicht: Vertrag ist Vertrag. Dabei gelten Sie als jemand, der auf Formalien keinen großen Wert legt.

Trotzdem muss ich als Bürgermeister darauf bestehen, dass rechtskräftige Verträge eingehalten werden. Wir können sie nicht einfach kassieren. Der Beschluss der Bürgerschaft verstieß gegen geltendes Recht.

Was wäre passiert, wenn Sie keinen Widerspruch eingelegt hätten?

Dann hätte ich die Betreibergesellschaft der Stadthalle zum Vertragsbruch gezwungen. Das haben mir mein Rechtsamt und das Innenministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern bestätigt. Die Entscheidung hat letztlich aber die Bürgerschaft getroffen. Dass daraus Schlagzeilen gemacht werden wie „Madsen will Verbot von Xavier Naidoo-Konzert in Rostock kippen“, fand ich unfair.

Müssten Sie nach zwei Jahren im Amt nicht ein dickeres Fell haben?

Das sehe ich anders: Wenn ich einen Fehler mache und dafür kritisiert werde, kann ich sehr gut damit leben. Aber ich möchte nicht für etwas kritisiert werden, das ich nicht zu verantworten habe. Ich bin mir übrigens sicher, dass die Mitglieder der Bürgerschaft die Rechtslage kannten. Die Debatte war nicht ehrlich.

Welche Fehler haben Sie persönlich zu verantworten?

Ich war zu Beginn der Pandemie mit meinen Forderungen zu ungeduldig. Da hätte ich diplomatischer sein müssen. Zwischendurch habe ich alle ein bisschen verrückt gemacht, fürchte ich.

Claus Ruhe Madsen
Claus Ruhe Madsen

Jenseits aktueller Krisen liegt Ihnen der Umbau der Verwaltung am Herzen – wie kommen Sie da voran?

Gut. Allerdings merke ich, dass wir an einigen Stellen noch versuchen, die Herausforderungen von morgen mit den Werkzeugen von gestern zu bewältigen. Vielleicht sollten wir allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Abwrackprämie für jedes ausrangierte Faxgerät zahlen.

Was machen Sie, wenn Sie auf Widerstand stoßen?

Ich mache allen Digitalisierungskritikern ein Angebot: Wenn sie mich davon überzeugen können, dass neue Techniken in ihrem Bereich nicht notwendig sind, stoppe ich die jeweilige geplante Maßnahme. Bislang ist das noch niemandem gelungen.

Vermutlich haben die Leute Angst, ihren Job zu verlieren, wenn die Arbeit automatisiert wird.

Das verstehe ich, aber ich bin nicht hier, um Stellen abzubauen, sondern um meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von unsinnigen Aufgaben zu befreien, damit sie mehr Zeit für die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürgern haben. Außerdem bin ich sicher: Es wird künftig nicht weniger Aufgaben geben, sondern andere.

Welche sollen das sein?

Um das zu veranschaulichen, arbeiten wir an einem interaktiven Zeitstrahl für das, was ich das „Rostocker Jahrzehnt“ nenne. Dort soll bald jeder online prüfen können, was wir in den kommenden zehn Jahren in Sachen Digitalisierung, Kultur, Sport, Mobilität, Verwaltung und Infrastruktur vorhaben. Wann ist der Krankenhausanbau fertig? Wann die neue Feuerwache? Wie steht es um Rostocks Nachhaltigkeit? Alle sollen sehen können: Wo liegen wir im Zeitplan, und wo hinken wir hinterher?

Was ist eigentlich das Beste an Ihrem Beruf?

Ich darf eine ganze Stadt verändern. Das ist unglaublich.

Claus Ruhe Madsen (gesprochen: Mäsn), 49,
gewann im Juni 2019 die Wahl zum Oberbürgermeister der Hansestadt Rostock. Seit September ist der parteilose Däne, der während des Wahlkampfes von der CDU und der FDP unterstützt wurde, offiziell im Amt. Seit November 2019 begleitet ihn brand eins für die Online-Rubrik „Updates aus dem Rathaus“.

— Der nächste Teil der Serie erscheint Ende Januar 2022. Alle bisherigen Teile finden Sie hier: „Updates aus dem Rathaus“