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Updates aus dem Ministerium, Teil IV

Claus Ruhe Madsen ist der erste ausländische Minister einer deutschen Landesregierung. Seit Ende Juni 2022 ist Madsen in Schleswig-Holstein verantwortlich für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus. Zuvor war er bereits der erste ausländische Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt, der Hansestadt Rostock.

Im vierten Teil der Serie „Updates aus dem Ministerium“ spricht Claus Ruhe Madsen über gebrochene Versprechen, Geldprämien für vermittelte Ukrainer, innere Konflikte – und weitere Unterschiede zu seiner früheren Rolle als Oberbürgermeister.



Claus Ruhe Madsen
Claus Ruhe Madsen

— Kiel, Mai 2023

brand eins: Herr Madsen, Sie sind vor wenigen Wochen im Kieler Rathaus eingebürgert worden und haben jetzt neben der dänischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Wie empfinden Sie Ihren neuen Status?

Claus Ruhe Madsen: Noch etwas ungewohnt. Ich hatte wenige Tage nach der Einbürgerung einen Termin in Berlin, bin am Brandenburger Tor vorbeigefahren und dachte: Das ist jetzt auch mein Denkmal. Beim Einchecken im Hotel habe ich bei der Nationalität erstmals deutsch und nicht dänisch angegeben. Das ist noch ein komisches Gefühl, aber ein sehr schönes.

Weniger schön fanden Sie vermutlich die Entscheidung des Bundesverkehrsministeriums, die Autobahn A20, die seit vielen Jahren im Osten Schleswig-Holsteins endet, nicht beschleunigt weiter zu bauen. Sie hatten sich dafür eingesetzt.

Ich kann diese Entscheidung nicht verstehen. Schleswig-Holstein bleibt damit das Bundesland, in dem die Autobahnen enden. Was mich wundert: Der Bundesverkehrsminister Volker Wissing hatte erst im Februar bei einem Ortstermin in Schleswig-Holstein zugesichert, dass die A20 im überragenden öffentlichen Interesse liegt – und beschleunigt geplant und gebaut wird. Und als ich zuletzt im Bundesverkehrsministerium war, hat er es noch einmal versprochen.

Was können Sie jetzt noch tun?

Ich hatte die hundertprozentige Zusage des Ministers – mehr geht eigentlich nicht. Ich habe jetzt noch einen Brief an Herrn Wissing geschickt, aber der wird uns die Autobahn vermutlich auch nicht schneller bescheren.

Man merkt: Sie sind sauer.

Ja, weil diese Entscheidung für die Menschen im Norden blanker Hohn ist. Ebenso wie die Tatsache, dass neben der A20 nun auch noch die angemeldete A23 bei Pinneberg von der Beschleunigungs-Liste gestrichen wurde. Auf der Prioritätenliste des Bundesverkehrsministeriums befinden sich 144 Straßenprojekte, die in Deutschland beschleunigt vorangetrieben werden sollen – keines aus Schleswig-Holstein. Stattdessen sind fast alle im Süden und Westen. Jetzt wären auch mal andere Regionen an der Reihe. Die A20 hätte, bildlich gesprochen, wie ein Stromkabel sein können, an dem viele unterschiedliche Lampen hängen: Ausbildungsplätze, Ansiedlungen, Tourismus, eine neue Infrastruktur für Bürgerinnen und Bürger.

Claus Ruhe Madsen
Claus Ruhe Madsen

Was folgt aus Ihrer Enttäuschung?

Solche Entscheidungen verbessern nicht das Verhältnis zwischen Bund und Ländern: Wir brauchen auch Erfolge.

Gibt es noch ein weiteres Thema, das Sie so umtreibt?

Den Fachkräftemangel. Allein in Schleswig-Holstein fehlen uns in etwa zehn Jahren insgesamt rund 180.000 Fachkräfte, wenn wir jetzt nichts unternehmen. Darunter sind allein 10.000 Berufskraftfahrerinnen und -fahrer.

Wo wollen Sie neue Fachkräfte finden?

Viele richten den Blick reflexartig ins Ausland. Ich finde, wir sollten uns lieber mit den Menschen beschäftigen, die schon hier sind. Beispielsweise mit den ukrainischen Lkw-Fahrerinnen und -fahrern, die seit einem Jahr in Deutschland leben und bislang mit ihrem ukrainischen Führerschein arbeiten konnten. Von ihnen verlangen wir jetzt, dass sie die praktische Prüfung nochmals in deutscher Sprache ablegen – was schwierig wird, wenn wir ihnen keine Deutschkurse anbieten. Diese Regelung sollten wir aussetzen, um das Problem nicht noch weiter zu vergrößern.

Wie könnte es grundsätzlich besser gehen?

Wir müssen pragmatischer werden. Dänemark hat es bereits geschafft, 60 Prozent der erwerbsfähigen Ukrainerinnen und Ukrainer einen Job zu vermitteln. In Deutschland liegt die Quote bei rund 20 Prozent. Wie wäre es, wenn jede Person, die hierzulande eine Ukrainerin oder einen Ukrainer an ein Unternehmen vermittelt, eine Geldprämie in Höhe von 500 Euro von der Arbeitsagentur erhielte? Kämen wir dann schneller voran? Davon bin ich überzeugt.

Wieso fehlt es an solchen pragmatischen Lösungen?

Weil wir zu bequem geworden sind, und das meine ich nicht böse. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Behörden sind völlig überlastet. Aber wir haben akzeptiert, dass es nicht genügend Deutschkurse gibt. Wir haben akzeptiert, dass wir arbeitssuchende Fachkräfte nicht vermitteln können. Gleichzeitig diskutieren wir darüber, wie wir Menschen schneller abschieben können.

Claus Ruhe Madsen
Claus Ruhe Madsen

Wie hängt das eine mit dem anderen zusammen?

Warum wollen wir Menschen abschieben? Weil sie Probleme machen. Warum machen sie Probleme? Weil wir sie oft nicht in Wohnungen unterbringen, sie nicht integrieren, ihnen nicht erlauben zu arbeiten oder der Angst aussetzen, wieder abgeschoben zu werden. Das macht etwas mit ihnen. Manche machen dann Blödsinn. Ich verteidige das nicht – aber die beste Vorsorgemaßnahme wäre eine schnellere Integration. Außerdem sollten wir über berufliche Standards in Deutschland sprechen.

Was meinen Sie damit?

Die Handels- und Handwerkskammern setzen seit vielen Jahren sehr hohe Standards, wenn es um die Anerkennung von Ausbildungsberufen geht. Aber sind die noch zeitgemäß? Muss man als Lokführer wirklich Deutsch sprechen können? Ich war noch nie vorn im Zug, habe geklopft, um mal mit dem Lokführer zu sprechen.

Sie sind nun seit fast einem Jahr im Amt. Was hat Sie rückblickend am meisten überrascht?

Die inhaltliche Tiefe, die von Fachministern erwartet wird. Zu Beginn meiner Amtszeit war ich hoffnungslos überfordert und wusste nicht einmal, wo Itzehoe liegt. Deshalb war ich in den ersten Monaten auch so viel unterwegs. Ich war in Ortsverbänden, auf Konferenzen, bei Gewerkschaften, Verbänden und habe kleine, mittlere und große Firmen besucht. Ich glaube, ich kann jetzt behaupten, die wichtigsten Orte, Akteure und Themen des Landes zu kennen.

Sie scheinen gern unterwegs zu sein.

Diesen Vorwurf kenne ich schon aus meiner Zeit als Oberbürgermeister und empfinde ihn als unfair. Man arbeitet rund um die Uhr, ist viel unterwegs, und irgendeiner aus dem politischen Umfeld sagt: Wäre schön, wenn er auch mal im Büro wäre. Ich muss unterwegs sein und die Interessen der Landesregierung vertreten – und nicht in meinem Büro hocken. Ich bin höchstens zwei bis vier Stunden pro Woche dort.

Sie sind als Minister für sehr verschiedene Aufgaben verantwortlich. Führt das gelegentlich zu inneren Konflikten?

Ja, das kann passieren. Auf der einen Seite bin ich als Tourismusminister für die Tourismusbranche zuständig, die gern maximal flexible Arbeitszeiten hätte. Auf der anderen Seite spreche ich als Arbeitsminister mit Gewerkschaften, die das genaue Gegenteil fordern. Ich versuche dann immer, einen guten Mittelweg zu finden. Bislang klappt das ganz gut.

Claus Ruhe Madsen
Claus Ruhe Madsen

Stellen Sie noch weitere Unterschiede zu Ihrer früheren Rolle als Oberbürgermeister fest?

Ja, als Oberbürgermeister war ich für alle Bürgerinnen und jeden Bürger häufig der erste Ansprechpartner für ihre Probleme: kaputte Mülleimer oder Bürgersteige, freie Termine im Standesamt oder Fragen zu Bußgeldverfahren. Als Minister habe ich hauptsächlich mit Fachleuten zu tun. Kein Bürger kommt zur mir und möchte mit mir über die Fehmarnbelt-Querung oder das Deutschlandticket diskutieren.

Gibt es Dinge, die Sie so nicht erwartet haben?

Für mich ist es noch ungewohnt, dass die Bürgerinnen und Bürger, mit denen ich spreche, keine Lösungen von mir erwarten, sondern möchten, dass ich verstehe, vor welchen Herausforderungen sie stehen. Sie erwarten nicht, dass ich für ihre Gemeinde eine Schwimmhalle aus dem Ärmel schüttle, sondern dass ich mir anhöre, warum es wichtig wäre, dass sie eine bekommen. Ich glaube, vielen reicht es schon, nicht das Gefühl zu haben, gegen verschlossene Türen anzurennen.

Apropos: Wie geht es Ihren Möbelhäusern?

Besser als zuvor. Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich so ein gutes Fundament gelegt habe (lacht). Nein, im Ernst: Die jetzigen Chefs setzen neue Akzente, das sind junge Leute, die inzwischen einen besseren Blick für Trends haben. Mehr kann ich mir nicht wünschen.

Kehren Sie irgendwann in Ihren alten Beruf zurück?

Nein, ausgeschlossen. Ich kann mir nicht vorstellen, noch einmal als Möbelhändler zu arbeiten. Das war mir auch schon als Oberbürgermeister klar.

Und was kommt nach dem Minister-Job?

Das weiß ich nicht. Wichtig ist mir nur: Ich werde gehen, bevor die Leute es von mir erwarten – und bevor sie es von mir verlangen.

Der nächste Teil der Serie „Updates aus dem Ministerium“ erscheint im Herbst 2023.
Alle bisherigen Teile der Serie finden Sie hier.