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Narkose ohne Medikamente

Fünf Innovationen aus Gesundheitstechnik und digitaler Medizin.




• In den meisten Ländern der Welt steigt die Lebenserwartung. Neben verbesserter Hygiene und einer niedrigeren Kindersterblichkeit ist dafür der medizintechnische Fortschritt verantwortlich. Immer mehr Krankheiten können frühzeitig erkannt und therapiert werden.

Die Konferenz South by Southwest (SXSW), die im März im texanischen Austin stattfindet, widmet sich unter dem Titel „Health & Med Tech“ vor allem der digitalen Seite der medizinischen Forschung. Von den zahlreichen neuen Ideen, Konzepten und Innovationen, die dort präsentiert werden, haben wir fünf ausgewählt.

Schnittstellen zum Gehirn

Nach wie vor ist das menschliche Gehirn das wohl am wenigsten verstandene Organ. Doch dank Brain Computer Interfaces (BCIs, zu deutsch Gehirn-Computer-Schnittstellen) wird es möglich, ihm Geheimnisse zu entlocken. Ziel ist es zu verstehen, wie die Neuronen in unseren Köpfen miteinander kommunizieren, um dank dieser Erkenntnisse Krankheiten zu behandeln, Einschränkungen zu überwinden, und vielleicht sogar, menschliche Fähigkeiten über das gewohnte Maß hinaus zu verbessern.

Die am weitesten verbreiteten BCI-Anwendungen sind Cochlea-Implantate, die es gehörlosen Menschen erlauben, wieder zu hören. Dazu werden Töne von einem Gerät in elektrische Signale umgewandelt. Diese werden ans Gehirn gesendet und von ihm entschlüsselt. Andere Forscher nutzen bildgebende Verfahren wie die funktionelle Magnetresonanztomografie, um bei Wachkoma-Patienten, die nicht mehr in der Lage sind zu kommunizieren, im bestimmen Umfang Gehirnaktivitäten oder Bewusstsein nachzuweisen. Und ein kleines Vehikel namens Stentrode, das über die Blutbahn in der Nähe des Gehirnareals für motorische Fähigkeiten platziert wird, soll es Menschen ermöglichen, mit ihren Gedanken den Mauszeiger eines Computers zu bewegen.

Neben den zahlreichen Forschungszentren und Universitäten wie dem Mount Sinai Health System in New York oder der TU Berlin arbeiten auch Unternehmen meist aus dem Silicon Valley an BCIs. Dazu zählen Startups wie Kernel oder Synchron sowie Elon Musks Unternehmen Neuralink.

brand eins-Autor Christoph Koch spricht bei der SXSW mit Riki Banerjee, Vice President Research and Development von Synchron, darüber, wie Brain-Computer-Interfaces funktionieren – und wobei sie helfen.

Weibliche Gesundheit

Female Health Technology (Femtech) steht für technische Lösungen zur Verbesserung weiblicher Gesundheit. Etwa während der Menstruation, Schwangerschaft oder nach der Menopause. Aber auch bei Leiden, von denen Frauen überproportional betroffen sind, wie Autoimmunerkrankungen oder Osteoporose.

Bislang werden Frauen von der medizinischen Forschung benachteiligt. So werden nach wie vor viele Therapien an männlichen Patienten ausgerichtet, Medikamente nur an männlichen Probanten getestet und dadurch bei Patientinnen Fehldiagnosen, falsche Medikamentengabe oder -dosierung wahrscheinlicher. Erst seit 1993 existiert beispielsweise eine US-Richtlinie, die vorschreibt, dass Medikamente auch an Frauen getestet werden müssen, um eine Zulassung zu erhalten.

Femtech will dieses sogenannten Gender-Data-Gap schließen und praktische Hilfe anbieten. Eines der in Deutschland bekanntesten Angebote dürfte die Zyklus-Tracking-App Clue sein. Die Mitgründerin Ida Tin war es auch, die 2016 den Begriff Femtech prägte. Weitere Start-ups sind die digitale Frauenklinik Grace Health, Lact App für stillende Mütter sowie Joylux und Womaness für Frauen in der Menopause. Seitdem in vielen US-Bundesstaaten das Abtreibungsrecht deutlich verschärft wurde, ist in den USA das Thema Abtreibung – aber auch der Datenschutz, zum Beispiel von Zyklus-Tracking-Apps – verstärkt in den Fokus gerückt.

Gründerinnen von Femtech-Startups haben es allerdings schwer: Laut der Unternehmensberatung McKinsey entfallen nur etwa drei Prozent der Investitionen in digitale Gesundheitstechnik auf Femtech-Lösungen. Dabei seien diese nicht nur für Frauen nützlich, so der McKinsey-Bericht „The Dawn of the Femtech Revolution”. Denn: „Da Frauen nicht nur Verbraucherinnen sind, sondern auch die wichtigsten Entscheidungsträgerinnen in der Gesundheitsfürsorge für sich selbst und oft auch für ihre Familien, können bessere Gesundheitsergebnisse für Frauen zu besseren Ergebnissen für die Gesellschaft führen.“

Digitale Narkose

Jede Narkose ist ein – wenn auch mittlerweile sehr geringes – Risiko für die Patientin oder den Patienten, besonders für ältere. Denn mit zunehmendem Alter steigt die Belastung für Herz, Kreislauf, Lungen und vor allem für das Gehirn durch eine medikamentöse Anästhesie. Mit der digitalen Narkose gibt es seit Kurzem eine Alternative. Mit einer Virtual-Reality-Brille und Kopfhörern kann Menschen vor, während und nach einer Operation oder Behandlung die Angst und bis zu einem gewissen Grad auch der Schmerz genommen werden.

Firmen wie Wide Awake VR oder Oncomfort setzen auf eine Kombination aus Ablenkung, Hypnotherapie und therapeutischen Techniken wie Atemübungen. Die Technik versetzt Patienten beispielsweise in eine virtuellen Unterwasserwelt und fordert sie auf, im selben ruhigen und gleichmäßigen Rhythmus zu atmen den ein Wal, der dort schwimmt, mit seiner Flosse vorgibt. Durch die Entkoppelung der optischen und akustischen Wahrnehmung von der tatsächlichen Umgebung des OP-Saals oder Behandlungsraums kommt es im Idealfall zu einer Dissoziation, also einer Loslösung des Bewusstseins von der Wahrnehmung des eigenen Körpers. Bei Bedarf kann die digitale Narkose auch mit Lokalanästhesie, also der Betäubung einzelner Körperpartien kombiniert werden. Sie ist mit weitaus weniger Risiken verbunden als eine Vollnarkose.

DNA-Origami

Nano-Roboter, die kleiner sind als ein Bakterium, gelten als wichtiger Baustein der Medizin der Zukunft. Eine neue Funktion der winzigen Maschinen wird als DNA-Origami bezeichnet – also eine Art Bastelarbeit. Bislang konnte DNA-Stränge vor allem ausgelesen und geschrieben werden. DNA-Origami könnte nun unter anderem dazu genutzt werden, maßgeschneiderte Fallen für bestimmte Viren zu konstruieren. Diese Fallen wären an ihrer Innenseite mit Peptiden, Polymeren oder anderen Stoffen ausgekleidet, die sich mit Viren verbinden. Dadurch würde das Andocken von Viren an Zellen verhindert – sie blieben in dem Nano-Behältnis gefangen. Diese Methode könnte sowohl bei neuartigen Erregern funktionieren, über die Fachleute noch nicht viel wissen, als auch bei Mutationen von bekannten Viren.

An einer anderen Anwendung arbeiten Biophysikerinnen und Biophysiker der TU München. Sie wollen mithilfe von DNA-Origami Moleküle entwickeln, die Krebszellen erkennen und das Immunsystem veranlassen diese anzugreifen. Denn bislang ist das Immunsystem oft damit überfordert, Tumorzellen von gesunden Zellen zuverlässig und schnell zu unterscheiden. In manchen Fällen schaffen es Tumorzellen sogar, das Immunsystem so zu verwirren, dass es sie nährt, statt sie anzugreifen. Oder der Tumor hemmt genau bei den Zellen, die ihn eigentlich bekämpfen müssten die Aktivität. Ein aus DNA konstruierter Nano-Schalter könnte das verhindern. Sollte sich diese Technik in der Praxis bewähren, wären damit deutlich effektivere und nebenwirkungsärmere Krebstherapien möglich.

Besser altern

So unterschiedlich wir Menschen auch sein mögen – eine Sache haben wir alle gemeinsam: Wir altern. Beginnend mit dem ersten Lebenstag setzt dieser Prozess ein. 426 Millionen Menschen werden voraussichtlich im Jahr 2050 über 80 sein. Verschiedene Bewegungen – von Biohacking über Longevity bis Modern Elderhood – haben sich vorgenommen, dem Altern den Schrecken zu nehmen. Zum einen versteht die moderne Medizin den Prozess immer besser. Zum anderen hat die Weltgesundheitsorganisation hohes Alter offiziell in die internationale Klassifikation von Krankheiten und verwandten Gesundheitsproblemen aufgenommen – weshalb der Kampf dagegen offensiv geführt werden darf.

Die Methoden, wie die Menschen erlauben sollen, gesünder und vitaler zu altern, sind dabei vielfältig. Die einen setzen bei den Telomeren an, also jenen DNA-Schutzkappen, die sich mit jeder Zellteilung weiter verkürzen und somit die Lebensdauer von Zellen bestimmen. Andere erforschen die Thymusdrüse, die eine wichtige Rolle im Immunsystem spielt, aber im Alter normalerweise verfettet, teilweise oder ganz ausfällt. Und wieder andere setzen auf Metformin – ein bereits seit Jahrzehnten eigentlich gegen Diabetes Typ 2 verschriebenes Medikament, das auch einige altersbedingte Krankheiten bremsen soll. An der Verlängerung des gesunden Lebens tüfteln unter anderem Start-ups wie Tally Health, Metalab, Mogling Bio oder Elevian. ---