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Mehr Viefalt lohnt sich

Fünf Trends in der neuen Arbeitswelt.




• Kaum ein Ort spiegelt den betrieblichen Wandel so wider wie die Kaffeeküche: Die Zentrale des informellen Austauschs – gern auch Lästerns – hat stark an Bedeutung verloren. Seit der Pandemie sieht man viele Kolleginnen und Kollegen häufiger auf dem Computermonitor als in der Firma. Zudem hält künstliche Intelligenz Einzug ins Personalwesen, Arbeitsmodelle werden neu ausgehandelt, Themen wie Inklusion und Diversität werden von der Kür zum Pflichtprogramm.

Der dazu passende Themenschwerpunkt bei der Konferenz South by Southwest SXSW in Austin, Texas, verheißt nicht weniger als eine „Workplace Revolution“. Wir stellen fünf Ideen und Trends vor, die dort präsentiert und diskutiert werden.

Karriere dank KI

Maschinelles Lernen erleichtert die Personalarbeit. So können Algorithmen die Vorauswahl von Bewerberinnen und Bewerbern übernehmen oder gewünschte Kompetenzen mit Qualifikationen in Lebensläufen abgleichen. Der US-Fluglinie Southwest Airlines gelang es, dank der Technik im vergangenen Jahr innerhalb von nur sechs Monaten 10.000 Menschen einzustellen – und damit den Personalstand vor der Pandemie wieder zu erreichen. Nach Angaben des Unternehmens sparte ein smarter Chatbot dabei 92.000 Arbeitsstunden.

Künstliche Intelligenz kann aber noch mehr, nämlich bei der Personalentwicklung helfen. Einer Prognose des Computer-Herstellers Dell und dem Institute for the Future zufolge existieren 85 Prozent aller Jobs des Jahres 2030 heute noch nicht. Für diese Positionen gibt es keine etablierten Karrierepfades. Stattdessen, so die Einschätzung von Fachleuten, müssen die individuellen Kenntnisse, Talente und Interessen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit den neu entstehenden Aufgaben bestmöglich zusammengebracht werden. Dafür ist KI gut geeignet – sofern sichergestellt ist, dass sie sich nicht an menschlichen Stereotypen orientiert, also bestimmte Personengruppen benachteiligt.

brand eins-Autor Christoph Koch spricht bei der SXSW mit Hilke Schellmann, Journalistin und Forscherin, darüber, wie künstliche Intelligenz die Arbeitswelt beeinflusst.

Wo arbeitet es sich am besten?

In der Pandemie hat sich gezeigt: Arbeit von zu Hause oder anderen Orten ist für viele Menschen möglich – stellt sie aber vor neue Herausforderungen. Eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey-Studie kam zu dem Ergebnis, dass zwei Drittel der im Homeoffice tätigen Befragten auch am Feierabend oder Wochenende beruflich erreichbar sind. Mehr als ein Drittel hat das Gefühl, rund um die Uhr verfügbar sein zu müssen.

In der neuen Arbeitswelt ist es nicht nur schwieriger, Dienstliches und Privates zu trennen, auch die Bindung zum Arbeitgeber kann sich lockern. Wer nur noch an einzelnen Tagen ins Unternehmen kommt, identifiziert sich womöglich weniger mit dem Betrieb und seiner Position dort.

Die Lösung für solche Probleme sollte individuell ausfallen, denn die Bedürfnisse der Beschäftigten unterscheiden sich und wandeln sich im Lauf der Zeit. Untersuchungen zeigen, dass jüngere Menschen, die permanent zu Hause arbeiten, mehr unter Einsamkeit, Stress und Angstzuständen leiden als ältere. Für Eltern mit kleinen Kindern, die dank der Heimarbeit Beruf und Familienleben besser miteinander vereinen können, fallen die Vorzüge hingegen stärker ins Gewicht.

Fairness zahlt sich aus

Die Abkürzung DEIB steht für Diversity, Equity, Inclusion, Belonging – also Vielfalt, Gleichberechtigung, Einbeziehung und Zugehörigkeit. Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass alle Menschen in einer Firma die gleichen Rechte und Chancen haben und sich wertgeschätzt fühlen. Doch die Realität sieht bekanntlich anders aus.

Dabei wäre es nicht nur ein Gebot der Fairness, auf DEIB zu setzen, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll. So kam eine Studie der Unternehmensberatung Deloitte zu dem Ergebnis, dass erfolgreiche DEIB-Initiativen zu einer 56 Prozent verbesserten Performance und 75 Prozent weniger Krankheitstagen führen können.

Die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, Toleranz gegenüber Menschen verschiedener Herkunft oder Glaubensrichtungen stehen schon länger auf der Agenda von Unternehmen. Die Sorgen von Trans-Menschen werden hingegen – zumindest in Deutschland – selten thematisiert. Nach Angaben der Unternehmensberatung McKinsey fühlt sich mehr als die Hälfte von ihnen nicht wohl dabei, ihrer Identität am Arbeitsplatz Ausdruck zu verleihen. Trans-Personen seien „überdurchschnittlich häufig von Arbeitsverlust, Arbeitslosigkeit sowie Armut betroffen und arbeiten sehr oft unter ihren Qualifikationen“ stellt die Antidiskriminierungsstelle des Bundes fest. Auch diesen Menschen ein sicheres, akzeptierendes und wertschätzendes Arbeitsumfeld zu bieten, ist also dringend notwendig.

Weniger Uni wagen

Der Trend hin zum Hochschulabschluss ist ungebrochen: Gab es im Jahr 2002 hierzulande noch knapp zwei Millionen Studentinnen und Studenten, sind es inzwischen fast drei Millionen. Ist das sinnvoll? Daran gibt es Zweifel unter anderem für die Berufe, die einem raschen Wandel unterliegen, dem starre akademische Lehrpläne nicht folgen können. Bei Einstellungsverfahren mehr auf tatsächliche Fähigkeiten zu achten als auf Uni-Abschlüsse wäre zudem eine gute Methode, um für mehr Vielfalt in Unternehmen zu sorgen (siehe DEIB). Wenn, wie heutzutage in vielen Großunternehmen üblich, für sehr viele Jobs unisono Bachelor- oder Masterabschlüsse verlangt werden, sind vor allem Minderheiten benachteiligt. Sie haben die gewünschten Zeugnisse häufig nicht – aber durchaus die für die jeweilige Stelle erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten.

Für Unternehmen kann es sich also lohnen, die eigenen Einstellungskriterien zu hinterfragen, um die Auswahl an Arbeitskräften zu erhöhen und für eine vielfältigere und engagiertere Belegschaft zu sorgen. Denn wer weiß, dass ein fehlendes Abschlusszeugnis seiner Karriere im Unternehmen nicht im Wege steht, wird sich dort vermutlich stark ins Zeug legen.

Freelance Economy

Digitalisierung und Globalisierung machen neue Formen der Kooperation möglich. Dank Online-Kollaborationstools und Cloud-Diensten können sich Teams aus Freiberuflern und auch Festangestellten finden, um von unterschiedlichen Orten aus an Projekten zu arbeiten. Die Plattform Fiverr hat mit Togetherr ein Programm entwickelt, dass es erlaubt, Arbeitsgruppen anhand von Persönlichkeitsmerkmalen, Erfahrungen und zahlreichen anderen Informationen zusammenzustellen. Ähnlich funktioniert die französische Plattform Malt, auf der Grafiker und Software-Entwicklerinnen ebenso zu finden sind wie Unternehmensberaterinnen oder Übersetzer.

Bei einer McKinsey-Erhebung in den USA zeigte sich, dass 36 Prozent der Menschen im arbeitsfähigen Alter inzwischen als Freelancer, Gig Worker, Zeitarbeiter oder anderweitig unabhängig tätig sind. Sechs Jahre zuvor lag der Anteil noch bei 27 Prozent.

Der Boom hat (mindestens) zwei Seiten: Im Idealfall bedeutet freiberufliche Arbeit Flexibilität, Abwechslung und Selbstbestimmung. Im schlechtesten Fall führt sie zu Ausbeutung, Lohndumping und in die Armut. Letzteres zu verhindern dürfte eine der größten Herausforderungen der neuen Arbeitswelt sein. ---