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Auf lange Sicht

Fünf zukunftsträchtige Innovationen.




• Rückblickend ist es immer einfach, sich über Zukunftsprognosen lustig zu machen, die spektakulär danebenlagen. Wo sind die Städte auf dem Mond, die fliegenden Autos und die kernkraftbetriebenen Staubsauger, die in den Fünfzigerjahren für das Jahr 2000 imaginiert wurden? Das Internet ist voll von echten, falschen und halbrichtigen Zitaten, in denen Fachleute vor einigen Jahrzehnten prognostizierten, niemand wolle einen Computer in seinem Haus haben oder das Internet sei bald Geschichte. 

Doch solche rückblickende Häme hilft niemandem weiter. Sich in Prognosen und Szenarien mit der Zukunft – oder eher den verschiedenen denkbaren Zukünften – zu beschäftigen, ist trotzdem sinnvoll. Denn nur, wer sich über die Welt von morgen Gedanken macht, kann sie mitgestalten. Auch auf dem Hightech-Festival South by Southwest (SXSW) im texanischen Austin gibt es deshalb einen Zukunfts-Schwerpunkt mit dem Titel „2050“. Von den Szenarien die dort präsentiert und diskutiert werden, stellen wir fünf vor.

Umweltschutz im Weltraum

Die Zahl von Satelliten, welche die Erde umkreisen nimmt exponentiell zu. Kommerzielle militärische und wissenschaftliche Satelliten bewegen sich in unterschiedlichen Umlaufbahnen. Die meisten befinden sich im Low Earth Orbit, also nah an der Erde. Im Medium Earth Orbit und Highly Elliptical Orbit sowie in den weiter entfernten Bahnen des Geosynchronous und Geostationary Orbit ist derzeit noch vergleichsweise wenig los. Das könnte sich ändern, denn nicht nur der Bedarf an Satelliten steigt, es wird auch immer billiger, sie in die Umlaufbahn zu bringen.

Doch wie viele Satelliten haben in den verschiedenen Erdumlaufbahnen Platz? Was passiert, wenn sie kaputtgehen oder ausrangiert werden, weil ihre Technik nicht mehr den aktuellen Anforderungen entspricht? Oftmals beträgt die Lebensdauer nur zwischen fünf und zehn Jahren, was für eine zunehmende Vermüllung des Weltalls sorgt und ein beträchtliches Zukunftsrisiko darstellt.

Einerseits sind Satelliten wichtig für den Umweltschutz: Sie ermöglichen bessere Ernten, helfen dabei, die Verursacher von Umweltschäden zu identifizieren, und können Routen von Flugzeugen und Schiffen verbessern. Aber eine stärkere Regulierung des Alls und seines Satellitenverkehrs ist nötig, um den dortigen Verkehr in vernünftige Bahnen zu lenken, so die Einschätzung von Expertinnen und Experten. Stärkere Zusammenarbeit, gemeinsame Nutzung von Satelliten und weniger Wildwest-Mentalität im All soll verhindern, dass sich die gleichen Fehler im Weltraum wiederholen, die auf der Erde gemacht wurden.

brand eins-Autor Christoph Koch spricht bei der SXSW mit Sofie Hvitved, Futurist and Senior Advisor am Copenhagen Institute for Futures Studies, über Mixed Reality in der Autobranche und das Metaverse.

Comeback der Hardware

Software hatte einen guten Lauf in den vergangenen Dekaden. Alles, was sich programmieren ließ, wurde in Code verwandelt – und wanderte danach meist in die Cloud. Statt Atomen waren Bits und Bytes maßgeblich, „Software is eating the world“ wurde zum geflügelten Wort. Doch einige der großen Herausforderungen, vor denen die Menschheit steht, lassen sich nicht smarten Algorithmen lösen – sondern müssen mithilfe ebenso intelligenter wie robuster Maschinen in Angriff genommen werden.

Kernfusion beispielsweise könnte, wenn sie gelänge, einen Großteil unseres Energiebedarfs nachhaltig decken. Dafür braucht es Fusionsreaktoren, hochpräzise Anlagen, die enormen Temperaturen und Drücken standhalten müssen, damit die Kernfusion gelingt, also mehr Energie erzeugt, als hineingesteckt wird.

Eine andere Zukunftstechnik entfernt CO2 aus der Luft. Dieses kann anschließend unterirdisch eingelagert werden, um sie der Atmosphäre dauerhaft zu entziehen. Die dafür nötigen Anlagen werden zwar oft als „künstliche Bäume“ bezeichnet, sind aber in Wirklichkeit lagerhallengroße Apparaturen, in den große Gebläse Luft durch einen Abscheidungsapparat pumpen, in dem dann das CO2 durch unterschiedliche chemische Absorptionsmechanismen gebunden wird. Noch ist unklar, ob auf diese Weise der Atmosphäre genügend Kohlendioxid entzogen werden und sicher gespeichert werden kann. Doch eines ist sicher: Einen Cloud-Anbieter, der CO2 mithilfe von Software-Abos aus der Luft fischt, wird es nicht geben.

Bakterien – besser als ihr Ruf

Im 19. Jahrhundert starben Millionen Menschen an Infektionskrankheiten wie Cholera, Diphtherie, Tuberkulose oder an infizierten Wunden. Es war der deutsche Arzt Robert Koch, der um 1880 herum entdeckte, wer dafür verantwortlich war: Bakterien. Seitdem haben sie einen schlechten Ruf und werden mit Desinfektionsmitteln, antibakteriellen Seifen und Antibiotika bekämpft. Doch sie haben auch ihren guten Seiten: Ohne Bakterien gäbe es kein Leben auf der Erde und weder Käse, Sojasauce oder Essig.

Die winzigen Erreger könnten auch eine Schlüsselrolle bei der Lösung der großen Menschheitsprobleme spielen. Bakterien sind in der Lage, Einwegplastik zu zersetzen, und speichern zusammen mehr Kohlendioxid als alle Bäume der Welt. Zudem ließen sie sich womöglich als Energiequelle nutzen. Forscherinnen und Forschern des Berkeley Lab gelang es, Bakterien aus der Familie der Streptomyces zu identifizieren, die Cyclopropan produzieren, einen Stoff mit einer hohen Energiedichte. Man sein nur noch einen Schritt davon entfernt, diese in einen einsatzfähigen Kraftstoff zu verwandeln.

Noch etwas weiter in die Zukunft gedacht, ließen sich mithilfe von Bakterien sogar neue Planeten  besiedeln. Cyanobakterien könnten einem Team portugiesischer Mikrobiologinnen und -biologen zufolge auf dem Mars mit wenig Sonnenlicht Sauerstoff produzieren – und so eine Grundlage für Leben erschaffen.

Lehren aus dem Web3-Fiasko

Web3, Kryptowährungen und NFTs (Non-Fungible Tokens) waren große Hypes – nicht zuletzt, weil sie große Spekulationsgewinne versprachen. Im vergangenen Jahr folgte dann auf breiter Front die Ernüchterung: Die naive Kundschaft war auf halbseidene Geschäftemacher hineingefallen, die Preise für NFT-Kunstwerke und Währungen wie Bitcoin fielen. Schließlich riss die Pleite der Kryptobörse FTX – und generell die fallenden Kurse – noch verschiedene andere Kryptofirmen mit in die Insolvenz oder in schwere Krisen.

War es das? Es gibt Fachleute, die die den Krypotwährungen zugrundeliegende Blockchain-Technik weiterhin für relevant halten. Das Ende des Hypes mache den Weg frei für wirklich nützliche Anwendungen. Die Programmiererin und Autorin Molly White, die die Web3-Blase früh kritisierte, zieht folgende Lehre aus dem Absturz: Man solle nicht blindlings auf „das nächste große Ding“ vertrauen und skeptisch gegenüber digitalen Versprechungen bleiben – die zu gut klingen, um wahr zu sein.

NASA-Tiefseeforschung

Zu den Aufgaben der NASA gehört seit ihrer Gründung im Jahr 1958 auch Erforschung der Ozeane – sowohl mit Satelliten als auch Unterwassermissionen. Das Interesse an der Tiefsee wächst, weil sich dort Erkenntnisse zum besseren Verständnis des Weltalls finden lassen. So helfen Missionen in die sogenannte Hadopelagial-Zone, zu der die tiefsten Gräben der Ozeane gehören, dabei, Ausrüstung für Expeditionen in die Kälte und Dunkelheit des Alls zu testen. Zum anderen könnten die dortigen Lebewesen – von denen wir bisher nur wenige kennen – Aufschluss darüber geben, wie Leben auf anderen Planeten möglich werden könnte. Und nicht zuletzt stößt die NASA bei ihrer Erkundung des Weltraums auch immer häufiger auf Wasser: So schlummern vermutlich unter den Eisschichten der Saturnmonde Titan und Enceladus sowie der Jupitermonde Ganymed und Callisto vermutlich salzige Ozeane von mehreren Kilometern Tiefe. ---