Wo leben Ausländer in Deutschland?

Etwa zehn Prozent aller Bürger hierzulande – oder 8,2 Millionen Menschen – haben keinen deutschen Pass. In Wolfsburg wohnen viele Italiener, Rumänen zieht es nach Bayern und US-Amerikaner in den Großraum Kaiserslautern. Wieso das so ist, weiß der Migrationsforscher Jochen Oltmer von der Universität Osnabrück.

Karte und Interview von Ingo Eggert

Jochen Oltmer

Jochen Oltmer ist Professor am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien der Universität Osnabrück. Er erforscht die Geschichte der Migration vom späten 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart.

brand eins: Warum leben Ausländer dort, wo sie leben?

Jochen Oltmer: Vornehmlich aus wirtschaftlichen Gründen. In der alten Bundesrepublik hat die Zuwanderung ganz wesentlich mit den Anwerbe-Abkommen zwischen 1955 und 1973 zu tun, der sogenannten Gastarbeiterzuwanderung.

Haben Sie ein Beispiel?

Der Automobilkonzern Volkswagen hat 1962 begonnen, gezielt Italiener anzuwerben. Daher hat sich sehr schnell eine relativ starke italienische Herkunftsgemeinschaft rund um Wolfsburg etabliert, die bis heute Bestand hat. Eine ähnliche Entwicklung gab es im Saarland. Dort haben Firmen aus der Eisen- und Stahlindustrie ebenfalls italienische Arbeitskräfte angeworben. An beiden Standorten entwickelten sich sogenannte Kettenwanderungen. Das heißt, dass Menschen dort hinziehen, wo sie Verwandte oder Freunde haben. So kommt es in vielen Fällen zu Ballungen von Menschen aus spezifischen Regionen oder Staaten.

Diese Ballungen scheinen bis heute zu bestehen.

So ist es. In den frühen Sechzigerjahren haben sich an Industriestandorten um München und Stuttgart herum sowie in Nordrhein-Westfalen viele Italiener angesiedelt. Ab Mitte der Sechzigerjahre kamen dann viele Menschen aus Jugoslawien und der Türkei nach Deutschland, um in der Automobil-, Eisen-, Stahl- und Textilindustrie zu arbeiten. Das macht sich bis heute bemerkbar.

Und in den neuen Bundesländern?

Die DDR warb seit den frühen Siebzigerjahren sogenannte Vertragsarbeiter für die Wirtschaft an. Sie kamen vornehmlich aus Vietnam, Kuba und Mosambik. Mit dem Ende der DDR im Jahr 1989/90 wurden die Anwerbungen eingestellt. Obwohl ihre Aufenthaltsdauer im Vornherein auf maximal fünf Jahre begrenzt worden war, gingen nicht alle Menschen danach auch wieder zurück. Manche blieben. Für sie wurden zum Teil Übergangsregelungen geschaffen. Insbesondere für Menschen aus Vietnam.

Wieso?

Viele Vietnamesen, die bereits in der DDR waren, bemühten sich um Asyl. Das politische System im Vietnam war damals alles andere als demokratisch und offen. In einigen Fällen führten auch die fremdenfeindlichen Übergriffe in Rostock-Lichtenhagen auf ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter dazu, dass Aufenthaltsgenehmigungen etwas großzügiger ausgesprochen wurden.

Wenn man die Karte betrachtet, fällt auf, dass zwei Nationen dominieren. Wie erklärt es sich, dass besonders viele Polen und Türken in Deutschland leben?

In den späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahren wurde stark in der Türkei um Arbeitskräfte geworben. Während dieser Zeit sind viele Menschen von dort nach Deutschland gekommen – und schließlich auch geblieben. 1973 wurden alle Anwerbungen gestoppt, um die Zahl der Ausländer wieder zu reduzieren. Doch der Stopp hat genau das Gegenteil bewirkt. Ein hohe Zahl von Türken stand nun vor der Wahl: Entweder gehen sie wieder zurück, dürfen aber nicht wiederkommen, oder sie bleiben – und holen ihre Familien nach. Und genau das haben viele gemacht. Sieben Jahre später führte der Militärputsch in der Türkei dazu, dass weitere Türken nach Deutschland gekommen sind, um Asyl zu beantragen.

Und Polen?

Polen sind erst seit dem Ende des Kalten Krieges verstärkt nach Deutschland gekommen. Zunächst Ende der Achtziger- und Anfang der Neunzigerjahre als Aussiedler. Später verstärkt als Saisonarbeiter, nach Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, beispielsweise zum Spargelstechen oder für die Erdbeerernte. Auch von ihnen sind manche geblieben. Seit dem Eintritt Polens 2004 in die Europäische Union (EU) und der seit 2011 dazugehörigen Freizügigkeit, die es jedem EU-Bürger ermöglicht, in einem anderen EU-Land zu leben und zu arbeiten, sind weitere Polen nach Deutschland gekommen.

Gibt es Parallelen zur rumänischen Zuwanderung?

Sie verhält sich in der jüngsten Vergangenheit zumindest sehr ähnlich. Seit der Aufnahme Rumäniens in die EU im Jahr 2007 kommen viele Rumänen nach Deutschland. Sie arbeiten besonders häufig in der Fleisch- und Nahrungsmittel-Industrie. Die Karte spiegelt somit auch ein wenig die Standorte dieser Branchen wider.

In Cuxhaven leben vornehmlich Portugiesen. Wie kommt das?

In den Sechzigerjahren wurden Portugiesen für die Fischereiflotte in Cuxhaven angeworben. Damals war der Anteil von Portugiesen in der Fischerei-Industrie relativ hoch. Aufgrund des insgesamt geringen Ausländeranteils in Cuxhaven lässt sich dieses Phänomen heute noch beobachten.

Und der hohe Anteil von US-Amerikanern rund um Kaiserslautern?

Dort befinden sich weiterhin große Stützpunkte der US-Luftwaffe.

2015 hatte Deutschland eine starke Zuwanderung von Asylsuchenden, die auf der Karte noch nicht zu sehen sind, da die Daten von 2014 stammen. Was wird sich verändern?

Die Verteilung von Flüchtlingen aus Syrien, Afghanistan und Irak wird das Bild erheblich verändern. Möglicherweise stehen in Kreisen, in denen der Anteil von Vietnamesen und Bulgaren 2014 noch sehr hoch war, inzwischen Syrer oder Iraker an erster Stelle. Besonders in Kreisen, in denen der Ausländeranteil eher gering ist, wird es zu erheblichen Veränderungen kommen. Das betrifft vor allem ländliche Regionen und die neuen Bundesländer.