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Updates aus dem Rathaus, Teil II

Der Däne Claus Ruhe Madsen, 47, ist der erste ausländische Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt. Im Juni 2019 gewann er die Wahl zum Oberbürgermeister der Hansestadt Rostock. Seit September ist der Parteilose offiziell im Amt – als Neuling im Politikbetrieb.

Zuvor hat Madsen eine Möbelkette und eine Wohnmobilvermietung gegründet und war von 2013 bis 2019 Präsident der Industrie- und Handelskammer. brand eins wird ihn ein Jahr lang begleiten und ihn jeden Monat fragen: Hvordan går det? Wie läuft’s?

Im zweiten Teil berichtet Claus Ruhe Madsen über das Verhältnis zu seinen Mitarbeitern, ein Großprojekt auf dem Prüfstand und erste Fortschritte bei der Digitalisierung.



Claus Ruhe Madsen
Claus Ruhe Madsen

— Rostock, Dezember 2019

Als Unternehmer konnten Sie sich Ihr Team selbst zusammenstellen. Nun arbeiten Sie in der Stadtverwaltung mit Menschen zusammen, die Sie nicht eingestellt haben. Wie läuft die Zusammenarbeit?

Ich glaube, wir müssen uns noch aneinander gewöhnen. Mein Gefühl ist, dass etwa ein Drittel der 2.500 Verwaltungsmitarbeiter nicht von Anfang an begeistert ist, ein Drittel erst einmal abwartet und ein Drittel meinen Weg sofort mitgeht. Mir muss es schnell gelingen, die Mitarbeiter, die auf der Lauer liegen, für meine Ideen zu gewinnen – damit zwei Drittel der Mitarbeiter schon mal an einem Strang ziehen. Das letzte Drittel muss ich Stück für Stück überzeugen. Aber das ist völlig normal mit einem neuen Chef.

Was ist der größte Unterschied zu Ihrer früheren Rolle als Unternehmer?
Ich finde es schade, dass ich wohl nie alle Mitarbeiter kennenlernen werde. In meinen eigenen Unternehmen kannte ich jeden Mitarbeiter, deren Kinder, sogar die Haustiere. Wenn jetzt jemand zu mir ins Büro kommt, kann es ein Paketbote oder ein Mitarbeiter sein. Das finde ich unangenehm. Aber daran muss ich mich wohl gewöhnen.

Auch an öffentliche Kritik? Die Ostsee Zeitung betitelte Sie als „Stop-OB“. Sie haben unter anderem die Finanzierung der Bundesgartenschau 2025 in Frage gestellt.
Ich weiß nicht, ob ich als Däne eine falsche Definition von Prüfstand habe, oder ob ich falsch verstanden werde. Wenn ich sage, ich stelle etwas auf den Prüfstand, ist es für mich nicht gestoppt – dann wird es geprüft. Sonst würde ich sagen, ich stoppe es.

Fakt ist, dass Sie kein Fan von Großprojekten sind.
Ich mag die Idee einer Bundesgartenschau. Sie ist nur leider ein Sammelsurium von ganz vielen Projekten – von einem Archäologischen Landesmuseum bis hin zu einer Brücke über die Warnow. Aktuell werden die Kosten auf rund 150 Millionen Euro geschätzt.

Was ist das Problem?
Rostock hat ein solches Großprojekt noch nie realisiert. Die Stadt verbaut normalerweise etwa 65 Millionen Euro im Jahr. Und es geht ja nicht nur um die Bundesgartenschau. Die Bürgerschaft möchte auch ein neues Theater (110 Millionen Euro), eine neue Feuerwache (65 Millionen Euro), ein Rathausanbau (60 Millionen Euro) und eine Eis- und Schwimmhalle (40 Millionen Euro). Wenn wir das wirklich alles umsetzen wollen, müsste es heute Geld regnen, morgen Stadtplaner und übermorgen Firmen, die das bauen können. Das wird nicht passieren.

Kroepeliner strasse
Die Kröpeliner Straße in Rostock

Die Stadt gilt als schuldenfrei. Das weckt Erwartungen.
Mein Vorgänger hat den Bürgern vermittelt: Holt die Pralinenschachtel raus – und sucht euch eine aus. Ich muss nur leider sagen: Da sind nur wenige Pralinen drin. Das sehe ich auch in der Bürgerschaft. Bei einigen Anträgen geht es mir zu sehr um die eigene Profilierung: Guckt mal, wir haben etwas verlangt – wohlwissend, dass es gar nicht umsetzbar ist. Ich könnte mir auch für jeden Bürger ein Einhorn wünschen. Das klingt interessant, geht aber nicht.

Haben Sie ein konkretes Beispiel für eine Ihrer Ansicht nach unrealistische Erwartung?
Viele in der Bürgerschaft wünschen sich zum Beispiel Wohnheime für Studenten mit niedrigen Mieten. Der Stadt sollen aber keine Kosten entstehen. Also sollen private Unternehmen auf gepachteten Grundstücken solche Studentenwohnheime bauen. Ist das realistisch? Wohl kaum. Für mich als Unternehmer ist das Pippi Langstrumpf-Politik – ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt. Wenn wir wirklich Wohnraum für Studenten schaffen wollen, warum beschließen wir das nicht? Warum sagen wir nicht: Wir wollen für 300 junge Leute ein Wohnheim. Punkt. Und dann setzen wir das um.

Sie sind seit drei Monaten im Amt. Spüren Sie schon einen gewissen Erfolgsdruck?
Ich stelle fest, dass einige Menschen schon ungeduldig werden. Wahrscheinlich hat jeder gedacht, dass ich an meinem ersten Tag mit dem Spaten vor dem Rathaus stehe und den ersten Meter Radweg selbst baue. Ich habe aber immer gesagt: Ich möchte zuerst einen Kassensturz machen, meine Mitarbeiter kennenlernen und herausfinden, wie der Hase läuft. Ich dachte immer, ich bräuchte keinen schnellen politischen Erfolg – eventuell war das nicht ganz richtig.

Claus Ruhe Madsen
Claus Ruhe Madsen

In Ihrem Wahlprogramm stehen fast 70 Versprechen.
Ja, ich weiß, ich kann einer Stadtverwaltung aber nicht einfach vorschreiben: Wir machen jetzt das, das und das. Und alles andere kommt in die Tonne. Die Bürger haben keinen König gewählt, sondern einen Bürgermeister. Ich muss Mehrheiten in der Bürgerschaft schaffen.* Und wenn mir das nicht gelingt, muss ich das akzeptieren.

Etwas, das Sie allein voranbringen können, ist die Digitalisierung der Verwaltung. Gibt es da Fortschritte?
Zu Beginn meiner Amtszeit wurden mir noch alle E-Mails ausgedruckt – auch die mit Links. Inzwischen bekomme ich immer mehr Unterlagen digital zugeschickt. Der tägliche Papierstapel auf meinem Schreibtisch wird also kleiner. Damit fällt auch eine gern genutzte Phrase weg.

Welche?
Ich höre oft: „Die Akte liegt auf Ihrem Tisch.“ Das soll heißen: Ich habe etwas noch nicht bearbeitet. Dabei nehme ich jeden Abend alle Akten, die dann noch auf meinem Schreibtisch liegen, mit nach Hause, bearbeite sie und bringe sie nächsten Morgen wieder mit ins Rathaus.

Was wäre Ihr Ideal?
Wären alle Akten digital, gäbe es das Problem nicht. Alle wüssten jederzeit, wo sich die Unterlagen gerade befinden, wer sie bearbeitet oder was noch gemacht werden muss. Ich würde zum Beispiel gern einmal wissen, wie lange Akten bei uns in der Verwaltung im Durchschnitt unterwegs sind, in welchen Behörden sie wie lange liegen und wie viele Meter sie zurückgelegen. Ich glaube, das würde nochmals verdeutlichen, warum wir Abläufe digitalisieren müssen.

Ist das denn so kompliziert?
Es ist jedenfalls nicht so einfach, wie man meinen könnte. Denn bevor wir in der Verwaltung etwas digitalisieren können, müssen wir alle Arbeitsschritte strukturieren: Wenn Ergebnis X, dann mache Y. Doch solange wir Entscheidungen nach Ermessen treffen, oder jemand mitten im Prozess sagt: „Hier bin ich mir nicht sicher, das soll mal Hans entscheiden“, wird uns das nicht gelingen – denn Hans gibt es im Digitalen nicht.

Viele Menschen haben Angst vor der Digitalisierung ...
... aber viele dieser Menschen haben auch ein Smartphone – und ihre Fotos, Nachrichten oder Bankverbindungen längst digitalisiert. Doch im Arbeitsumfeld fürchten sie sich vor der Digitalisierung. Diese Angst möchte ich ihnen nehmen.

*Däne ohne Hausmacht

Claus Ruhe Madsen ist als Oberbürgermeister der Hansestadt Rostock der Chef der Verwaltung. Dort arbeiten rund 2.500 Mitarbeiter. Sie setzen die politischen Entscheidungen um, die im Stadtparlament, der Bürgerschaft, getroffen werden. Madsen gehört keiner Partei an. Während seines Wahlkampfs wurde er von CDU und FDP unterstützt, die aber in der Bürgerschaft keine Mehrheit haben. Madsen muss also auch bei anderen Parteien für seine Vorhaben werben.

Rostock in Zahlen

Zahl der Einwohner, im Jahr 1990 248.088
Zahl der Einwohner, im Jahr 2000 197.769
Zahl der Einwohner, im Jahr 2018 209.085
Durchschnittsalter der Bevölkerung im Jahr 1990, in Jahren 35,5
Durchschnittsalter der Bevölkerung im Jahr 2018, in Jahren 45,1
Bruttolohn je Arbeitsnehmer im Jahr 2000, in Euro 21.429
Bruttolohn je Arbeitsnehmer im Jahr 2017, in Euro 30.282
Arbeitslosenquote im Jahr 2000, in Prozent 15,6
Arbeitslosenquote im Jahr 2018, in Prozent 7,8
Jährliche Sonnenscheindauer in Rostock, in Stunden 2.187
Zahl der Kreuzfahrtschiffe, die Rostock im Jahr 2005 angelaufen haben 97
Zahl der Kreuzfahrtschiffe, die Rostock im Jahr 2018 angelaufen haben 206
Platz im Ranking der fußgängerfreundlichsten Großstädte in Deutschland 1

— Hier lesen Sie alle Teile der Serie „Updates aus dem Rathaus“