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Updates aus dem Rathaus, Teil I

Der Däne Claus Ruhe Madsen, 47, ist der erste ausländische Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt. Im Juni 2019 gewann er die Wahl zum Oberbürgermeister der Hansestadt Rostock. Seit September ist der Parteilose, der während des Wahlkampfs von CDU und FDP unterstützt wurde, offiziell im Amt.

Madsen hat eine Möbelkette und eine Wohnmobilvermietung gegründet und war von 2013 bis 2019 Präsident der Industrie- und Handelskammer. Nun beginnt er als Neuling im Politik-Betrieb und möchte Rostock innovativer und lebenswerter machen. Seine Pläne sind ambitioniert. Sieben Jahre hat er dafür Zeit. brand eins wird ihn das erste Jahr begleiten und ihn jeden Monat fragen: Hvordan går det? Wie läuft’s?

Zum Auftakt der Serie berichtet Claus Ruhe Madsen über seine ersten Wochen im Amt.



Claus Ruhe Madsen in seinem Büro
Claus Ruhe Madsen in seinem Büro

— Rostock, November 2019

„Dass ich nun Oberbürgermeister bin, ist mir erst bewusst geworden, als ich zum ersten Mal im Rathaus die Tür meines neuen Büros hinter mir zumachte. ‚Okay’, dachte ich, ‚jetzt ist es mein Laden.’

Wenn neue Mitarbeiter in einem Unternehmen anfangen, wird ihnen normalerweise kurz erklärt, wie alles funktioniert. Ich saß allein in meinem Büro und auf meinem Schreibtisch lag ein Aktenstapel, der bearbeitet werden musste. Es hatte mir aber keiner gesagt, wie das geht – inzwischen hat man es mir erklärt. Wenn ich als Oberbürgermeister zum Beispiel etwas mit einem roten Stift schreibe, verfüge ich etwas – das wird dann umgesetzt. Senatoren, das sind Wahlbeamte, die eigenständig bestimmte Bereiche der Verwaltung leiten, schreiben bei uns mit lila. So kann man erkennen, wer was geschrieben hat. Ich weiß vorher nie, was in einer Akte steckt. Das kann eine Kleinigkeit sein, bei der ich mich frage, was macht das auf meinem Schreibtisch, oder die Entscheidung über Millionen Euro.

Eine meiner ersten Änderungen war, dass wir uns alle duzen. Für manche Kollegen war das ungewohnt, aber mittlerweile hat sich der lockere Ton durchgesetzt. Meine Arbeitstage vergehen unglaublich schnell. Ich beginne meist gegen 8 Uhr morgens und arbeite dann open end. Mein Kalender ist vollgestopft mit Sitzungen, öffentlichen Veranstaltungen, Mitarbeitergesprächen, Termine mit städtischen Gesellschaften, der Bürgerschaft oder Ausschüssen. Dazu kommen noch Termine am Wochenende, beispielsweise bei Vereinen.

Wenn ich abends das Rathaus verlasse, nehme ich mir eine Tasche mit Akten mit nach Hause, die ich noch lese, bearbeite oder abzeichne. Meine Familie weiß, dass sie mich erst einmal nur noch morgens sieht, wenn ich meiner Tochter ihr Schulbrot schmiere. Ich habe wenig Zeit für sie.

 

Vor meiner Zeit als Oberbürgermeister war ich Unternehmer und Präsident der Rostocker Industrie- und Handelskammer (IHK). Nach Deutschland war ich mit einem Koffer und ein paar Träumen gekommen. Ich habe zuerst im Ruhrgebiet in einem Möbelhaus als Verkäufer gearbeitet und dachte mir, das kann ich eigentlich auch selber. Zusammen mit Partnern habe ich dann mein eigenes Möbelhaus gegründet. Daraus ist inzwischen eine kleine Kette mit vier Standorten geworden. Vor kurzem kam noch ein Wohnmobilverleih dazu. Meine Firmen gehören mir noch, ich habe mich aber aus der Geschäftsführung zurückgezogen.

Als Unternehmer verdient man zwar mehr, aber dennoch ist die Vergütung des Oberbürgermeisters angemessen. Geld ist nicht das, was mich antreibt, sondern die vielen neuen täglichen Herausforderungen in diesem wunderbaren Job.

Eine Stadtverwaltung ist sehr hierarchisch strukturiert – Sachbearbeiter, Amtsleiter, Senatoren, Präsidenten und so weiter. In meinen Unternehmen  hatte jeder seinen Bereich und jeder konnte dort entscheiden, was das Beste ist. Mein Eindruck ist, dass Menschen besser arbeiten, wenn ich ihnen vertraue und ich mich nicht mehr einmische. In der Stadtverwaltung müssen wir moderner werden. Und modern heißt: weniger Hierarchie.

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Das Rostocker Rathaus

Hier hat auch jeder Mensch eine Nummer. Ich habe die 01, oder das Kürzel OB. Für meine Kollegen ist das völlig normal. Ich finde das sehr unangenehm. Diese Nummern stehen auch so in meinem Kalender: Termin mit 50. Ich finde es schade, dass wir uns gar nicht als Menschen sehen, sondern als Funktionen. Ich weiß, dass das notwendig ist. Es macht mir aber deutlich, wie sehr etwas von einer Person abgekoppelt ist, wenn ich einen Brief an S2 schreibe – in diesem Fall an den Senator für Finanzen, Verwaltung und Ordnung.

Vor wenigen Wochen haben wir einen Kassensturz gemacht. Jetzt weiß ich, dass wir ein ernstes Problem haben. Wir haben viel zu spät damit begonnen, Schulen, Straßen, Geh- und Radwege zu sanieren oder überhaupt zu bauen. Wenn ich mir die Verkehrs- und Infrastruktur in Rostock ansehe, ist die Stadt im Gestern hängengeblieben. Anderswo lässt sich mithilfe von Sensoren oder Videoüberwachung einfach feststellen, wo sich ein freier Parkplatz befindet. Wir aber drucken immer noch kleine Park-Zettelchen aus und legen sie in unsere Autos.

Es gibt ein paar Themen, die mir besonders wichtig sind. Ich möchte zum Beispiel, dass Rostock eine Fahrradstadt wird. Im Sommer haben wir dafür mit dem Bau eines Radschnellwegenetzes begonnen, das insgesamt 28 Kilometer umfassen soll. Das gesamte Netz wird aber frühestens in zehn Jahren fertig sein. In zehn Jahren! Ich bin für sieben Jahre gewählt geworden, die Bürgerschaft etwas kürzer.

Claus Ruhe Madsen vor dem Rathaus
Claus Ruhe Madsen vor dem Rathaus

Auch das Thema Digitalisierung möchte ich angehen. Ich verstehe, dass es schwierig ist, in Deutschland alle Bundesländer, Kreise, Gemeinden und Kommunen unter einen Hut zu bekommen. Aber Digitalisierung ist auch ein Stück weit Zentralisierung: Warum gibt es eigentlich keine digitale Plattform, von der sich alle Kommunen einzelne Apps für ihre Bedürfnisse herunterladen können? Viele skandinavische und baltische Länder, mit denen wir uns früher nicht mal verglichen haben, sind schon weit an uns vorbeigezogen.

Mich stört es auch, dass Bürger fast überall ihre Daten auf Papier abgeben müssen, nur damit die später in eine Excel-Datei oder eine Datenbank übertragen werden. Ich fühle mich manchmal wie eine menschliche E-Mail, die herumläuft. Ich habe zum Beispiel gerade angeordnet, dass ich bald nur noch digital erreichbar bin. Jeder, der dann etwas von mir möchte, muss mir seine Anfrage digital schicken. 

Politiker haben manchmal die Neigung, sich in großen Themen zu verlieren, und kleine Themen, die Menschen wirklich wichtig sind, zu vergessen. Hier in Rostock diskutieren wir seit Jahren über den Neubau des Volkstheaters oder die Ausrichtung der Bundesgartenschau – alles toll, aber Großprojekte verbessern das Leben der Bürger nicht wirklich. 

Ich weiß, ich kann mir viele Veränderungen wünschen, aber wenn nicht alle Mitarbeiter mitziehen, wird sich nichts ändern. Deshalb ist es wichtig, dass ich mir Zeit nehme, Mitarbeiter so zu motivieren, dass sie gerne an ihre Aufgaben herangehen.

Ich werde oft gefragt, warum ich Oberbürgermeister werden wollte. Meine Antwort: Ich mache gern neue Sachen. Natürlich hätte ich jetzt noch 20 Jahre als Möbelhändler arbeiten können. Ich glaube aber, wir werden uns am Ende unseres Lebens darüber ärgern, wenn wir Chancen nicht genutzt haben. 

Für mein Amt zahle ich einen hohen Preis. Ich bin nun eine öffentliche Person: Jeder weiß, wo ich bin oder was ich gerade mache. Der Buschfunk funktioniert sensationell. Ich merke, dass ein großer Druck auf meinen Schultern lastet. Ich bin jetzt 24 Stunden am Tag Oberbürgermeister. Egal, wo ich gerade bin. Wenn in Rostock etwas passiert, stehe ich dafür gerade.

Als Unternehmer konnte ich besser abschalten. Wenn ich in meinen Firmen einen Fehler gemacht habe, betraf es ‚nur’ die Firmen. Jetzt hätte es Auswirkungen auf die ganze Stadt und fast 210.000 Bürger. Daran muss ich mich noch gewöhnen. Ich will aber nicht klagen. Ich kann meiner Tochter nun erzählen, dass ich Oberbürgermeister bin. Das ist doch der Hammer.“ 

— Hier lesen Sie alle Teile der Serie „Updates aus dem Rathaus“