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Ziemlich viel los überall. Und das alles beeinflusst, wie wir wann welche Entscheidung treffen. Davon sind zumindest drei Top-Forscher der Entscheidungspsychologie überzeugt. Einer von ihnen ist Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman. Gemeinsam mit seinen beiden Co-Autoren Olivier Sibony, Professor an der Pariser Business School HEC, und Cass R. Sunstein, Berater von Joe Biden, legt er in seinem neuen Bestseller dar, wie wir mit Umsicht und mehr Objektivität gerechtere und bessere Entscheidungen treffen. Ein Essay.  

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Das Triumvirat der Entscheidungspsychologie: Oliver Sibony, Daniel Kahneman und Cass R. Sunstein (Foto: Samantha Power)

Wenn es um die Analyse von Fehlurteilen oder Fehlentscheidungen geht, heißt es inzwischen ziemlich oft, da sei jemand wohl voreingenommen gewesen. In der Psychologie sprechen wir dann von einem „Bias“. Wir verwenden diesen Deutungsansatz zum Beispiel, um zu erklären, warum Frauen häufig unterschätzt, Absolventen der sogenannten IvyLeague-Universitäten in den USA hingegen eher überschätzt werden. Der Begriff Bias bezeichnet jedoch nicht nur einzelne Fehleinschätzungen. Er erklärt auch, warum es immer wieder zu persönlich gefärbten Urteilen kommen kann.

Dass jemand etwa grundsätzlich zu optimistischen Umsatzprognosen neigt oder übermäßig vorsichtige Investitionsentscheidungen trifft, kann auch an seinem persönlichen Bias liegen. Es ist gut und wichtig, dass in der Gesellschaft inzwischen ein Bewusstsein für die Subjektivität der eigenen Urteilskraft angekommen ist. Allerdings folgt nicht jedes Fehlurteil einem Vorurteil. Fehlentscheidungen können auch auf eine andere Ursache zurückzuführen sein: Wir nennen sie „Noise“ – Rauschen.

Dass jemand etwa grundsätzlich zu optimistischen Umsatzprognosen neigt oder übermäßig vorsichtige Investitionsentscheidungen trifft, kann auch an seinem persönlichen Bias liegen. Es ist gut und wichtig, dass in der Gesellschaft inzwischen ein Bewusstsein für die Subjektivität der eigenen Urteilskraft angekommen ist. Allerdings folgt nicht jedes Fehlurteil einem Vorurteil. Fehlentscheidungen können auch auf eine andere Ursache zurückzuführen sein: Wir nennen sie „Noise“ – Rauschen.

Am einfachsten lässt sich der Unterschied zwischen Bias und Noise am Beispiel einer Waage verdeutlichen: Wenn deren Messwerte durchweg zu hoch (oder zu niedrig) sind, ist sie verzerrt. Wir sprächen im übertragenen Sinn von einem Bias. Würde sie jedoch bei jeder Messung völlig unterschiedliche Werte anzeigen, selbst dann, wenn man sie mehrmals kurz hintereinander benutzen würde, wäre sie verrauscht – noisy. (Bei sehr billigen Waagen ist leider die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie sowohl verzerrt als auch verrauscht sind.) Bias, also die Verzerrung, ist die häufigste Ursache von Fehlurteilen; Noise, das Rauschen, bezeichnet die Fehler-Variabilität.

Auch wenn es noch vielerorts ignoriert wird: Rauschen ist eine der Hauptursachen von Fehlfunktionen in der Gesellschaft. Ein Beispiel: In einer Studie aus dem Jahr 1981 wurden 208 US-Bundesrichter gebeten, für ein und dieselben 16 Fälle angemessene Strafen zu bestimmen. Die Fälle wurden nur sehr schematisch skizziert. Die Richter kannten lediglich die groben Merkmale des Delikts (Raub oder Betrug, gewalttätig oder nicht) und der Angeklagten (jung oder alt, Wiederholungstäter oder Ersttäter, Komplize oder Haupttäter). Man hätte also durchaus erwarten können, dass der Großteil der Richter angesichts der wenigen Eckdaten und fehlenden Details ähnlich urteilen würde.

Noise

„Noise“
A Flaw in Human Judgement

Daniel Kahneman, Olivier Sibony, Cass R. Sunstein
Siedler Verlag, 480 Seiten, 20,99 Euro

Das war jedoch nicht der Fall. Der Unterschied im Strafmaß, das zwei zufällig ausgewählte Richter für ein und dasselbe Vergehen verhängten, betrug im Schnitt mehr als 3,5 Jahre. Angesichts der Tatsache, dass es nicht um Kapitaldelikte ging und das durchschnittliche Strafmaß für alle Vergehen bei sieben Jahren lag, war die Schwankung für uns alarmierend.

So ein Rauschen ist in realen Gerichtssälen sicher noch stärker, schließlich sind die Fälle dort sehr viel komplexer und schwieriger zu beurteilen als die fiktiven, nur skizzierten Szenarien in der Studie. Man könnte meinen, mit den Urteilen bei einem Gerichtsprozess sei es wie in einer Lotterie: Die Höhe des Strafmaßes kann um viele Jahre variieren – je nach Richterin oder Richter und deren Tagesform. So ein Rauschen in unseren Justizsystemen dürfen und können wir nicht hinnehmen.

Dieser Essay ist eine Übersetzung. Das Original erschien unter dem Titel „Bias Is a Big Problem. But So Is ‚Noise’.” am 17. Mai 2021 in der New Yorker Ausgabe der New York Times.

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Daniel Kahneman, Olivier Sibony, Cass R. Sunstein
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