Titel: ZACK ZACK RUCK ZUCK WOZU
Schwerpunkt: Geschwindigkeit
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Zum Inhalt dieses Heftes schreibt Chefredakteurin Gabriele Fischer in ihrem Editorial:
Laufzeiten
• Ist Ihnen auch schon aufgefallen, dass die Uhren im Herbst schneller gehen? Kaum ist das Jahresende in Sicht, rast die Zeit. Und spätestens, wenn – gern schon im Oktober – die ersten Weihnachtsmänner in die Regale gestellt werden, ist sowieso alles zu spät.
Das ist natürlich Unsinn. Die Zeit mag sich dehnen oder schrumpfen, aber nur in unserem Gefühl. Es gibt weniger Tageslicht, aber tatsächlich sind 24 Stunden in Frühjahr und Herbst gleich lang. Und das gilt für alle, Kinder wie Alte, Russen wie Afrikaner, Nerds oder Handwerker: Die Einheit „Tag“ ist immer gleich. Warum ist sie dann immer schneller vorbei?
Der Hauptschuldige ist schnell ausgemacht: Das Smartphone stiehlt uns Stunde um Stunde (S. 128). Aber ist deshalb irgendetwas schneller geworden? Carlo Rovelli, italienischer Professor für Theoretische Physik, winkt ab: Abgesehen davon, dass Zeit für ihn sowieso nichts weiter ist als ein Konstrukt – dass wir in rasenden Zeiten leben, hält er für ein Gerücht (S. 66). Holger Fröhlich hat dafür durchaus Bestätigung gefunden: Seine „Geschwindigkeit in Zahlen“ belegt, dass vieles eher ein wenig langsamer geworden ist (S. 70).
Woher die Atemlosigkeit dann kommt? Vom Hang, schreibt Wolf Lotter, Tempo als Fortschritt misszuverstehen. „Mit größtmöglicher Geschwindigkeit hin zum quantitativen Zuwachs“ – das war die Formel, mit der die Industriegesellschaft gewann. Und die wurde eins zu eins auf die digitale Welt übertragen (S. 46).
Da kommen dann so eindrucksvolle Wachstumsgeschichten heraus wie die von Windeln.de oder Zalando, bei denen auch gleich noch die alte Betriebswirtschaft über den Haufen geworfen wird: Das Tempo ist wichtiger als das Ergebnis, die Bewertung der Firma hat mit den erwirtschafteten Werten nichts mehr zu tun (S. 76, 58). Erst denken, dann rennen? Im Silicon Valley nennen sie das „Analyse-Lähmung“ (S. 96). Erst rennen, dann denken? Wir werden sehen, wie weit das trägt.
Mit einer baldigen Atempause jedenfalls rechnet Hans-Christian Boos nicht. Der Informatiker, der mit seiner Firma Arago die Abläufe vor allem in Banken und Versicherungen automatisiert, ist überzeugt, dass der Wettlauf weitergeht, weil wir, die Kunden, es so wollen (S. 110). Die Entwicklung der Modebranche spricht dafür: zwei Kollektionen und sechs Monate Lieferzeit? Das ist wirklich lange her (S. 84).
Also die Laufschuhe an und los – oder gibt es vielleicht doch einen Weg dazwischen? Der rumänische Informatiker und Philosoph Mihai Nadin sieht durchaus Chancen, dass der Mensch wieder ans Steuer gelangen und das Tempo mitbestimmen kann (S. 124). Die Tischlerfamilie List im niederösterreichischen Edlitz-Thomasberg macht das schon mal vor und ist dabei ganz schön schnell (S. 116). Vielleicht ist auch das Slow TV in Norwegen nicht nur eine Skurrilität, sondern ein Trend. Obwohl sich der Mensch, so die Erkenntnis des Psychologen Stephan Schwan, auch bei rasant geschnittenen Filmszenen offenbar prima entspannt (S. 140, 132).
Ob das für alte wie für junge Zuschauer gilt, ist noch nicht erforscht. Wie überhaupt das Alter noch eher unbekanntes Gebiet ist. Warum altern wir? Warum altert ein Schwamm nicht? Und was können wir von ihm lernen (S. 148)?
Sicher ist nur: Verhindern lässt sich das Alter nicht. Also genießen Sie die Zeit. –
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