brand eins 12/2014

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Titel: Lass krachen!

Schwerpunkt: Genuss

Zum Inhalt dieses Heftes schreibt Gabriele Fischer in ihrem Editorial:

Trau dich

• Was ist Genuss? Für mich zum Beispiel ein Abend mit Freunden, gutem Essen, gutem Wein, vielleicht ein paar Zigaretten … Obwohl, darf man Alltagsdrogen loben? Und sich Wohlgefühl verschaffen in Zeiten, die politisch so unruhig sind und in denen an so vielen Orten der Welt Elend herrscht?

Es ist schwierig geworden mit dem Genuss. „Was Spaß macht, ist entweder gefährlich oder verboten“, haben wir als Jugendliche gefeixt. Inzwischen sind noch ein paar Widrigkeiten dazugekommen (S. 40, 64). Die Liste der politisch korrekten Lebensmittel schrumpft, die Zahl der Verbote nimmt zu. Gleichzeitig dringen die Dramen der Welt im Stundentakt in unser Leben: Wie soll man da noch genießen? Und vor allem was?

Ralph Giordano hat so viel Grauenhaftes erlebt, dass Oliver Link ein wenig Hemmungen hatte, ihn zu einem so banal erscheinenden Thema zu befragen – und wurde von dem alten Herrn eines Besseren belehrt. Giordano freute sich, endlich einmal über Genuss reden zu dürfen, zu dem er immer fähig gewesen sei: „Ich hatte nur nicht immer die Möglichkeit“ (S. 50). Wo es aber Möglichkeiten im Überfluss gibt, wird die Sache auch nicht einfacher. Was freut den Gast, für den Hotels schon lange nicht mehr luxuriöse Ausnahme, sondern Alltag sind? Was begeistert Menschen, die sich alles leisten können? Und wie sorgt man für Wohlgefühl an einem Ort, an dem Platz der wahre Luxus ist? Die Betreiber der Hotelkette 25hours setzen auf Überraschung (S. 70). Die Luxusgüterindustrie lernt gerade, wie anspruchsvoll ihre Kundschaft wirklich ist (S. 116). Und die Kreuzfahrt-Branche? Denkt sich immer neue Bespaßungen aus, auf dass der Gast nicht merkt, wie eng die Kabinen zwangsläufig sind (S. 122).

Es ist nicht leicht, sein Geld mit dem Genuss der anderen zu verdienen, Event-Veranstalter wissen das (S. 130). Es sei denn, man findet seinen eigenen Weg. Dann ist es gleichgültig, ob am Ende Wein oder Essig in den Flaschen funkelt, Hauptsache, der Winzer oder Essigmacher ist zufrieden damit (S. 74, 136). Doch auch wer seine Berufung in dem gefunden hat, was andere Arbeit nennen, lebt nicht ohne Gefahr. Der Wiener Andreas Wojta kochte jahrelang auf Sterne-Niveau, genoss und litt zu gleichen Teilen. Bis er seine kranke Mutter in deren Ministeriums-Kantine vertrat (S. 58).

Es gibt eben keine allgemeingültige Definition für Genuss, wie der Blick in andere Länder zeigt (S. 100). Und es gibt auch keinen Grund, darauf zu verzichten. Dass man ihn lernen und dann auch noch gleich teilen kann, beweisen die inzwischen rund 400 Orchester der südamerikanischen El-Sistema-Bewegung – übrigens auch ein Lehrstück für Lehrer (S. 110).

Was gut für einen ist, sollte jeder für sich entscheiden, im Leben wie in der Liebe (S. 86). Und wer dabei an Verbotsschilder stößt, den erinnert Robert Pfaller, der Philosoph des guten Lebens, gern an Immanuel Kant. „Wirkliche Vernunft“, so Pfaller, „besteht darin, nur dort vernünftig zu sein, wo die Vernunft auch etwas verloren hat“ (S. 96).

Das hilft, nicht nur in der Weihnachtszeit.

Gabriele Fischer
Chefredakteurin

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