Titel: Achtung! Sie betreten den kreativen Sektor
Schwerpunkt: Ideenwirtschaft
Zum Inhalt dieses Heftes schreibt Chefredakteurin Gabriele Fischer in ihrem Editorial:
Wer hat Angst vor Kreativen?
• Sollte es jemandem einfallen, ein Haus für missbrauchte Worte einzurichten, dann stünde der Wortfamilie rund um die Kreativität eine ganze Etage zu. Das Label klebt auf allem, was man höflichkeitshalber nicht „interessant“ nennen kann. Es bezeichnet Wirrköpfe wie Kopfarbeiter, veritable Künstler wie töpfernde Hausfrauen. Und ist inzwischen eigentlich kaum mehr als die Wortvariante eines leichten Kopfschüttelns. Das neue Politiker-Hobby „creative industries“ kann einen da nur bedrohen. Und tatsächlich macht die Flucht in die Fremdsprache eine Rehabilitation des Begriffs nicht wahrscheinlicher: „creative“ sind die üblichen Verdächtigen – Schauspieler, Musiker, Künstler, vielleicht noch Designer. Sie zu fördern ist das Ziel. Auf ihre Schultern die Verantwortung für den künftigen deutschen Wohlstand zu laden, ein Albtraum. Nicht nur, weil der kreative hierzulande in weiten Teilen ein subventionierter Sektor ist (S. 132). Viel schwerer wiegt das tiefe Misstrauen, das dem Kreativen, also Anarchischen, in Wirtschaft und Gesellschaft entgegengebracht wird (S. 52). Und das nicht ohne Grund: Wenn Kreativität zum Produktivfaktor und die Fähigkeit zu immer neuen Ideen zum Erfolgsgeheimnis wird, ist mit der alten Ordnung nicht mehr viel auszurichten. Ob es um Arbeitszeiten geht oder um die Bereitschaft, mit Traditionen zu brechen – alles muss infrage gestellt werden. Wer will das schon? Das Management von Voith zum Beispiel, einem grundsoliden Maschinenbauer auf der Schwäbischen Alb, der bisher nur in einem einzigen Nachkriegsjahr rote Zahlen schrieb. Voith hat sich vor zwei Jahren ein Kreativitäts-Programm verordnet, das selbst so manchem experimentierfreudigen Theaterintendanten den Atem nähme: Den Aufruf zum Ungehorsam jedenfalls hört man von deutschen Vorstandsvorsitzenden nicht jeden Tag (S. 80). Kaum weniger riskant ist der Kurs, den die US-Variante von Media Markt fährt: Der Elektronik-Discounter Best Buy hat seinen Mitarbeitern 2003 eine besondere Form von Freiheit gegeben – jeder kann arbeiten, wann, wo und wie lange es ihm gefällt. Zunächst galt die Regel nur in der Verwaltung, nun soll sie auch auf die Filialen übertragen werden. Warum? Weil Best Buy genau das unter Zukunftssicherung versteht (S. 104). Wer morgen noch dabei sein will, tut gut daran, aus eingefahrenen Denkbahnen auszubrechen. Bei Google ist das Unternehmensphilosophie (S. 72), in Großbritannien erklärtes Regierungsziel (S. 64), und bei Schwan Stabilo war es der Beginn einer neuen Ära (S. 88). Das ist nicht immer leicht. Und wer hofft, die einschlägig Kreativen könnten bei diesem Gewaltmarsch helfen, setzt möglicherweise auf das falsche Pferd: Viele der bislang als kreativ geltenden Branchen funktionieren zum Teil nach bestem Industrieprinzip – Konfektion, Arbeitsteilung und Massenmarkttauglichkeit sind die Bausteine zum Erfolg (S. 118 und 124). Das ist nicht gut, das ist nicht schlecht – das ist nur nicht das Vorbild, das Unternehmen auf dem Weg in die Ideenwirtschaft nach vorn bringt. Und eigentlich gibt es dafür auch gar keine Vorbilder: Jeder muss sich seinen eigenen Weg suchen. Wer das gut findet, hat den ersten Schritt geschafft.
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