Titel: Geh doch rüber!
Schwerpunkt: Grenzen
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Zum Inhalt dieses Heftes schreibt Gabriele Fischer in ihrem Editorial:
Grenzgebiete
• Als junges Mädchen beeindruckte mich ein Essay, in dem ein Vater den Konflikt mit seiner pubertierenden Tochter beschrieb. Sie warf ihm vor, dass er ihr alles erlaubte, keine Grenzen setzte, ihr nichts bot, wogegen sie opponieren konnte. "Die hat Probleme ...!", habe ich mir damals gedacht. Inzwischen weiß ich: Die hatte sie tatsächlich. "Grenzenlos" mag schön sein, wenn man eine Landschaft beschreibt, im Leben verliert es schnell an Reiz. Grenzen helfen uns zu unterscheiden (S.48). Sie treiben uns an, stacheln uns auf und geben Orientierung. Das zeigt sich vor allem, wenn sie fehlen. Im Arbeitsleben zum Beispiel. Einst spielte es sich in weitgehend fest gefügten Grenzen ab, heute gibt es keinen Anfang und kein Ende mehr (S.110). Auch das Internet scheint seine besten Zeiten hinter sich zu haben: Inzwischen droht es, in der Informationsflut zu ersticken (S.62). Und warum verweigern sich immer mehr Jugendliche der Schulpflicht? Weil sie es können (S.126). In all diesen Fällen ist Resignation keine Lösung. Es geht darum, neue Regeln zu definieren und auszuhandeln. Das mag konservativ klingen, rückwärtsgewandt – und ist doch die einzige Chance voranzukommen. Nur wenn Chefs und Angestellte lernen, dass alles Grenzen hat, werden sie in der neuen Arbeitswelt bestehen. Das Internet wird attraktiver, wenn man es wieder durchschaut. Und die Freiheit des Schulabbrechers endet nicht zwangsläufig, wenn man ihn dazu bringt, doch noch etwas zu lernen.Überhaupt hat Grenzenlosigkeit mit Freiheit nicht viel zu tun. Das können besonders plausibel drei Gymnasiasten erklären, die sich von der Schule abgemeldet haben, um sich selbstständig aufs Abitur vorzubereiten (S.120). Die Redakteure des einstigen DDR-Blatts "Wochenpost" mussten lernen, dass eine gefallene Grenze noch keinen Raum zum freien Denken schafft (S.140). Und ob die chinesische Geschichtszeitschrift "Yanhuang Chunqiu" in vollkommener Freiheit überhaupt hätte gedeihen können? In jedem Fall ist der gewitzte Widerstand einer kleinen Gruppe uralter Ex-Funktionäre gegen die eigene Kommunistische Partei die deutlich bessere Geschichte (S.54). Das Leben wäre ziemlich langweilig, gäbe es keine Grenzen mehr zu verschieben. Die drei Gründer, die Jacob Vicari besuchte, hatten jedenfalls einigen Spaß daran, sich auf unbekanntem Gebiet zu beweisen (S.68). Und auch wenn der Philosoph Konrad Paul Liessmann bezweifelt, dass der Tod eine Grenze ist (S.100): Für Mediziner ist es eine stetige Herausforderung, seinen Eintritt zu verzögern (S.106). Die Fortschritte sind beachtlich. Beachtlicher jedenfalls, als die der Gleichstellungsbeauftragten, die gegen Unterschiede zwischen Mann und Frau im Arbeitsleben kämpfen. Zwar geht es voran, aber auch immer wieder zurück: Es bleibt ein Graben zwischen XX und XY (S.114). Ob das schlimm ist oder eine prickelnde Herausforderung, mag jeder selbst entscheiden. Immerhin bleibt es spannend. Und es bleibt die Chance, weiterhin Grenzen zu überwinden. Wer das je geschafft hat, weiß: Es ist der beste Grund dafür, dass es sie gibt. PS: Keine Grenze, wohl aber eine Schwelle hat auch brand eins hinter sich gelassen: Dies ist unsere 150. Ausgabe – und eine Begrenzung ist nicht in Sicht.
Gabriele FischerChefredakteurin
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