Titel: Trotzdem
Schwerpunkt: Einfach machen
Zum Inhalt dieses Heftes schreibt Chefredakteurin Gabriele Fischer:
Warum nicht?
• Es gibt viele Gründe, nichts zu unternehmen: Das nützt doch sowieso nichts. Was ändert das schon. Ist alles viel zu kompliziert. Oder, wenn es um die Gründung einer Firma geht: zu riskant, zu ungewiss, zu anstrengend.
Glücklicherweise gibt es aber immer wieder Menschen, die sich darüber hinwegsetzen, die einfach machen – obwohl es so einfach nicht ist. Unser Titelheld Marc Buttmann zum Beispiel ist nicht immer sicher, ob es richtig war, seine ganze Existenz auf die Wiederverwertung von Klärschlamm zu gründen. Aber hätte er seine gute Idee verrotten lassen sollen? Der Eishockey-Halbprofi Toni Vera hat vor fast 20 Jahren den Plan gefasst, Eisbahnen aus Kunststoff zu entwickeln, auf denen Eislauf wirklich funktioniert – so langsam kommt er seinem Ziel näher. Und auch die beiden spätberufenen Gründer Gerhard Dust und Gunther Plötner könnten eine Menge über Widerstände erzählen – aber viel lieber reden sie davon, wie ihr innovativer Baustoff das Leben von Menschen in Flüchtlingslagern oder nach Naturkatastrophen verbessern kann (S. 74, 90, 82).
Wer nicht zufrieden ist, mit dem, was ist, muss sich aufmachen: ob er eine Universität gründet, Flohmärkte in einer sterilen Stadt organisiert oder im fragilen Tunesien Unternehmer wird. Dass es einfach wird? Hat niemand behauptet (S. 94, 60, 114).
Wer je ein neues IT-Projekt gestartet hat, kann ein Lied davon singen. Ob Auftraggeber oder Projektteilnehmer: Am Ende sind in der Regel alle zermürbt, und das Projektziel ist, sagen wir, modifiziert. Zumindest war das die Lage, bevor vor einigen Jahren Agile aufkam: die Unterteilung von Software- oder Projektentwicklung in kleine Schritte. Inzwischen gilt das vielen als Allheilmittel, auch außerhalb der IT, aber natürlich sind auch längst die Gegner da (S. 52). In jedem Fall empfiehlt es sich, Probleme nicht größer zu machen, als sie schon sind.
Darin haben wir durchaus Übung, sagt der in den USA lehrende Philosoph Achille Varzi. Vor allem Experten seien darin geübt, einfache Fragen und Zusammenhänge durch komplizierte Sprache in ein scheinbar undurchdringliches Dickicht zu verwandeln. Dagegen helfe nur die philosophische Logik und die Rückführung solcher Fragen auf den Kern. Dass darin vor allem Populisten wahre Meister zu sein scheinen, ist weder für Varzi noch für den Populismus-Forscher Jan-Werner Müller ein Gegenargument (S. 102, 66).
Im Gegenteil sind gerade Populisten ein guter Grund, nicht vor der komplexen Welt zu kapitulieren. Mag sein, dass vor 50 oder auch noch 20 Jahren alles einfacher war, mag sein, dass uns die Wissensgesellschaft tatsächlich Neues abverlangt, was erst einmal verwirrt. Doch gerade die Deutschen, sagt der Autor Werner Tiki Küstenmacher, gelten zumindest in Asien als prädestiniert dafür, Kompliziertes einfach und damit zugänglich zu machen. Und wenn zum Expertenwissen wieder ein bisschen Allgemeinbildung kommt, schreibt Wolf Lotter, könnte das durchaus auch künftig wieder so sein (S. 42).
So leicht es ist, Argumente fürs Unterlassen zu finden – auch die Gegenrede ist nicht schwer: Warum wir einfach machen sollten? Weil es großartig ist, etwas geschaffen zu haben. Weil es auch Spaß macht, Widerstände zu überwinden.
Und weil uns nur dann die Zukunft gehört.