Start-ups: Lebensmittellieferdienste

Investors Liebling

In vielen deutschen Großstädten sind sie allgegenwärtig: Schnelllieferdienste wie Gorillas, Flink oder Wolt. Was sind das für Firmen? Und kann ihr Geschäft wirklich funktionieren?





Gründung: Januar 2021
Bekannte Investoren *: Rewe, Doordash, Mubadala

Summe Investorengelder: 304,2 Millionen Dollar
Unternehmenswert: 2,7 Milliarden Dollar
Mindestbestellwert: 1 Euro (10 Euro in München)
Liefergebühr: 1,80 Euro
Angestrebte Lieferzeit: 10 Minuten
Bezahlung der Fahrer: 10,50 Euro pro Stunde


 

Gründung: März 2020
Bekannte Investoren *: Delivery Hero

Summe Investorengelder: 1,3 Milliarden Dollar
Unternehmenswert: 1 Milliarde Dollar
Mindestbestellwert: keiner, aber Zuschlag von 2,10 Euro, wenn der Bestellwert unter 10 Euro liegt
Liefergebühr: 1,80 Euro
Angestrebte Lieferzeit: 10 Minuten
Bezahlung der Fahrer: 12 Euro / Stunde ab Januar 2022 (vorher 10,50 Euro pro Stunde)


 

Gründung: Juli 2015 (seit Juni 2021 in Deutschland)
Bekannte Investoren *: unter anderem Mubadala, der Staatsfonds von Abu Dhabi

Summe Investorengelder: 1 Milliarde Dollar
Unternehmenswert: 7,5 Milliarden Dollar
Mindestbestellwert: 10 Euro
Liefergebühr: 1,99 Euro
Angestrebte Lieferzeit: 10 Minuten
Bezahlung der Fahrer: 12 Euro (bis zu 14 Euro) pro Stunde


 

Gründung: als Essenslieferant im Sept. 2014, seit Oktober 2021 auch Lebensmittel
Bekannte Investoren *: Lukasz Gadowski (Gründer von Delivery Hero)

Summe Investorengelder: 822,5 Millionen Dollar
Unternehmenswert: im November 2021 für 8 Milliarden Dollar von Doordash übernommen
Mindestbestellwert: 10 Euro
Liefergebühr: bei einem Weg von 0 bis 0,9 km: 1,90 Euro; bei einem Weg von 1 bis 3 km: 2,90 Euro
Angestrebte Lieferzeit: 30 bis 40 Minuten
Bezahlung der Fahrer: 11 Euro pro Stunde, kann auf 12 bis 18 Euro erhöht werden


 

Gründung: August 2015 (seit April 2018 in Deutschland)
Bekannte Investoren *: Edeka

Summe Investorengelder: 1,1 Milliarden Dollar
Unternehmenswert: 1,15 Milliarden Dollar
Mindestbestellwert: 35 Euro
Liefergebühr: keine
Angestrebte Lieferzeit: meist innerhalb eines Tages
Bezahlung der Fahrer: 10,61 Euro pro Stunde als Einstiegsgehalt


 

Gründung: 2014 (seit August 2021 in Deutschland)
Summe Investorengelder: 402,2 Millionen Dollar

Unternehmenswert: 1,15 Milliarden Dollar (bezieht sich auf die Rohlik Group, zu der Knuspr gehört)
Mindestbestellwert: 29 Euro
Liefergebühr: Bis zu einem Bestellwert von 79 Euro werden 4,90 Euro berechnet
Angestrebte Lieferzeit: 3 Stunden, bei Bestellung bis 18 Uhr
Bezahlung der Fahrer: 2000 Euro brutto Basisgehalt monatlich für 40 Stunden die Woche

 

* Zu den Investoren: Viel Geld stammt von Wagniskapital-Fonds, dabei sticht der Staatsfonds von Abu Dhabi, genannt Mubadala, heraus. Weil die Lieferdienste sehr hohe Bewertungen haben, gehören dem Staatsfonds aber nur wenige Prozentsätze der Unternehmen

Zahl der Städte in Deutschland, in denen die Lieferdienste aktiv sind*:

Flink: 41
Gorillas: 22
Getir: 5
Wolt: 7
Knuspr: 1
Picnic: 50

Zahl der Lebensmittel, die durchschnittlich im Lager vorrätig beziehungsweise bestellbar sind*:

Flink: rund 2500
Gorillas: mehr als 2500
Getir: mehr als 1500
Wolt: 1500 bis 2000
Knuspr: 12.000
Picnic: 10.000

*Alle Zahlen Stand Redationsschluss Ende November 2021



Wie die Firmen ihr Geschäft organisieren:

Die meisten Lieferdienste haben viele eher kleine Warenlager, von denen aus Fahrradkuriere das Bestellte ausliefern. Wolt kooperiert mit lokalen Einzelhändlern, Knuspr und Picnic betreiben große Lager.

Flink: Welche Produkte sie vorrätig haben, bestimmen die für ein Warenlager Verantwortlichen je nach Nachfrage selbst.

Gorillas: Die Firma testet in Berlin ein Franchise-Modell (die Warenlager sollen zu eigenen Unternehmen werden).

Getir: Das Start-up bindet mithilfe eines Franchise-Modells Supermärkte und Shops mit ein. Auch diese können unter dem Namen Getir Produkte ausliefern.

Knuspr: In jeder Stadt oder Region gibt es ein Warenlager, das mit Anbietern vor Ort kooperiert. Der Einkauf wird derzeit noch zentral von Garching bei München aus gesteuert.

Picnic: Die Firma hat einige große Lager, von denen die Ware in viele kleinere gebracht wird, von wo aus sie dann ausgeliefert wird. Picnic hat lokale Teams, die unter anderem Marketing vor Ort betreiben.


Der Umsatz:

Picnic: 470 Millionen Euro (2020), 1 Milliarde Euro (Prognose 2021)

Keines der anderen Unternehmen macht Angaben dazu.

Umsatz mit Lebensmitteln im deutschen Einzelhandel, in Milliarden Euro netto (hellblau); Online-Anteil in Prozent (blau)

Brand eins magazin 01-2022 72dpi.pdf 2021-12-21 21-17-54

Quelle: HDE Online Monitor


Otto Strecker ist Partner bei der AFC Consulting Group, die auf die Wertschöpfungskette von Lebensmitteln spezialisiert ist, und Honorarprofessor am Lehrstuhl für Technologie-, Innovationsmanagement und Entrepreneurship an der Universität Bonn. Eine Einschätzung.

Interview: Moritz Hübsch

brand eins: Wird sich einer der Zehn-Minuten-Lieferdienste durchsetzen?

Otto Strecker: Schwer zu sagen, da Firmen wie Gorillas oder Flink keine Zahlen veröffentlichen, an denen wir das ablesen könnten. Ich vermute, die Lieferdienste halten sich zurück, weil sie abgesehen von Investitionsrunden kaum Geld einfahren. Das liegt an der sehr teuren Kostenstruktur. Im Gegensatz zu reinen Plattformanbietern wie Lieferando oder Uber, die in der Regel nur Personal und teilweise Fahrräder bezahlen, müssen sie auch Lager und Lebensmittel finanzieren.

Anbieter wie Picnic oder Knuspr mit längeren Lieferzeiten und höheren Mindestbestellwerten haben es leichter. Sie setzen mehr Ware pro Tour um, können den Einkauf dadurch besser steuern und ihre Auslieferrouten effizient planen.

Lässt sich überhaupt Geld mit Lebensmittellieferdiensten verdienen?

Der gesamte Lebensmittelmarkt hat ein Volumen von ungefähr 200 Milliarden Euro, erst vier bis fünf Milliarden davon werden online umgesetzt, es gibt theoretisch ein enormes Potenzial. Das Problem ist die geringe Handelsspanne im Lebensmittelhandel. Sie liegt im Supermarkt im Durchschnitt lediglich bei 25 Prozent – und selbst das erreichen stationäre Supermärkte und Discounter nur mit sehr güns- tigen Einkaufskonditionen durch hohe Stückzahlen.

Zehn-Minuten-Lieferdienste haben viel zu geringe Abnahmemengen, müssen also mehr im Einkauf ausgeben, reichen an die Kunden aber normale Supermarktpreise weiter. Daraus können wir schließen, dass die Marge deutlich unter 25 Prozent liegt. Das ist nicht rentabel. Anbieter wie Knuspr oder Picnic sind da im Vorteil. Sie beliefern auf einer Fahrt deutlich mehr Kundinnen und Kunden, die viel mehr Geld ausgeben. Das ist ein ganz anderes Geschäftsmodell.

Wenn es so schwierig ist, mit Schnelllieferdiensten Gewinn zu machen, warum entstehen dann immer mehr Firmen, die das versuchen?

Das ist eine gute Frage. Vielleicht ist es das Prinzip Hoffnung. Um profitabel zu sein, müssten Gorillas und Co. die Liefergebühren auf mindestens vier bis fünf Euro anheben oder auf einer Fahrt mehrere Kundinnen und Kunden beliefern. Dann lässt sich das Versprechen, in zehn Minuten zu liefern, aber nicht einhalten. Der wichtigste Faktor sind die Einkaufskonditionen.

Vielleicht löst ein Franchise-Modell die Probleme. Getir verfolgt dabei in Teilen das Modell Lieferando, Gorillas testet in Berlin ein Modell wie McDonald‘s und will die einzelnen Lager in eigenständige Unternehmenseinheiten gliedern. Die Lie- ferdienste selbst würden dann zu reinen Plattformbetreibern.

Wie ist die Umweltbilanz der Anbieter?

Die Lager sind klein, die Produktpalette ist groß. Das bedeutet oft, dass viel Ware verdirbt, weil sie nicht rechtzeitig verkauft werden kann. Aber wir wissen auch, dass der Kohlendioxid-Fußabdruck von Lebensmitteln sehr stark von der sogenannten letzten Meile abhängt. Fahre ich im Porsche zum Supermarkt und kaufe einen einzigen Apfel, ist die CO2-Bilanz des Apfels äußerst schlecht. Da schneiden die Äpfel, die mit einem E-Bike gebracht werden, wie sie Gorillas und Flink einsetzen, deutlich besser ab. Zehn-Minuten-Lieferdienste könnten also durchaus nachhaltiger sein als der Einkauf im klassischen Supermarkt. ---

Brand eins magazin 01-2022 72dpi.pdf 2021-12-21 21-18-16

Quelle: Bitkom