Schaffen die das?
Auf dem Weg in die Klimaneutralität steht die deutsche Chemieindustrie vor einer gewaltigen Transformation.
1. Ungleiche Kräfte
Dass Anne Lamp zum „Chemie-Spitzengespräch“ im September vergangenen Jahres ins Kanzleramt eingeladen wurde, überraschte sie. Der Gipfel versammelte die Wichtigsten der Wichtigen, darunter den Bundeskanzler, drei Bundesminister, vier Ministerpräsidenten, Vertreter des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) und von Konzernen wie BASF, Dow und Covestro. Und eben auch Anne Lamp, 32, Geschäftsführerin des Hamburger Start-ups Traceless, das aus Reststoffen der Landwirtschaft einen kompostierbaren Plastik-Ersatz herstellt und dafür gerade knapp 37 Millionen Euro eingesammelt hat. Das ist nicht sehr viel mehr, als BASF seinen Vorständen und Aufsichtsräten jährlich überweist.
Lamp beschloss, die Einladung zu nutzen, um eine Botschaft zu vermitteln: Die Branche müsse sich radikal transformieren. Also verfasste die promovierte Verfahrenstechnikerin eine „Roadmap für eine zukunftssichere Chemieindustrie“. 25 Mitstreiter unterzeichneten – vom Handelskonzern Otto über die Drogeriemarktkette dm bis zum Recycling-Riesen Remondis. Im Kanzleramt hielt Lamp dann ein Plädoyer für den schnellen Abschied von klimaschädlichem Erdöl und Erdgas, für kreislauffähige Produkte und energieeffiziente Technik. „Es darf nur noch auf den Markt kommen, was in den biologischen oder technischen Kreislauf eingebunden ist“, sagte Anne Lamp, „die Produktionsmassen der klassischen Grundstoffchemie sind mit einer klimaneutralen Kreislaufwirtschaft nicht zu vereinbaren.“
Doch das Thema blieb bei dem Treffen ein Randaspekt. „Viele der Redebeiträge drehten sich um Forderungen nach subventionierten Strompreisen und um mehr oder weniger deutliche Drohungen mit der Abwanderung ins Ausland“, sagt Lamp. „Ich habe versucht, dem eine positive Vision entgegenzusetzen. Es gibt schon so viele gute Lösungen, wir müssen deren Potenziale nur nutzen.“