Land der Ideen?

Seit 2006 propagiert die gleichnamige Initiative Deutschland als Nation der Erfinder und Motor Europas. Was hat sie bewirkt? Ein Besuch bei Berufsoptimisten.





Foto: © mauritius images / ZUMA Press, Inc. /Alamy

• Kann sich noch jemand an 2006 erinnern? Kalt und nass war es gewesen im Frühling. Die Stimmung war latent im Eimer. Im Vorjahr hatte sich der Bundestag vorzeitig aufgelöst. Die Wirtschaft schaute bedröppelt aus der Wäsche. Und auf die deutsche Fußballnationalmannschaft der Männer war kurz vor der Weltmeisterschaft im eigenen Land auch kein Verlass. Vor jenem Turnier funktionierte hierzulande allem Anschein nach: nicht viel.

Wie sich die Situationen doch ähneln: 2024 steht wieder ein großes Männerfußballturnier in Deutschland an, die Europameisterschaft. Wieder ist die Stimmung im Keller. Die Regierung ist unbeliebt, die volkswirtschaftliche Lage angespannt. Hinzu kommen viele globale Krisen. Dazu fehlt es an Arbeitskräften, im Bildungssystem klemmt es wie selten, Energiewende und Digitalisierung wurden verschleppt. Und dass das deutsche Fußballteam die Vorrunde nicht übersteht, ist erneut denkbar.

Es lohnt sich daher der Blick zurück: Wie ging die Geschichte 2006 weiter? Deutschland, in der Welt bis dahin eher bekannt als Heimat der verkrampften Mundwinkelzerrung, präsentierte sich bei der WM nämlich als gastfreundliches, fröhliches, funktionierendes und kreatives Land.

„Deutschland – Land der Ideen“ hieß die große, von Bundesregierung und Industrie vor dem Turnier ins Leben gerufene Standortinitiative, die die Bundesrepublik im besten Licht darstellte. 365 Orte präsentierten ihre Erfindungen. In Berlin wurden Werke der Medizin und Physik, der Kunst und der Autoindustrie „made in Germany“ ausgestellt, ohne dass es allzu großmännisch und pickelhaubig daherkam. Und über allem lag die heraufbeschworene Hulahula-Laune.

Am Ende des Jahres stand ein überraschend kräftiges Wirtschaftswachstum, ein gutes Image als Reiseland und greifbarer Optimismus.

Warum sollte es 2024 nicht genauso gut weitergehen wie damals? Die Standortinitiative Deutschland – Land der Ideen gibt es sogar noch. Sie ist nun ein Verein und wird nicht mehr von der Regierung finanziert, zeichnet aber immer noch gute Ideen und Leuchtturmprojekte aus. Weil es weiterhin welche gibt.

Philipp Mehne, seit etwa einem Jahr Geschäftsführer der Initiative, sitzt in einem Konferenzraum in Berlin-Mitte. Er trägt ein Jackett über einem weißen T-Shirt und sagt: „Ich glaube, 2006 hatte das Land noch so ein bisschen die Nachwende-Dividende. Die großen geopolitischen Konflikte schienen vorbei. Und jetzt stellen wir fest, dass sie das keineswegs sind.“ Es ist, wie es Mehne ausdrückt, weniger „gemütlich“ als damals.

Und das hat Folgen, auch für die Ausrichtung einer großen Sportveranstaltung. 2006 kam die Welt zum ersten Mal nach der Wiedervereinigung zu einem derart riesigen Fest am Brandenburger Tor zusammen. Wo einst die Mauer verlaufen war, waren nun offene Arme. Die Nationalsymbole schienen sich gelöst zu haben von einem starken Nationalismus. Zumindest nahmen es viele so wahr. Die Voraussetzungen für ein fröhliches, integrierendes Fest waren gut.

Und jetzt? Schon in den Folgejahren bekamen rassistische und nationalistische Ideologien wieder Auftrieb. Heute sitzt eine in Teilen rechtsextreme Partei im Bundestag und liegt in einigen Bundesländern in Umfragen vorn. Der Grat zwischen Party-Patriotismus und Nationalismus ist noch schmaler als 2006.

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