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Was Menschen bewegt

Eine besondere Allianz

Touristen zieht es an die schönsten Orte der Erde – die dadurch oft ihren Charakter verlieren. In einem Fischerdorf in Uruguay will das eine ungewöhnliche Koalition aus Einheimischen und Zugezogenen verhindern.




• Inmitten von Dünen, Wiesen und Lagunen fanden die Investoren das perfekte Grundstück. Was sie sich vorstellten, zeigt eine Visualisierung des Bauprojektes: mehrere moderne Gebäude, vier Etagen hoch. In einen Pool ragt eine Terrasse mit Sofas. Eine Frau schreitet dort entlang, ihr weißes Kleid schimmert im Licht der Abendsonne transparent.

Am Ortsrand von José Ignacio an der Küste Uruguays sollte ein Komplex mit Hotelzimmern und Eigentumswohnungen entstehen. Das war den Investoren, die unter dem Firmennamen „Fen, Hotel Franchising & Management“ auftraten, 120 Millionen Dollar wert. Vorgesehen war Platz für rund 1.300 Gäste – eine beachtliche Zahl, da im Ort bei der jüngsten Volkszählung 2011 nur 292 Menschen lebten.

Als die Einwohnerinnen und Einwohner 2018 von den Plänen erfuhren, begannen sie eine Gegenkampagne: Das Projekt schade der Küstenlandschaft und zerstöre die Identität ihres Dorfes, schnell wurden Medien aufmerksam. Der Kampf richtete sich nicht nur gegen die Investoren, sondern auch gegen die Regionalverwaltung, die das Projekt befürwortete. Nach nur etwa sechs Wochen Gegenwehr zogen die Investoren ihre Pläne zurück.

Den Widerstand des Ortes organisiert die Liga – eine starke Gemeinschaft aus Alteingesessenen und Zugezogenen. Sie hat den Vorteil, dass sie Uruguays Rechtslage für sich nutzen kann: Es gibt Vorschriften für Umweltschutz und solche gegen ungezügeltes Bauen. Die Gruppe bezahlt den Anwalt Mauricio Fioroni, der für sie, falls nötig, juristisch vorgeht.


Von oben: die Einwohnerin Luciana Núñez Borchi; das Restaurant La Huella (übersetzt: Die Spur) zu Beginn der Saison im November; Sonnenaufgang am Strand von José Ignacio

Trubel nur im Sommer

José Ignacio war lange ein Fischerdorf. Die ersten Einwohnerinnen und Einwohner bauten Ende des 19. Jahrhunderts ihre Häuschen in der Nähe des Leuchtturms, dort entstand das Zentrum. Lange lebte man abgeschieden – erst Anfang der Achtzigerjahre wurde der Ort an das Stromnetz und Anfang der Neunzigerjahre an die Wasserversorgung angeschlossen. Nach und nach entdeckten ihn Touristen und bauten Ferienhäuser, inzwischen ist José Ignacio eines der begehrtesten Reiseziele Südamerikas. Abseits des Zentrums entstanden neue Viertel. Heute ist das Bild nicht mehr von Fischerhütten geprägt, sondern von Architektenhäusern, stilvollen Hotels und guten Restaurants.

An diesem Sonntag im Oktober wirkt alles ziemlich idyllisch. Ein paar Leute sitzen auf mitgebrachten Klappstühlen am Strand, vor dem Lokal „La Huella“ stehen Angestellte im Sand und hängen Stoffe auf, um den Außenbereich vor Wind zu schützen. Ein paar Boote, vom Wasser auf den Strand gezogen, erinnern an die Ursprünge des Fischerdorfs. Erst im Januar, wenn auf der Südhalbkugel Hochsommer ist, wird es im Ort trubelig. Während im Winter die meisten Häuser leer stehen, kommen die Feriengäste im Sommer in Scharen. Allein im La Huella servieren sie in der Hochsaison täglich bis zu 1.300 Gerichte.

Die Gefahr, die darin liegt, wird auch als Overtourism bezeichnet: Urlauber überrennen besonders schöne Orte, die dort lebenden Menschen verlieren dadurch manchmal ihre Heimat. Einige erliegen der Verlockung, ihr Land zu verkaufen, andere können sich bald die höheren Preise nicht mehr leisten. Dann entstehen oft Hotelburgen und Shoppingmeilen, Schulen schließen.

Die Einwohnerinnen und Einwohner von José Ignacio aber wollten sich nicht vertreiben lassen – wer bleiben will, soll dort gut leben können. So organisierten sie eine originelle Form des Widerstands, die auf der besonderen Allianz zwischen alten und neuen Mitgliedern beruht.

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