Mulinum

Aus Kalabrien fliehen junge Leute in Scharen. Stefano Caccavari ist geblieben – und macht mit seinem erstaunlichen Start-up vor, wie man die ärmste Region Italiens voranbringt.





Stefano Caccavari (r.) und seine Waffen: der Gemeinschaftsgarten (oben) und die Backstube (l.)

• Als er an diesem windigen Tag mit seinem Kleinwagen durch die Provinz Catanzaro fährt, verwandelt sich die Mafia-Hochburg in ein Paradies. „Sehen Sie da oben auf dem Hügel“, ruft Stefano Caccavari, „was für ein Bild von einem Wald! Jahrhundertealte Schwarzkiefern sind das.“ Kurz darauf hält der 35-Jährige an. Trotz Vollbart wirkt er jungenhaft. Er steigt aus dem Auto, rennt auf ein Feld, trennt mit einem Messer von einem Gewächs eine Knolle ab und schneidet ein saftiges Stück heraus. „Probieren Sie! Der beste Fenchel, den Sie je gegessen haben.“

Dann geht’s weiter, Caccavari will unbedingt noch das Meer zeigen, „das schönste in ganz Italien“. Er fährt eine kurvenreiche Straße entlang, verliert kein Wort über all den Müll inmitten der Hügellandschaft, sagt nichts zum Gerichtsprozess, bei dem im vergangenen Jahr 207 Mitglieder der kalabresischen Mafiaorganisation ’Ndrangheta zu insgesamt mehr als 2.000 Jahren Haft verurteilt wurden. Es scheint, als betrachte er seine Heimat durch einen Filter, der alles Negative ausblendet.

Jetzt schaut er von einer Klippe aufs Meer. Der Wind fegt ihm durch die schwarzen Haare. „Nach der Theorie meines Freundes Massimiliano Capalbo“, sagt er, „erleidet jedes Territorium, das von den Bewohnern nicht verteidigt wird, irgendwann das gleiche Schicksal: Es verschwindet.“ Dann ergänzt er leise: „Dazu wird es hier nicht kommen.“

Es gibt in Kalabrien eine wachsende Zahl an Menschen, die es satthaben, dass ihre Heimat immer nur mit Kriminalität und Armut in Verbindung gebracht wird. Caccavari ist ihr neuer Held. Denn er hat erstaunlichen Erfolg mit seinem 2016 gegründeten Betrieb, der aus historischen Getreidesorten Mehl, Brot, Pizza und Kekse produziert.

Noch ist es eine kleine Firma mit zwölf Beschäftigten und etwas mehr als einer Million Euro Jahresumsatz. Aber sie hat zum einen das Potenzial, viel größer zu werden, zum anderen geht von ihr eine Signalwirkung aus: „Mulinum“, so heißt sie, steht für ein anderes Kalabrien. Eines, das aufsteht – gerichtet gegen die zerstörerischen Geschäfte der Mafia, korrupte Verwaltungsbeamte, die industrielle Landwirtschaft und alle, die glauben, dass der Süden Italiens längst verloren ist. Mulinum steht zudem für eine neue Wirtschaft und die Wirkkraft eines einzelnen Menschen. Die Presse feiert Caccavari als Vorbild, und der Staatspräsident hat ihn mit dem Verdienstorden der italienischen Republik ausgezeichnet.

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