Kohero

Deutschland ist schon lange ein Einwanderungsland – doch Menschen mit Migrationsgeschichte kommen nach wie vor nur selten zu Wort. Eine Gruppe junger Leute will das mit einem Magazin ändern.





• Manchmal, wenn Hussam Al Zaher länger nicht beim Friseur war und seine dunklen Haare wieder zu einer dichten Mähne geworden sind, wird er gefragt, ob er aus Spanien komme. „Leider nein“, sagt er dann und lacht. Er lacht, weil er sich über die Frage freut, aber auch, weil er das aufsteigende Schamgefühl weglächeln will.

Flüchtling. Syrer. Muslim. Seine Herkunft macht ihn wieder zu einem von denen, einem der anderen. Er wolle sich aber nicht immer als Geflüchteter präsentieren, schrieb er mal in seinem »Kohero«-Magazin, und wahlweise Opfer oder Verräter sein. Verräter, weil er sein Land wegen des Bürgerkriegs verlassen habe und weil er sich über die Frage freue, ob er Spanier sei – die gelten weniger als Fremde.

„Ich wäre gerne einfach nur Hussam“, sagt Hussam Al Zaher in seinem Büro im Hamburger Grindelviertel. Im Regal hinter ihm stapeln sich »Kohero«-Hefte, an einer Stellwand kleben Post-its mit Ideen zu neuen Newslettern, Abo-Modellen, Podcasts. Ein 36-jähriger Journalist an seinem Schreibtisch, der eine Kolumne für die »Taz« über das Leben in seiner neuen Heimat schreibt, ein gemeinnütziges Medienunternehmen gegründet hat – und als Chefredakteur alles versucht, um sein Magazin am Leben zu halten.

Denn hinter dem kleinen Magazin steht ein großer Traum: eine Gesellschaft, in der alle Menschen dazugehören. Hussam Al Zaher hat in seinen neun Jahren in Deutschland schon einiges dafür getan.

Es war 2015, er war gerade angekommen, nachdem er die Fahrt im Schlauchboot über das Mittelmeer überlebt hatte, und war noch in einer Erstunterkunft in Hamburg, als er seine Aufgabe fand. „Ich war sehr dankbar über die Willkommenskultur in Deutschland“, erklärt Al Zaher. Er lernte die neue Sprache, las Nachrichten mit Google Translate und wunderte sich: „Damals wurde sehr viel über Flucht und Migration berichtet, aber oft über die Köpfe der Geflüchteten hinweg. Ich fragte mich: Warum können sie ihre Geschichten nicht selbst erzählen?“ In Damaskus hatte Al Zaher neben seinem Studium der Politikwissenschaft als Journalist gearbeitet – und jetzt sah er seine Chance gekommen, etwas zu ändern.

Zwei Jahre später hatte er eine eigene Wohnung, eine Website für sein neues Magazin namens »Flüchtling« und ein kleines Redaktionsteam. Eine Afghanin, sein Bruder, der mit ihm gekommen war, und vier Deutsche, die bei Recherche und Lektorat halfen. Sie sprachen mit einer siebenköpfigen Familie aus Syrien über deren Flucht nach Föhr, porträtierten einen Fotografen aus Ruanda und schilderten die Geschichte eines Paares, das für seine Liebe Grenzen überwinden musste. Im Jahr 2018 erschien die erste Printausgabe. „Das Magazin sollte auch dazu da sein, dass die Deutschen uns kennenlernen können“, sagt Hussam Al Zaher.

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