Berührungspunkte

Wir brauchen Nähe, um uns wohlzufühlen – und die Welt zu verändern.



Foto: © Ute Mahler & Werner Mahler / Ostkreuz


• Wetter, beginnen wir mit dem Wetter. Das Wetter ist nah. So nah, dass wir es unmittelbar erleben können. Wenn es regnet, werden wir nass. Wenn es heiß ist, schwitzen wir. Wenn es windig ist, brauchen wir einen Kamm. Jedes Kind versteht, was Wetter ist. Wetter, so hat es zum Beispiel der Klimaforscher Mojib Latif beschrieben, das sind kurzfristige Geschehnisse in der Atmosphäre, auf Zeitskalen von Minuten, Stunden oder Tagen.

Das Klima dagegen ist fern. Abstrakt. Klima ist die Statistik des Wetters über einen langen Zeitraum, in der Regel von drei Jahrzehnten. Ein mathematisches Konstrukt, so Latif. Mittelwerte. Wahrscheinlichkeitsrechnung. Rational erfassbar, aber nicht sinnlich.

Und mit dieser Unterscheidung im Hinterkopf stelle man sich nun vor, man müsse den Klimawandel Grundschulkindern erklären, die in Mathe noch die Grundrechenarten üben. Das Thema steht in einigen Bundesländern im Fach Sachunterricht schon früh im Lehrplan. Aber wie stellt man es als Lehrkraft an, dass Acht- und Neunjährige nicht nur irgendetwas auswendig lernen, sondern wirklich verstehen, worum es geht? Gute Lehrer machen es so: Sie stellen einen Lebensweltbezug her. Sie beziehen die regionalen Gegebenheiten ein. So holen sie den schwer nach Mathematik riechenden Klimawandel in den Nahbereich. Weil er dort greifbar und verständlich wird.

Wenn die Kinder in Alpennähe wohnen, schauen sie sich zum Beispiel an, wie viel Schnee dort liegt, und reden darüber, ob ihre eigenen Kinder später wohl noch Ski fahren können. Und an der Nordsee können Grundschüler, am Strand stehend, die Folgen eines steigenden Meeresspiegels erörtern. Die Herstellung von Lebensweltbezügen ist in vielen Fächern ein Qualitätsmerkmal des Unterrichts. Eine gute Geschichtsstunde kann, so empfehlen es Didaktiker, mit etwas beginnen, das die Schüler von ihrem Schulweg kennen: einem Stolperstein etwa, wenn es um den Nationalsozialismus geht. Matheunterricht kann auch mal auf den Schulhof führen, dessen Größe die Klasse dann berechnen soll. Wie man den Inhalt eines Rechtecks berechnet, begreift man leichter, wenn man es mit den eigenen Füßen abschreitet.

Was nah ist, lässt sich besser vermitteln als das Entfernte. Weil man das Nahe im Zusammenhang sehen und seine Bedeutung erfassen kann. Und weil man intuitiv versteht, warum einen das interessieren sollte. Für Erwachsene gilt das genauso wie für Kinder.

Journalisten berichten eher aus dem Nahbereich als aus anderen Teilen der Welt. Man muss sich nur anschauen, wo deutsche Auslandskorrespondenten arbeiten. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk etwa hat ein relativ großes Netzwerk. 27 Büros betreibt allein die ARD in aller Welt. Aber nur eines befindet sich in Südamerika. Im kleinen Europa dagegen sind es zwölf. Auch wegen der kulturellen und politischen Nähe.

Die USA sind räumlich ebenso weit von Deutschland entfernt wie Tansania. Allein aus der US-amerikanischen Hauptstadt Washington D.C. berichten aber elf ARD-Leute. Exakt so viele wie aus ganz Afrika. Das erscheint unfair, zeigt aber vor allem, dass das, was als relevant erachtet wird, standortabhängig ist. Das Nahe ist Menschen näher.

Foto: © Ute Mahler & Werner Mahler / Ostkreuz

Man kennt sich. Und das ist viel wert

Vom ersten Tag ihres Lebens an brauchen Menschen Kontakt mit anderen. Oxytocin wird im Körper freigesetzt, wenn sie miteinander kuscheln. Es stärkt die Bindung, also die Nähe zwischen Eltern und Kind, bewirkt eine Reduktion von Stress und fördert Empathie. Ohne körperliche Kontakte kann ein Mensch vertrocknen wie eine ungegossene Pflanze.

Isolationshaft gilt als besonders hart, weil Menschen es ohne Kontakt zu anderen auf Dauer kaum aushalten. Wegen der Kontaktsperren empfanden viele die Corona-Pandemie als schlimmste Zeit ihres Lebens. Man konnte zwar mit allen Menschen reden, ob telefonisch oder per Videocall. Aber man konnte sie nicht treffen. Das war eine existenzielle Erfahrung. Es fehlte nicht nur Körperkontakt, sondern die Verbindung mit Menschen generell, wie sie auch bei beiläufigen Begegnungen entsteht. In Zeiten der Pandemie konnte man erleben, wie sehr man sie braucht.

Julia Nissen weiß das. Sie hat während der Pandemie ein Dorf gegründet, Klönstedt. Ein digitales Dorf, wie sie es nennt. Eine Plattform für eine Community, die sich als Dorfgemeinschaft versteht und Dorfdinge tut. Es gab da diesen Hunger nach Kontakten, nach Vernetzung und Gemeinschaftsaktivitäten, und den sollte Klönstedt zu stillen helfen.

Nissen ist 36 und lebt in Bargum in Nordfriesland. Das Dorf hat knapp 650 Einwohnerinnen und Einwohner, Nissens Mann ist Bürgermeister, ein Ehrenamt. Sie selbst ist Kreisrätin. Vor allem aber ist sie eine Frau mit vielen Projekten, die alle mit der Frage zu tun haben, wie sich Menschen miteinander verbinden. Zum Beispiel gründete sie ein Blog, „Deichdeern“, in dem sie über das Landleben schrieb. Dann ein Magazin. Dann die „App aufs Land“: Menschen vom Land konnten mit ihr typische Land-Freizeiterlebnisse anbieten, zum Beispiel Trecker-Mitfahrten, so wie in Berlin Fahrten mit dem Trabi und in München welche mit der Fahrradrikscha buchbar sind. Wer ein Landerlebnis anbot, sollte den Preis selber bestimmen können, und Julia Nissen würde eine Provision für die Vermittlung bekommen, das war die Idee.

Aber dann, sagt sie, hätten Leute ihre Angebote eingestellt und gesagt, „nee, dafür wollen wir doch nichts haben, das machen wir auch so“. Sie lacht. „Wenn das Geschäftsmodell ist, dass wir 20 Prozent Provision kriegen, dann muss man halt sagen: 20 Prozent von nix ist nix. Na ja, irgendwie auch ganz rührend.“

Schließlich gründete sie die Community Klönstedt, das digitale Dorf, und wurde seine Bürgermeisterin. „Wir haben viele Gemeinschaftssachen gemacht“, sagt sie, etwa digitale Weinproben organisiert – ein Winzer schickte allen Klönstedtern ein Paket mit den Weinen nach Hause, und dann saßen alle gemeinsam vor ihren Bildschirmen und probierten. Oder eine Kartoffelgeschmacksprobe mit vorab verschickten Kartoffeln. Etwa 150 Menschen aus ganz Deutschland hätten in Klönstedt einen digitalen Zweitwohnsitz angemeldet, sagt Julia Nissen. „Manche waren einfach ein Stück weit einsam. Andere waren gerade physisch in ein Dorf gezogen und suchten jetzt Anschluss, kamen aber in der Dorfgemeinschaft nur schwer an und wollten verstehen, wie ein Dorf tickt.“

Aber dass es auf Dauer nicht reicht, einander ausschließlich digital zu begegnen, das weiß Nissen. Mittlerweile ist Klönstedt auch eine Kommunikationsagentur und Nissen deren Geschäftsführerin. Sie selbst arbeitet von ihrem analogen Dorf aus. Ihre acht Kolleginnen und Kollegen leben in Hamburg, Kiel, Flensburg, Freiburg oder der Holsteinischen Schweiz. Aber gerade weil alle verstreut wohnen, gebe es Team-Events, für die alle zusammenkommen, sagt sie. „Und dann geht es nicht um den Job, sondern wirklich nur darum, dass wir einen guten Nachmittag oder Tag haben.“ Diese Nähe, sagt Julia Nissen, sei „total wichtig“.

In Berlin lebt der Psychiater Jan Kalbitzer. Er hebt die Bedeutung kleiner persönlicher Treffen im Arbeitskontext hervor. Denn in einem Unternehmen begegnen sich, anders als in Freundeskreisen, nicht nur Menschen, die sich ohnehin gut verstehen. Man muss sich alltäglich mit den Kolleginnen und Kollegen auseinandersetzen, selbst wenn sie zu politischen Themen andere Meinungen vertreten.

Es helfe, wenn man mal nebenbei ein paar Worte wechsele, sagt Kalbitzer. „Man ist Teil eines gemeinsamen Kontextes.“ Deshalb sieht er Unternehmen auch als gesellschaftliche Plattformen, auf denen soziale Regeln ausgehandelt werden. Das sei gerade jetzt wichtig – in Zeiten, in denen die ständige Erregung eingeübt sei.

Natürlich gibt es auch Apps, die Zufallsbegegnungen zwischen Kollegen ermöglichen, die nicht am selben Ort sind. Man wird quasi zusammengewürfelt, und dann hat man, am Dienstag um 17 Uhr, einen Termin im Kalender: Call mit der Kollegin aus der anderen Abteilung. Aber die Unternehmens-Teeküche ist besser. Alles in allem, sagt Jan Kalbitzer, sei es „viel komplizierter, im Netz jemanden zufällig zu treffen“.

Foto: © Lorraine Hellwig

Die Vorstellung von Freundschaften und Beziehungen veränderte sich durch die sozialen Netzwerke

Ein Versprechen des Internets bestand von Anfang an darin, die Welt dörflicher zu machen. Das Entfernte näher heranzuholen. Räumliche und auch kulturelle Distanzen zu überbrücken. Die Welt würde durch elektronische Vernetzungen zum „global village“, zum globalen Dorf, so nannte es der Medientheoretiker Marshall McLuhan im Jahr 1962. Das war damals ein verrückter Gedanke, weil die Welt technisch noch nicht einmal in der Lage war, die Spiele einer Fußballweltmeisterschaft zu übertragen. In Chile, wo die WM damals stattfand, gab es jedenfalls noch keinen Satelliten, der Fernseh-Live-Übertragungen von Südamerika nach Europa ermöglichte, weshalb die Spiele im deutschen Fernsehen nur zeitversetzt als Zusammenfassungen gezeigt wurden. Aber McLuhans Überlegungen waren in mancher Hinsicht prophetisch. Sein Global Village wurde zu einer Metapher für das World Wide Web.

Über das Internet, das war anfangs das überwältigend Neue daran, konnte man mit Menschen in direkten Austausch treten, die auf der anderen Seite der Erde leben und denen man auf anderem Weg wohl nie begegnet wäre. Man konnte in einem schwäbischen oder thüringischen Dorf leben und gegen Jugendliche aus New York Online-Games zocken. Man konnte sich in Interessen- und Identitätsnischen tummeln, die einem verschlossen blieben, wenn die Welt auf den eigenen Kohlenstoffkosmos beschränkt wäre.

Menschen, die schon glaubten, sie seien irgendwie falsch geraten, weil sonst niemand zu sein schien wie sie, fanden endlich Anschluss, „Star Wars“-Fans fanden einander zum Fachgespräch: der Mensch, verflochten mit der gesamten Menschheit. Mit dem Internet wurde das Ferne zum Nahen. Die Welt erreichbar. Der Blick reichte nun nicht mehr nur von einem Ortsschild zum nächsten. Die Distanzen wurden geringer.

Aber, und das ist die andere Seite, die Nähe ist deshalb nicht unbedingt größer geworden. Anrufe bei Freunden, die man lange nicht gesehen hat, erscheinen als weniger zwingend; man weiß ja nun auch so, was los ist im Leben des anderen; man sieht schließlich die Postings. Väter lesen ihren Kindern Gute-Nacht-Geschichten per Videocall von unterwegs vor. Das ist besser als keine Gute-Nacht-Geschichte, einerseits. Andererseits ist es nur eine Ersatzlösung, ein Ritual ohne Körperkontakt – aber den brauchen Kinder eben auch.

Die sozialen Medien haben die Vorstellung davon, was eine Beziehung ist und was sie erfordert, aufgeweicht. Bei Facebook zum Beispiel, der lange Zeit wichtigsten Plattform, heißen Menschen, die miteinander vernetzt sind, „Freunde“. Man kann solche Freunde überall auf der Welt haben. Man bekommt Einblick in deren Alltag. Man sieht, was sie über sich mitteilen möchten. Aber es sind darüber persönliche Bindungen verloren gegangen: Anfangs hatte man noch die Freunde aus der eigenen Stadt, mit denen man online verbunden war, zu einer (echten) Party eingeladen. Doch irgendwann wurden die Netzwerke weniger genutzt, um analoge Freundschaften zu verstärken – der Austausch bleibt mittlerweile oft virtuell.

2017 ergab eine US-amerikanische Studie, dass Menschen, die mehr als zwei Stunden täglich auf sozialen Plattformen verbringen, sich erheblich häufiger einsam fühlen als Menschen, die weniger als eine halbe Stunde dort aktiv sind. Ob die Einsamkeit durch Social-Media-Konsum ausgelöst wurde oder der Social-Media-Konsum durch Einsamkeit, konnten die Forscher nicht endgültig beantworten. Eine Hypothese jedenfalls lautete, wer mehr Zeit mit sozialen Medien verbringt, hat weniger Zeit für Face-to-Face-Kommunikation.

Heute funktionieren viele Social-Media-Dienste so: Man performt in die Welt hinaus und kommentiert, was man in die Timeline gespült bekommt – was häufig das ist, was bereits viel herumgereicht wurde. Man sieht im Social Web nicht die Welt, sondern die Postings, mit denen schon besonders viele andere interagiert haben. Das eigene Umfeld spielt dabei oft kaum eine Rolle.

Das ist für viele mittlerweile so unbefriedigend, dass sie sich in übersichtliche Onlinegruppen zurückziehen und ihre Postings nur noch über Whatsapp verschicken. Andere melden sich bei einer neueren Plattform wie BeReal an, auf der man pro Tag nur wenig posten kann und das dann eher mit wenigen anderen teilt.

Es gibt ein Bedürfnis danach, weil das soziale Internet alles in allem kein globales Dorf geworden ist, sondern sich eher zu einem Festival entwickelt hat, mit Riesen-Acts auf Stadionbühnen und unzähligen Open Stages, auf denen jeder etwas vorführen darf. Es geht ums Senden und Empfangen. Weniger um Austausch. Mit echter Nähe hat das nicht viel zu tun.

Was, von dieser Logik befeuert, medial besonders viel Aufmerksamkeit bekommt, sind die ohnehin schon aufregenden Krisenthemen: Bundespolitik, US-Wahlkampf, Putin, Pandemie, Klimakrise, Problemlösungen, die Geld kosten. Je empörender etwas ist, desto mehr Aufmerksamkeit bekommt es.

Man ist getriggert, fühlt sich persönlich beleidigt. Wo es bisweilen nur ein paar kühle Zahlen bräuchte, um Erregung herunterzuregeln, wird an Einzelfälle herangezoomt, um sie zu vergrößern. Es ist ein Nähe-Trick. Die Energiewende wird teuer für dich! Ich lasse mir doch meine Wurst nicht verbieten! Darf man denn wirklich gar nichts mehr sagen?

So werden weniger Beziehungen zu Menschen verstärkt als die Wahrnehmung von Konflikten und Krisen. Man trägt sie in der Hosentasche immer mit sich herum, weil man sie sich ständig aufs Display holen kann. Alles wirkt so nah. Und gleichzeitig kann man selbst überhaupt nichts tun. Weil jede dieser Krisen gleichzeitig so abstrakt wirkt wie der Klimawandel im Vergleich mit dem Wetter.

Der Psychiater Jan Kalbitzer spricht von einer augmentierten Realität, also einer krisenhaften, medial vermittelten Wirklichkeit, die sich über die Alltagsrealität lege. Die größte Gefahr in Berlin-Kreuzberg sei „wahrscheinlich ein Autounfall, gefolgt von Feinstaub“, sagt er. Aber was uns beschäftigt und auch Angst machen kann, sind große Krisen. Er empfiehlt allerdings nicht, die schlechten Nachrichten aus aller Welt einfach auszublenden. „Mein Vorschlag ist, sich ein Thema pro Woche oder pro Monat vorzunehmen, um auch das Gefühl zu haben, fundierter in einem Thema drinzustecken.“

Man könnte auch sagen: das Entfernte näher an sich heranzuholen. „Der Grundimpuls von Menschen ist, die Umwelt verstehen zu wollen“, sagt Kalbitzer. „Ich glaube, es ist wichtig zu entkoppeln: Was ist wichtig zu verstehen, und woran kann ich auch realistisch etwas ändern? Der beste Weg wäre, sich in seiner direkten Umwelt etwas zu suchen, was man beeinflussen und ändern kann, und dann auch Selbstwirksamkeit zu erfahren.“ Wichtig zu wissen sei, dass nicht nur Angst, sondern auch gute Ideen ansteckend sein könnten. „Etwa wenn die Nachbarn ihre Fassade begrünen.“

Denn selbstverständlich kann man doch etwas tun, gegen Feinstaub, auch gegen die Klimakrise, gegen so einiges. Zumindest in der eigenen Lebenswelt.

Foto: © Ute Mahler & Werner Mahler / Ostkreuz

Ein Leben ohne körperlichen Kontakt wäre für Menschen kaum auszuhalten

Oder sollte man vielleicht in ein Dorf ziehen, dorthin, wo man im Matsch herumstehen, direkt vor der Haustür ein wenig klönen und sich immer wieder erden kann, wenn die ganze weite Welt über einen hereinbricht?

Julia Nissen, die digitale Bürgermeisterin der Online-Community Klönstedt, sagt: Jedes Dorf sei anders. Es gebe welche, da begrüße man neue Leute am ausgestreckten Arm. In anderen sei selbst das schon zu viel – Hand geben, von wegen. „Es gibt Dörfer, in denen man eigentlich geboren sein muss, um dazuzugehören.“ Und wieder andere seien relativ offen, wie Bargum, das Dorf, in das sie mit ihrer Familie gezogen ist. Mit dem Stempel „zugezogen, aber engagiert“ komme sie dort selbst gut klar, sagt sie. Es gebe Lotto-Abende, Tombolas, im Sommer ein Bettenrennen: Man schraube Räder an ein Bett, und dann gebe es ein Wettrennen. Fast die Hälfte der Bargumer sei in der Landjugend aktiv, sagt sie, unabhängig vom Alter. Die Freiwillige Feuerwehr habe so viele Mitglieder, dass sie anbauen müsse. Man feiert zusammen und muss sich auch miteinander arrangieren.

Das schweißt so ein Dorf zusammen. Wo hat man schon so viel beiläufigen Kontakt in der Großstadt? In sehr großen Unternehmens-Teeküchen vielleicht.

Andererseits, sagt Nissen, habe sie eine Zeit lang in der Großstadt gearbeitet, und manchmal vermisse sie das Stadtleben. Die Kulturangebote. Die kulinarische Vielfalt. Wenn sie mal chinesisch kochen wolle, müsse sie anderthalb Stunden fahren, um die Zutaten zu besorgen. Man ist in der Stadt nicht so weit weg von allem, was es außerhalb des eigenen kleinen Kosmos auch noch gibt. Sie wolle Stadt und Land nicht gegeneinander ausspielen, sagt sie, im Gegenteil. Sie würde lieber Verbindungen schaffen.

Fragt man sie, wie man wieder mehr von der Nähe herstellen könnte, die Menschen vermissen, erzählt sie vom Stadt-Land-Wichteln. Städter und Landmenschen können sich anmelden und werden dann miteinander vernetzt. „Sie schicken sich gegenseitig einen Brief, stellen sich vor und sagen, was sie an dem Lebensstil des anderen gut finden und wertschätzen.“ 5.000 Menschen hätten zuletzt teilgenommen, sagt Julia Nissen, „mittlerweile echt viele Wiederholungstäter“.

Die jährlichen Aktionen hätten Menschen verbunden, die einander wohl nie begegnet wären. Es gebe nun das erste Wichtel-Pärchen. Und im Sommer, erzählt sie, habe sie eine Postkarte bekommen von zwei Frauen, die sie nicht sofort zuordnen konnte. Renate und ihre Wichtelpartnerin hatten einander besucht, nachdem sie sich per Brief kennengelernt hatten. Und grüßten nun herzlich aus einem echten Strandkorb. ---

Das Konzept der Selbstwirksamkeit
geht auf den Psychologen Albert Bandura zurück. Selbstwirksamkeit bezeichnet die Überzeugung, herausfordernde Ziele erreichen zu können – und zwar aufgrund eigener Kompetenz. Wer erwartet, selbstwirksam zu sein, glaubt also daran, ein auftauchendes Problem aus eigener Kraft meistern zu können und mit überraschenden Ereignissen zurechtzukommen. Gemeint ist das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Das kann abhandenkommen, wenn man regelmäßig mit Krisen und Problemen konfrontiert ist, zu deren Lösung man nichts beitragen kann. Daher ist es sinnvoll, sich Ziele zu stecken, die erreichbar sind.

Die Nachrichtenwert-Theorie
besagt, dass Journalistinnen und Journalisten aufgrund bestimmter Kriterien entscheiden, was sie für relevant halten. Der Nachrichtenwert bestimmt demnach darüber, ob ein Ereignis als berichtenswert gilt, wie viel Platz ihm eingeräumt und wie es präsentiert wird. Ein Kriterium ist Nähe: Wie nah ist ein Ereignis räumlich, politisch und kulturell? Wenn Leser, Hörerinnen und Zuschauer einen Bezug zu dem Geschehenen haben, wenn sie gar direkt betroffen sind, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Journalisten eine Nachricht als relevant für das Publikum erachten. Die Theorie geht etwa auf Arbeiten der norwegischen Friedensforscherin Mari Holmboe Ruge und ihres Kollegen Johan Galtung (1965) zurück.

Medienanalyse
Der Germanist Ladislaus Ludescher, zu dessen Schwerpunkten die Medienanalyse gehört, hat für eine Studie ausgewertet, über welche Weltregionen deutschsprachige Medien berichten, etwa die 20-Uhr-Ausgabe der „Tagesschau“. Zwischen 2007 und 2019 liefen darin demnach etwa 28.000 Berichte, in denen Deutschland erwähnt wurde. Um die USA ging es in mehr als 7.000. Tansania kam in 14 Berichten vor.

Bindungshormone
Es gibt mehrere Bindungshormone, die ausgeschüttet werden, wenn Menschen einander berühren. Darunter ist das 1906 entdeckte Oxytocin, bekannt auch als „Kuschelhormon“. Es wird in der Schwangerschaft, bei der Geburt und beim Stillen ausgeschüttet, auch beim Spielen oder Kuscheln. Spielen ist deshalb ein guter Weg, um zwischen Eltern und Kind eine Bindung aufzubauen. Aber der Oxytocingehalt kann auch steigen, wenn man mit einem Hund spielt oder sich, eng nebeneinander stehend, angeregt unterhält. Die schwedische Physiologin Kerstin Uvnäs Moberg, eine Pionierin der Oxytocinforschung, sprach vom „Hormon der Nähe“.