Volksverpetzer

Mit sachlichen Richtigstellungen allein kommt man Hetze und Verschwörungserzählungen nicht bei, sagt Thomas Laschyk, Gründer des Blogs Volksverpetzer. Sein Ansatz: Humor.





brand eins: Herr Laschyk, was ist ein Volksverpetzer?

Thomas Laschyk: Ein Wortspiel: Wir verpetzen die Volksverhetzer. Ich suchte nach etwas Selbstironischem. Zu Beginn hatte das den positiven Nebeneffekt, dass viele Leute aus dem rechten Spektrum unsere Posts anklickten – weil der Begriff Volk darin vorkam. Seitdem wir bekannter sind, ist dieser Effekt verflogen. Rückblickend würde ich den Namen vielleicht anders wählen. Aber es war anfangs ja nur ein kleiner privater Blog.

Sie waren damals Student der vergleichenden Literaturwissenschaft in Augsburg – wie kamen Sie auf das Projekt?

Bloggen war ein Hobby, da ging es vor allem um Lokalpolitik und Kultur. Facebook war damals noch der Nabel der Onlinewelt, dort diskutierte ich intensiv mit verschiedenen Menschen über Politik. Dann kam der Herbst 2015, und auf Facebook begannen die schlimmsten erfundenen Geschichten über Geflüchtete zu kursieren. Ich war damals naiv und dachte, wenn ich in den Kommentarspalten unter den Horrorgeschichten aufkläre, dass diese Geschichten nicht stimmen, dann werden die Menschen das verstehen.

Aber das war nicht der Fall?

Ich habe stundenlang diskutiert, meine Kommentare wurden immer länger – und ich musste trotzdem jeden Tag wieder von vorn anfangen. Also, dachte ich, kann ich die Hetze gegen Schutzsuchende auch in meinem Blog fundiert widerlegen und muss in den Facebook-Kommentaren nur noch auf diese Artikel verlinken.

Ein Blog für Faktenchecks also.

Anfangs ja. Aber ich habe schnell gemerkt, dass manchen Menschen die Wahrheit egal ist. Dass es vielmehr um Geschichten geht, die sich gut erzählen lassen. Dagegen komme ich allein mit Richtigstellungen nicht an. Wenn ich mir schon die Mühe mache, das alles nachzurecherchieren und zu widerlegen, dann brauche ich eigene Narrative, um die Menschen zu erreichen. Also fing ich an, die Methoden der Fake-Verbreiter gegen sie zu verwenden und auch reißerische Titel zu nutzen, um die Leserinnen und Leser emotional anzusprechen.

Was war Ihr erster viraler Hit?

2017 setzte ich ein Foto eines riesigen Müllhaufens aus dem Internet über einen Artikel mit der Überschrift „Skandal! Flüchtlinge vermüllen die Augsburger Innenstadt!“ Gleich zu Beginn des Artikels steht, dass das alles nicht stimmt. Anschließend wird erklärt, was Falschmeldungen sind, wie man sie erkennt und warum es Menschen gibt, die ein Interesse daran haben, diese Art von Lügen zu verbreiten. Das Großartige: Wegen des Titels teilten auch viele rechte Facebook-Seiten den Text ungelesen. Ich erreichte also Menschen, die ich sonst nie erreicht hätte. Es gab so viele Zugriffe, dass zeitweise mein Server in die Knie ging. Dadurch habe ich gelernt, dass man effektiver gegen Desinformation vorgehen kann, wenn man mit den Mechanismen von Social Media spielt.

Seit wann leben Sie von dieser Arbeit?

Nach einiger Zeit kamen immer häufiger Fragen, ob man meine Arbeit finanziell unterstützen könne. 2018 richtete ich Konten bei Paypal und der Finanzierungsplattform Steady ein und ermöglichte so, meine Arbeit mit Geld zu unterstützen. Es war angenehm, das Studium mit etwas zu finanzieren, was ich eh gerne machte. Nach meinem Abschluss Ende 2018 gründete ich eine gemeinnützige Unternehmensgesellschaft für den Volksverpetzer. Wir finanzieren uns seitdem ausschließlich durch Mitglieder und Unterstützerinnen. Weil die rechte Szene uns nicht inhaltlich widerlegen kann, versucht sie, uns staatliche Finanzierung anzudichten, die es aber nicht gibt.

Warum sind gerade Rechtsextreme so erfolgreich in den sozialen Medien?

Die neue Rechte war ein geächtetes Randphänomen und hatte keinen Zugang zu den klassischen Medien. Diese Leute hatten also einen starken Antrieb, früh das Internet und Social Media auszuprobieren. Wer früh dran war, hatte automatisch einen Vorteil. Und Kräfte wie die AfD haben es mit vergleichsweise wenig Geld und Aufwand geschafft, enorme Lautstärke zu erzeugen. Größere Parteien waren lange am Internet wenig interessiert, weil sie ja die klassischen Medien hatten. Hinzu kommt, dass die AfD mit Clickbaiting und Fake News auf Social Media extrem erfolgreich war und ist. Das aber können etablierte Parteien nicht einfach so nachmachen.

Gerade differenzieren sich die sozialen Medien stärker aus – auf welche Kanäle setzt der Volksverpetzer?

Wir bespielen inzwischen viele Plattformen: Facebook, Twitter, Instagram, Mastodon, Bluesky, Reddit, Youtube, Threads et cetera. Das ist viel mehr Aufwand als früher, weil man jede Plattform verstehen muss. Anders als Facebook und Twitter funktionieren Instagram und Tiktok nicht über Links, sie bringen weniger Traffic zu den Artikeln. Dort kann man eher mit kurzen Videos punkten. Die AfD ist übrigens extrem erfolgreich auf Tiktok – auch weil die anderen Parteien dort noch sehr wenig machen und es kaum Aufklärung über Falschinformationen gibt.

Wie widerlegt man Lügen am besten?

Wir versuchen immer öfter, das Framing umzudrehen. Im Dezember 2023 hatten wir zum Beispiel eine Geschichte mit dem Titel „Kita Finkenau feiert Weihnachten wie immer – Rechte Lügen führen zu Drohungen“. Das entsprach genau den Tatsachen. Denn die Kita im Hamburger Stadtteil Lokstedt hatte – wie seit vielen Jahren – die Erzieherinnen und Erzieher mit den Kindern entscheiden lassen, wie der Weihnachtsschmuck aussehen soll. Manchmal gab es Lichterketten, manchmal Kugeln, manchmal einen Weihnachtsbaum. Wie schon in anderen Jahren gab es 2023 keinen Baum – was einige Boulevardmedien sofort zum Anlass nahmen, von sogenannter Cancel Culture zu sprechen und einen rechten Shitstorm auszulösen. Die Kita brauchte anschließend Polizeischutz.

Man kann also entweder all die Lügen wiederholen und sie am Ende richtigstellen – oder die Geschichte gleich von Anfang an so aufschreiben, wie sie der Realität entspricht.

Ihnen wurde schon vorgeworfen, es selbst mit der Wahrheit nicht so genau zu nehmen, zum Beispiel bei einem womöglich an Corona gestorbenen AfD-Politiker. Sie hatten getitelt: „Die Rechtsextremen opfern ihre eigenen Leute – Der Todeskult AfD“. Der Verstorbene war offenbar seit Jahren nicht mehr politisch aktiv gewesen, und die Todesursache wurde auf Wunsch der Familie nicht veröffentlicht. Schießen Sie also manchmal übers Ziel hinaus?

Wir versuchen, emotionale Botschaften zu senden, die häufig geteilt werden. Manchmal schätzen wir falsch ein, wie etwas nach außen wirkt, oder machen auch mal Fehler. Einen Text wie den genannten würden wir heute wohl nicht mehr verfassen. Es gab dazu auch Kritik, aber es ist schwierig, konstruktive Hinweise zu erkennen, wenn man konstant mit Hassnachrichten von rechtsextremen Trollen bombardiert wird. Wir achten aber durchaus darauf, faktisch korrekt zu bleiben.

Der neue Digital Services Act der EU besagt, dass illegale und hasserfüllte Nachrichten gelöscht werden müssen. Was hat sich dadurch für Sie geändert?

Wir haben bereits rechtliche Handhabe, aber sowohl die Behörden als auch die Plattformen hinken hinterher. Wir bekommen regelmäßig Morddrohungen, die wir auch zur Anzeige bringen. Aber die Staatsanwaltschaft kommt nicht weiter. Ich habe mit Staatsanwältinnen und -anwälten geredet: Da fehlen meist schlichtweg die Kapazitäten.

Und die Gegenseite ist nicht dumm: Kaum jemand sagt: „Hier ist die Adresse des Volksverpetzers, zündet den Laden an!“ Sondern es wird nur die Adresse in einem einschlägigen Forum gepostet, vielleicht mit einer Frage oder Andeutung. Alle wissen dann, was gemeint ist. Aber rechtlich dagegen vorzugehen wird schwierig. Ich sehe keinen gangbaren Weg, das Problem der Desinformation rein juristisch zu lösen. Vor allem muss klar sein: Solange wir unsere politischen und gesellschaftlichen Diskurse auf privaten Plattformen führen, deren Algorithmen allein auf privatwirtschaftlichen Geschäftsmodellen basieren, so lange sind Fake News kein Fehler von Social Media, sondern ein Feature.

Was müsste passieren, damit es Ihren Blog nicht mehr braucht?

Wahrscheinlich ist es utopisch zu glauben, dass es irgendwann keine Fake News mehr gibt. Aber es wäre zumindest schön, wenn sie wieder nur ein Randphänomen wären.

Was wäre der kürzeste Weg dorthin?

Wenn Medien wie die »Bild«-Zeitung keinen Erfolg mehr damit hätten, dass sie – meiner Ansicht nach gezielt – gegen die Sorgfaltspflicht oder die Wahrhaftigkeit verstoßen. Wenn große Parteien im Bundestag nicht mehr Fake News aktiv und systematisch als Methode verwenden würden, um ihre Wählerschaft zu mobilisieren.

Und wir brauchen Gegen-Narrative! 2019, als Fridays for Future groß wurde, da hatte die AfD einen richtigen Durchhänger, weil es eine neue Erzählung gab: junge Leute, die etwas tun gegen den Klimawandel.

Auch zu Beginn der Corona-Pandemie wusste die AfD offenbar nicht, wie sie sich verhalten sollte. Denn sie hatte eher Panik vor Corona geschürt. Als die Pandemie dann da war und die Regierung die Krise ernst nahm, schwang die AfD auf Verharmlosung um. Außerdem ging es während der Pandemie eine ganze Zeit lang nicht um ihre Stammthemen wie Migration, sondern um Lösungen: Da wurde die AfD klein wie eine Flamme, der man den Sauerstoff nimmt. ---

Thomas Laschyk, 31,

gründete 2014 den Blog Volksverpetzer parallel zu seinem Studium der vergleichenden Literaturwissenschaften an der Universität Augsburg, das er mit seiner Masterarbeit über Story Telling in Fake News in sozialen Medien abschloss.

Heute ist er Chefredakteur und Geschäftsführer des Online-Mediums mit mittlerweile drei Vollzeit- und fünf Teilzeitstellen sowie zwei Minijobbern. Der Anti-Fake-News-Blog ist als gemeinnützige Unternehmergesellschaft eingetragen und finanziert sich durch Mitgliederbeiträge, vor allem über die Plattform Steady. Mitte Januar unterstützen den Blog dort rund 2.000 Menschen mit etwa 12.000 Euro im Monat.

Der Volksverpetzer wurde mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet. Thomas Laschyks Buch „Werbung für die Wahrheit – Überlasst die guten Geschichten nicht den Fake News“ erscheint am 5. Februar 2024. Darin erklärt er, wie Desinformation funktioniert und wie ihr begegnet werden kann.

Der Volksverpetzer in den sozialen Medien. Zahl der Follower nach Kanal *:

Instagram: 447.000
X/Twitter: 356.000
Facebook: 178.000
Threads: 60.000
Bluesky: 48.000
Tiktok: 26.000
Youtube: 21.000
Volksverpetzer-App: circa 25.000 Downloads

* Stand 11. Januar, nach eigenen Angaben