Katrin Winkler im Interview

Hybrides Arbeiten ist eine Herausforderung – die schon im Studium eingeübt werden sollte. Ein Gespräch mit der Psychologin Katrin Winkler über Kommunikation auf vielen Kanälen.





brand eins: Frau Winkler, Sie behaupten, dass hybrides Arbeiten – die Kombination aus Präsenz im Büro und Homeoffice – krank machen kann. Wie kommen Sie darauf?

Katrin Winkler: In Deutschland steigt der Krankenstand seit einigen Jahren stark an, viele Menschen fallen wegen psychischer Belastungen aus. Die Arbeit im Homeoffice hat zwar Studien zufolge positive Effekte – manche Beschäftigte mögen die Flexibilität, arbeiten effizienter als im Büro und sind zufriedener –, es gibt aber auch eine Kehrseite. Andere fühlen sich isoliert dadurch, dass sie Kolleginnen und Kollegen seltener treffen. Zudem haben sie das Gefühl, dass sie immer erreichbar sein müssen und Arbeit und Privatleben schlechter trennen können. Viele von ihnen fühlen sich dadurch überfordert.

Trotzdem arbeiten Sie an Ihrem Institut für digitale Transformation an der Hochschule Kempten weitgehend hybrid – muss man damit wirklich schon während der Ausbildung anfangen?

Unbedingt. Denn in der Arbeitswelt werden Homeoffice und hybrides Arbeiten bleiben. Aus meiner Sicht werden Studierende darauf bislang aber nicht ausreichend vorbereitet. Das ist dann beim Start in das Arbeitsleben ein riesiges Problem und erzeugt unnötigen Stress. Der Bruch zwischen Hochschule und Job kann sehr hart sein. Es gibt dazu noch keine umfassenden wissenschaftlichen Untersuchungen, aber ich vermute, dass bei Jobanfängern diese mangelnde Vorbereitung zu der Überlastung beitragen kann, die wir gerade bei Jüngeren beobachten.

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Sie selbst scheinen diese Arbeitsform auch zu schätzen: Sie wohnen zwischen Köln und Bonn, rund 500 Kilometer von Ihrer Hochschule entfernt, im Hintergrund hört man einen Hund bellen.

Der schlägt gerade Alarm, weil jemand vor dem Fenster vorbeigelaufen ist. Und ja, wir arbeiten überwiegend remote, zugleich unterstützen wir das Lernen mit digitalen Formaten.

Ist das nicht längst an Hochschulen üblich?

Viele Hochschulen haben digitale Lehrformate während der Pandemie integriert – die meisten sind anschließend jedoch weitgehend zum Unterricht in Präsenz zurückgekehrt, auch die Hochschule Kempten. An unserem Institut wollen wir vielfältige Arbeitsformen erproben, verbinden digitale Formate mit der Lehre in Präsenz und testen auch rein virtuelle Szenarien mit den Studierenden.

Das ist sicher sinnvoll, weil viele Menschen inzwischen an Hochschulen oder für Unternehmen an abgelegenen Orten arbeiten – ohne dorthin zu ziehen. Sie gehören auch dazu, war das ein Grund für das Lehr-Programm?

Das war für mich kein Thema. Aber ich beschäftige mich schon lange damit, wie digitales Lernen am besten funktioniert, und sehe darin die Zukunft. Brillante Köpfe für Unternehmen und Hochschulen in der Provinz zu gewinnen wird ohne digitales Arbeiten nicht mehr möglich sein.

Wie gestalten Sie das hybride Lernen?

Zu Beginn des Semesters treffen wir uns vor Ort, damit alle einander kennenlernen. Danach gibt es nur noch wenige Präsenztermine. Die Studentinnen und Studenten arbeiten in virtuellen Gruppen und präsentieren ihre Ergebnisse in Online-Sessions. Wir geben nur die Leitlinien vor, ihren Lernprozess müssen sie selbst steuern. Die allermeisten sind bei uns zufrieden mit der Kombination aus virtueller Arbeit und Terminen in Präsenz. Das erheben wir jedes Semester. Die Studierenden fordern sogar zunehmend virtuelle Formate ein.

Welche Termine finden in Präsenz statt?

Wenn es um Gruppendynamik oder kontroverse Diskussionen geht, treffen wir uns in Präsenz. Das gilt auch für Themen, bei denen die Studierenden zu Beginn etwas unsicher sind, zum Beispiel wissenschaftliches Arbeiten.

Wo bereitet Ihre Hochschule besser auf das Arbeitsleben vor als andere?

Das Studium ist heute sehr verschult. Sobald man sich für ein Fach entschieden hat, wird das meiste vorgegeben – welche Kurse man besucht, wann man sich auf was vorbereitet. Bei so wenig Spielraum lernt man nicht, sich selbst zu organisieren. Genau das ist aber entscheidend, wenn man später im Job allein zu Hause ist. Dann muss man sich selbst führen. Es geht darum, seine Aufgaben gut zu schaffen und sich zugleich abzugrenzen, um eben nicht ständig im Einsatz zu sein.

Können Unternehmen dabei helfen?

Entscheidend ist, die Kommunikation im virtuellen Raum aktiv zu gestalten, um keinen zu verlieren. An unserem Institut probieren wir vieles aus – auch im Hinblick darauf, ob es sich auf Unternehmen übertragen lässt. Zu Beginn des Studiums durchläuft zum Beispiel jeder ein Assessment, in dem wir uns ein Bild der Persönlichkeit machen. Dabei achten wir darauf, wie viel Berufserfahrung jemand schon hat oder wie entscheidungsfreudig er oder sie ist. Wir besprechen mit den Studierenden, ob sie sich in unserer Analyse wiedererkennen, und passen diese gegebenenfalls an. Dann stellen wir Online-Lerngruppen so zusammen, dass die Teams möglichst vielfältig sind. In Präsenz passiert es leicht, dass man Kontakt zu denen sucht, die einem selbst ähneln. Es ist aber erwiesen, dass diverse Teams durch die unterschiedlichen Perspektiven oft zu besseren Lösungen kommen.

Lief die Kommunikation an dem von Ihnen gegründeten Institut von Anfang an rund?

Nein. Anfangs haben wir uns über so viele Kanäle ausgetauscht, dass es unübersichtlich wurde – sowohl unter den Studierenden als auch unter den Mitarbeitern. Also haben wir besprochen, wann wir E-Mails brauchen, wann Chats und wann Zoom-Meetings. Wenn wir etwa wissenschaftliche Artikel diskutieren wollen, ist jetzt klar, wo der Raum dafür ist. Das halte ich für sehr wichtig beim hybriden Arbeiten. Man darf nicht denken, die Kommunikation werde sich schon irgendwie ergeben, sondern man muss die neue Arbeitssituation immer wieder zum Thema machen.

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Wie sind Sie erreichbar?

Ich rufe meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter regelmäßig an, einfach nur, um zu fragen, wie das Wochenende war oder was sie in den nächsten Tagen vorhaben. Genauso dürfen alle auch mich anrufen. Anders ist es an Hochschulen, die Präsenz fordern. Dort besuchen etwa diejenigen, die gerade ihre Bachelor- oder Masterarbeit schreiben, in der Regel nur gelegentlich die Sprechstunde des Betreuers. Da wir an meinem Institut ohnehin virtuell im Austausch sind, bin ich auch zwischendurch erreichbar, wenn jemand an einer Stelle nicht weiterkommt oder Ängste hat.

Wird Ihnen das nicht zu viel, wenn Sie ständig erreichbar sind?

Ich betreue nur etwa zehn Arbeiten im Semester, da ist eine individuelle Betreuung möglich. Und freitags will ich nicht gestört werden, das wissen alle.

Das Unternehmen Qiagen, bei dem Sie Personalleiterin waren, hat heute rund 6.000 Beschäftigte. Durften die Sie auch alle anrufen?

In größeren Organisationen verlagert sich der Fokus der Kommunikation selbstverständlich auf die einzelnen Teams.

Wie funktioniert das in Zeiten, in denen viele Unternehmen Hierarchien abbauen?

Es müssen nicht immer Führungskräfte sein, die Kommunikation in der hybriden Arbeitssituation gestalten, das können auch Beschäftigte untereinander tun. Kürzlich habe ich bei Qiagen, wo die Hierarchien eher flach sind, als Beraterin ein Projekt durchgeführt. Dabei kam heraus, dass viele Beschäftigte mehr darüber lernen wollen, wie man lateral führt, also auf gleicher Hierarchiestufe.

Was sind typische Fehler beim hybriden Arbeiten?

Ich hatte in meiner Zeit bei Qiagen ein kleines Team am Standort in Hilden bei Düsseldorf, viele Beschäftigte arbeiteten in anderen Ländern. Anfangs haben wir uns als Kernteam im Konferenzraum zusammengesetzt und die anderen virtuell zugeschaltet. Es stellte sich heraus, dass das die schlechteste Variante war, weil das Team vor Ort sich während der Meetings nebenbei unterhielt und auch sonst eng zusammenklüngelte. Die externen Kolleginnen und Kollegen entfernten sich dadurch immer weiter. Also haben wir sowohl Konferenzen als auch informelle Runden rein virtuell veranstaltet, damit alle die gleichen Bedingungen haben. Das hat viel besser funktioniert.

Auf welchem Kanal teilt man persönliche Probleme?

Wenn jemand krank ist oder sich vom Partner getrennt hat, bespricht man das am besten in Präsenz. Das gilt auch für Konflikte. Insofern ziehe ich hybride Arbeitsmodelle dem reinen Homeoffice vor. Manche Themen kann man einfach nur besprechen, wenn man voreinander steht. ---

Katrin Winkler

ist pädagogische Psychologin und Professorin für Personalmanagement und Führung an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Kempten. Seit Herbst 2021 leitet sie zudem die Kempten Business School. An der Hochschule hat sie auch das Institut für digitale Transformation in Arbeit, Bildung und Gesellschaft aufgebaut. Bis 2009 war sie Leiterin der Personal- und Organisationsentwicklung bei dem Medizintechnik-Unternehmen Qiagen.