TO DO: Die Welt retten

Die neue Gründerzeit beginnt mit einer neuen Generation Start-ups. Sie wagen sich auf die ganz großen Baustellen.





Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 03/2024.

• Unsere bisherige Art des Wirtschaftens stößt an ihre planetarischen Grenzen. Fünf Branchen, die sich dringend verändern müssen – und Start-ups, die daran arbeiten.

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Verpackungsindustrie

Die Menge an Kunststoffabfall durch Verpackungen hat sich in Deutschland in den vergangenen 20 Jahren mehr als verdoppelt. 1995 waren es 1,6 Millionen Tonnen, 2021 schon 3,2 Millionen. So entsteht immer mehr nicht biologisch abbaubarer Müll. Weltweit landen pro Minute fast zwei Lkw-Ladungen Plastik im Meer.

Baubranche

Laut der Internationalen Energieagentur verbraucht dieser Sektor weltweit rund 40 Prozent aller Rohstoffe und aller Energie und ist einer der Hauptverursacher von CO2-Emissionen. Ein Wandel ist angesichts des weltweiten Bau-Booms nicht in Sicht.

Verkehr

333.000 Stunden standen Menschen in Deutschland im Jahr 2022 im Stau, ermittelte der ADAC. Die Autobahnen und Städte sind voll mit Autos, die Abgase und Feinstaub in die Luft pusten. Drei Jahre in Folge ist durch den Verkehr mehr als die gesetzlich erlaubte Höchstmenge an Kohlenstoffdioxid (CO2) freigesetzt worden.

Nahrungsmittelsektor

Die deutsche Landwirtschaft war 2021 für die Freisetzung von insgesamt 56,3 Millionen Tonnen an klimaschädigenden Gasen verantwortlich. Besonders die Viehwirtschaft hat einen hohen Ausstoß. Hinzu kommt Verschwendung: Jedes Jahr werden Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen.

Energie

2021 machten die energiebedingten Emissionen rund 84 Prozent der deutschen Treibhausgas-Emissionen aus. Keine Branche verursacht mehr. Akkus und Batterien verbrauchen zudem große Mengen wertvoller Rohstoffe.


Verpackungsindustrie

Notpla

Algen wachsen sehr schnell, benötigen weder Süßwasser noch Dünger und entsäuern die Meere. Die Londoner Pierre Paslier und Rodrigo Garcia Gonzalez entwickelten mit ihrer Firma Notpla aus Algen einen Plastikersatz. Der dünne, durchsichtige Film lässt weder Fett noch Wasser hindurch und ist biologisch abbaubar. Werden damit To-Go-Kartons für Essen beschichtet, können diese einfach recycelt werden, was bei Beschichtungen aus Plastik nur schwer möglich ist. Gemeinsam mit dem britischen Softgetränke-Hersteller Lucozade ersetzte die Firma im Jahr 2019 beim London Marathon knapp 40.000 Plastikflaschen und -becher. Seit 2022 kooperiert sie mit dem niederländischen Lieferdienst Just Eat.

Woola

Überall in Europa gibt es noch kleine Betriebe, die Schafe zur Milch- und Fleischerzeugung oder Landschaftspflege halten – aber nur selten wegen der Wolle. Die Aufbereitung des Materials ist im Vergleich zu künstlichen Fasern teuer. Bis zu 90 Prozent der europäischen Schafwolle wird deshalb verbrannt oder vergraben – das sind rund 200.000 Tonnen pro Jahr.

Damit die Naturfaser nicht verschwendet wird, gründete Anna-Liisa Palatu 2019 in ihrer Heimat Estland mit zwei Mitstreitern Woola. Die Firma ersetzt Luftpolsterfolie aus Plastik mit einer Alternative aus Wolle. Nach eigenen Angaben hat Woola mittlerweile mehr als 32.000 Quadratmeter konventionelle Luftpolsterfolie ersetzt. Bis Ende 2023 warb das Start-up Investments in Höhe von 2,5 Millionen Euro ein. Der Folienersatz wird bereits bei großen Marken genutzt, etwa beim Luxuskonzern LVMH.

Weitere Firmen: Mushloop (Verpackungsmaterial aus Pilzmyzel), Nvirovate Materials (biologisch abbaubarer Klebstoff auf Sojaöl-Basis) und Hey Circle (Mehrwegversandverpackungen).


Baubranche

Wood Space

Ein fertiger Kindergarten nur drei Wochen nach erteilter Baugenehmigung? Das Start-up Wood Space aus Niederösterreich macht das mit Vorfertigung und Blockbauweise möglich. Die schlüsselfertigen Module bestehen zu 90 Prozent aus heimischem Fichtenholz. Man kann daraus ein kleines Gästehaus bauen, aber auch mehrstöckige Büro- oder Hotelgebäude.

Die Blockhäuser brauchen nicht einmal ein Betonfundament, sondern können per Schraubfundament im Boden verankert werden. So verhindern sie die sonst übliche Bodenversiegelung. Holz wächst zudem regional nach, ist abbaubar; und statt Unmengen an CO2 auszustoßen wie bei der Produktion herkömmlicher Bauelemente, bleibt dieses bei der Holzbauweise im Material gebunden.

Der Wagniskapitalgeber Whataventure aus Wien hält die Mehrheit der Firmenanteile, auch eines der größten österreichischen Holzbauunternehmen, die Rubner Gruppe, ist an Wood Space beteiligt.

Sonocrete

Klimafreundliche Alternativen zu Zement gibt es zwar, sie trocknen aber deutlich langsamer. Deswegen kommen sie kaum zum Einsatz.

Sonocrete will das ändern. Seit 2018 arbeitet die Firma mit Betonwerken in ganz Deutschland zusammen. Der Bauingenieur Ricardo Remus und die Zement-Chemikerin Christiane Rößler haben ein Verfahren entwickelt, bei dem sie mit Ultraschallwellen den vorgemischten Zement behandeln, damit dieser auf der Baustelle schneller trocknet. Das ermöglicht den Einsatz von klimafreundlicheren Betonen. Die Sonocrete-Anlage kann in den Betonwerken an die Produktion angedockt werden.

Das Unternehmen hat den Brandenburger Innovationspreis 2023 gewonnen und am neuen ICE-Instandhaltungswerk der Deutschen Bahn in Cottbus mitgewirkt – was Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Eröffnung lobte.

Weitere Firmen: Concular (zirkuläres Bauen; siehe Seite 80), Restado (Verkaufsplattform für Baumaterialreste), Fenx (Dämmplatten aus Bauschutt).


Energie

Shit2Power

Weltweit werden nur rund 20 Prozent des Abwassers geklärt, in Deutschland sind es hingegen mehr als 96 Prozent, was rechtlich vorgeschrieben ist. Schmutzwasser aufzubereiten ist aufwendig, teuer und oft unwirtschaftlich. Also übernehmen die Kommunen diesen Job und geben teilweise bis zu 60 Prozent ihres Jahreshaushalts für Klärwerke aus. Diese sind für ein Prozent des Energieverbrauchs hierzulande verantwortlich.

Dabei steckt in den Fäkalien noch eine ganze Menge Energie. So viel, dass der Schlamm, der als Abfallprodukt beim Klären entsteht, noch 1,3- bis dreimal so viel Energie enthält, wie für den gesamten Klärprozess nötig ist. Trotzdem wird er meist über weite Strecken transportiert und in großen Anlagen verbrannt.

Das Start-up Shit2Power nutzt die Energie hingegen lokal und hat Container entwickelt, die direkt am Klärwerk durch einen thermochemischen Vergasungsprozess aus dem Schlamm grünen Wasserstoff gewinnen. Nützlich sind die stapelbaren Anlagen besonders für Kommunen mit bis zu 30.000 Einwohnerinnen und Einwohnern, da diese meist keine Möglichkeit haben, den Schlamm selbst vor Ort zu verwerten. Mit den Containeranlagen können solche Kleinstädte ein Drittel ihres Energiebedarfs decken.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz sieht Potenzial in dieser regionalen Energieproduktion und hat das Start-up 2023 mit seinem Gründungspreis ausgezeichnet.


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BeFC

Menschen sind ihre eigenen kleinen Kraftwerke. Der Körper produziert Energie aus Sauerstoff und Glukose, die wir aus der Nahrung gewinnen. Ein beeindruckender Prozess, fanden die Gründer von BeFC und ließen sich zu einer umweltfreundlichen Batterie-Alternative inspirieren. Denn die Chemikalien in herkömmlichen Batterien sind extrem umweltschädlich.

Die BeFC-Alternative soll beispielsweise Miniaturbatterien in Einmalgeräten ersetzen, die oft fest verbaut sind und mit dem Gerät im Restmüll landen. Dies ist etwa bei elektronischen Schwangerschaftstests der Fall. Mit einem solchen erprobten die französischen Gründer ihre Idee. Mit Erfolg: Die biologisch abbaubaren Brennstoffzellen aus Papier und Kohlenstoff wandeln Glukose und Sauerstoff mithilfe von Enzymen in Strom um. So können sie kleine Geräte betreiben. Die Batterien kommen unter anderem in medizinischen Sensoren bereits zum Einsatz.

In den knapp vier Jahren seit der Gründung hat das Unternehmen 19 Millionen Euro Kapital eingeworben.

Weitere Firmen: 1Komma5Grad (Erneuerbare Energiesysteme und Energiemanagement aus einer Hand; siehe Seite 34), Roofit Solar (Dächer mit integrierten Solarpaneelen), Enpal (Solaranlagen zum Mieten).


Verkehr

Onomotion

Lieferanten und Handwerker haben es nicht leicht im Stadtverkehr. Die großen Fahrzeuge finden selten eine Parklücke, umweltfreundlich sind die Transporter und Klein-Lkw auch nicht.

Die Firma Onomotion hat ein überdachtes E-Lastenrad namens Ono entwickelt. Es ist mit austauschbaren Container-Modulen ausgestattet, die bis zu 200 Kilogramm transportieren können. Handwerker können die Container unterschiedlich bestücken und sie dann schnell austauschen.

Ein weiterer Vorteil: Für Lastenräder braucht es keinen Führerschein. So können auch Azubis oder Menschen ohne Führerschein solche Jobs erledigen. Paketdienstleister wie GLS, DPD und UPS setzen bereits auf Ono.

Plan4Better

Die Firma aus München will ökologische Stadtplanung vereinfachen. Die Gründer Ulrike Jehle, Elias Pajares und Majk Shkurti setzen auf digitale Zwillinge und Simulationen.

Soll zum Beispiel ein Bikesharing-Netz aufgebaut werden, können die Verantwortlichen mit dem digitalen Zwilling verschiedene Standorte testen und sehen, wie viele Menschen das Angebot an dieser Stelle realistisch erreicht. Das Unternehmen greift auf interaktive Karten zurück, die mit zahlreichen Daten zu Bevölkerung, Verkehr und Umfragewerten unterfüttert sind.

Die digitalen Zwillinge von Plan4Better sind bereits in den Metropolregionen Frankfurt-Rhein-Main und Rhein-Neckar sowie in Städten wie München, Aachen und Freiburg im Einsatz.

Weitere Firmen: Brive (App als Anreiz für umweltfreundlicheres Fahrverhalten), Easymile (selbstfahrende Kleinbusse und andere Fahrzeuge).


Lebensmittel/Landwirtschaft

Freshflow

Tonnen von Lebensmitteln landen jährlich in Deutschland im Müll – oft, weil im Einzelhandel zu viel eingekauft oder zu wenig verkauft wurde.

Die beiden IT-Fachleute Carmine Paolino und Avik Mukhija gründeten Freshflow 2021. Sie nutzen maschinelles Lernen, um aus vergangenen Umsätzen zu lernen und die nächsten zu prognostizieren. Dabei bezieht die KI unter anderem das Wetter, Feiertage und die Haltbarkeit der Waren ein.

Mehrere Investoren und der Klima-Fonds World Fund haben insgesamt 1,7 Millionen Euro investiert. Seit Kurzem nutzt der Großmarkt Metro die Freshflow-KI.

Greenforce

Teewurst, Frikadellen, Joghurt und Rührei aus der Tüte? All diese Lebensmittel produziert Greenforce aus München vegan und als Trockenware. Die Kunden müssen nur noch Wasser und manchmal etwas Öl zugeben.

Die Produkte sind lange haltbar, müssen nicht gekühlt werden, und das Produktgewicht ist deutlich geringer als das frischer Lebensmittel, spart also Transportkosten. Fleischersatz ist generell gefragt: Laut dem Statistischen Bundesamt produzierten Unternehmen hierzulande im Jahr 2022 rund 73 Prozent mehr davon als 2019.

Obwohl Greenforce erst im Jahr 2020 gegründet wurde, soll das Unternehmen bereits achtstellige Umsätze erzielen. Zudem ist es laut dem Marktforschungsinstitut IRI „die am schnellsten gewachsene Marke im pflanzlichen Fleischalternativsektor“.

Weitere Firmen: Farminsect (lokale Futterproduktion mit Insekten), Nerit’e (Bodenschutz dank Überwachung). ---


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