DeepL

Die Übersetzungs-Software des Kölner Unternehmens DeepL ist seit der Gründung 2017 vom Geheimtipp zum Standard für viele geworden. Was lässt sich von der Firma lernen, die mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet wird?





Übersetzung von DeepL teilweise in mehreren Varianten

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• Zu den kleinen Urlaubsfreuden gehörten jahrzehntelang die ungelenken Übersetzungen mancher Speisekarten. Aus Penne all’arrabbiata wurde „Penne mit Wut“, aus Pizza Quattro Stagioni eine „Pizza vier Bahnhöfe“.

Wenn solche Preziosen nach und nach verschwinden, dann dürfte das auch an einer Firma aus Köln-Ehrenfeld liegen. DeepL, 2017 aus dem Online-Wörterbuch Linguee hervorgegangen (siehe Infokasten unten), ist mit seinen KI-Übersetzungen erfolgreich geworden. Die Website gehört zu den hundert beliebtesten der Welt. Zu den inzwischen mehr als 100.000 Firmenkunden weltweit zählen Fujitsu, Elsevier, Nikkei, Beiersdorf und die Deutsche Bahn und etliche Regierungsorganisationen. Seit einer Finanzierungsrunde im Januar 2023 ist das Unternehmen DeepL SE mehr als eine Milliarde Dollar wert – auch wenn der Gründer Jaroslaw „Jarek“ Kutylowski über die Details des Deals schweigt. Welche Lehren kann man aus der Erfolgsgeschichte ziehen?

Sei so gut, dass die Menschen von dir erzählen

Manche erinnern sich vielleicht an den Moment, als sie um die Jahrtausendwende vor einer Suchmaschine wie Altavista oder Lycos saßen und unzufrieden auf deren Ergebnisse starrten. „Probier mal Google!“, sagte dann jemand. „Die sind irgendwie besser.“ Die meisten suchten danach nie wieder anders. Mit DeepL war es ähnlich. Die Übersetzungen dieses Anbieters waren – zumindest anfangs – qualitativ deutlich besser. Das lag unter anderem daran, dass DeepLs Übersetzungen auf hochwertigeren Trainingsdaten basierten. Aber auch daran, dass dank neuronaler Netze mehr Kontext in die Übersetzungen einfloss. Wo viele andere Programme Wörter einzeln übersetzten, analysierte DeepL ganze Abschnitte.

Konzentriere dich aufs Wesentliche

Von außen betrachtet, ist es schwer zu erklären, warum DeepL so gut funktioniert. Jarek Kutylowski hat seine Firma zu einer Blackbox gemacht. Fragen nach Unternehmenszahlen oder der groben Funktionsweise der Algorithmen, mit denen DeepL arbeitet, beantwortet er stoisch: „Dazu kann ich wirklich nichts sagen.“ Das fällt besonders auf, weil viele andere Start-ups mehr reden als leisten.

DeepL flog lange unter dem Radar. Kutylowski stellte sich nicht auf die Bühnen von Tech-Konferenzen, um Keynotes zu halten. „So etwas zieht einfach extrem viel Zeit“, sagt er im Interview in den hellen, zweckmäßigen Räumlichkeiten in einem Businesspark in Köln-Ehrenfeld. Nebenan ist ein Autohändler, über die Straße eine Firma für Lochbleche. Viele andere Tech-Firmen wollen möglichst repräsentativ residieren, wollen beeindrucken. DeepL will vor allem was geschafft bekommen, so wirkt es.

Doch nun muss Kutylowski den Tarnmodus verlassen: „Anfangs hat es gereicht, dass wir durch unser Produkt überzeugt haben“, sagt er. „Doch jetzt müssen wir als Firma sichtbarer sein.“ Zum einen für die zurzeit gut 750 Beschäftigten, die immer mehr werden. Zum anderen verlangen Firmenkunden eine gewisse Seriosität und Transparenz und wollen nicht Hunderttausende Euro für Lizenzen an eine Hinterhofbude überweisen, die niemand kennt.

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Jarek Kutylowski, Bild: DeepL

Achte auf dein Produkt …

Es ist nicht so, dass in Deutschland niemand etwas von Computern verstünde. Gerade zu künstlicher Intelligenz gibt es exzellente Forschung. „Das Problem ist aber, dass aus der deutschen Forschung heraus zu selten gegründet wird“, sagt Marcel Weiß, ein unabhängiger Analyst, der auf Neunetz.com seit bald 20 Jahren die Digitalwirtschaft beleuchtet. „Und bei den wenigen Ausgründungen wird oft zu wenig auf Nutzerfreundlichkeit und ein wirklich intuitives, reibungsarmes Produkt geachtet.“

Bei DeepL ist das anders: Die Website ist minimalistisch aufgebaut und dadurch sehr schnell. Es gibt Apps für die meisten Betriebssysteme und Integrationen für Microsoft Office, Google Workspace und viele Browser. „Alles funktioniert einfach, und die Übersetzungen erscheinen quasi sofort“, sagt Weiß. „Wie viel Gedanken sich die Firma über ihre Nutzerfreundlichkeit macht, merkt man an Kleinigkeiten, zum Beispiel dem Command-Doppel-C-Shortcut, der wahnsinnig praktisch ist.“ Gemeint ist: Wir alle haben gelernt, mit Command-C beziehungsweise Steuerung-C Text zu kopieren. Wer die DeepL-App installiert hat und noch ein zweites Mal das C drückt, erhält direkt die Übersetzung des vorher markierten Textes. Auch praktisch: Ein Auswahlfenster in der Pro-Version ermöglicht es, in Sprachen wie Deutsch oder Französisch zwischen formellem „Sie“ und informellem „Du“ zu wechseln.

..., aber vernachlässige nicht die Forschung

„Ich glaube an den Ansatz von Product-Led Growth“, sagt Kutylowski. „Also daran, statt Unsummen in Marketing zu stecken, lieber kontinuierlich das Produkt zu verbessern, damit es immer mehr Menschen immer öfter nutzen wollen.“ Trotzdem sei es wichtig, die Balance zu wahren und auch die Grundlagenforschung nicht zu vernachlässigen. „Wir setzen uns jedes Jahr Unternehmensziele und achten dabei streng darauf, dass diese sich gleichmäßig verteilen“, sagt der Unternehmer. „Das Produkt muss besser werden, klar. Aber wir setzen uns auch im Vertrieb neue Ziele. Und wir investieren bewusst weiter viel Geld, Zeit und Energie in die KI-Forschung, vor allem im Bereich neuronaler Netzwerke.“

Hab keine Angst

Als DeepL 2017 auf den Markt kam, gab es den Google Übersetzer schon seit mehr als zehn Jahren. Sich auf ein Feld zu begeben, auf dem bereits eines der wertvollsten Unternehmen der Welt tätig ist? Und bei dem der Erfolg vor allem von Daten abhängt, von denen wohl niemand so viele besitzt wie Google? Die meisten wären vor diesem Risiko zurückgeschreckt. Kutylowski witterte eine Chance. „Was wir mit DeepL machen, wurde erst 2017 durch die Fortschritte bei der Rechenpower und Forschung zu Deep Learning und neuronalen Netze überhaupt möglich“, sagt er. „Wir hatten für einen Moment also gleiche Voraussetzungen wie Google oder vielleicht sogar einen minimalen Vorsprung.“

Füttere Kunden clever an

Während der DeepL-Vorgänger Linguee werbefinanziert war, setzte DeepL von Anfang an auf ein sogenanntes Freemium-Modell. Die Grundversion ist kostenlos und für alle zugänglich – nur so kann es zu einer Lawine von Weiterempfehlungen kommen. Doch wer mehr als 5.000 Zeichen auf einmal oder ganze Dokumente übersetzen will, braucht ein Pro-Konto für 9 bis 60 Euro pro Monat. Je nach Preis sind darin noch Glossare (zum Beispiel für Fachbegriffe oder Produktnamen) und eine Verwaltung für Teams enthalten.

Texte von Bezahlkunden werden außerdem sofort nach der Übersetzung aus Sicherheits- und Compliance-Gründen wieder von den DeepL-Servern gelöscht. „Die Grenze zwischen gratis und kostenpflichtig zu ziehen ist immer eine Herausforderung, und DeepL hat das gut gelöst“, sagt Marcel Weiß. „Man kann es gratis ausführlich genug nutzen, um sich von der Qualität zu überzeugen. Aber man bekommt als Pro-Nutzer auch genug relevante Extras, damit sich das Bezahlen lohnt.“ Auf Werbeeinblendungen auf der Website verzichtet DeepL, auch wenn sich damit wegen der Millionen Besucherinnen und Besucher einiges verdienen ließe. Aber diese zu Abos zu bewegen geht vor.

Wachse mit Bedacht

Während Google Translate schnell eine riesige Auswahl an Ausgangs- und Zielsprachen anbot, wächst DeepL strategisch. Anfangs lag der Fokus auf europäischen Sprachen, dann kamen nach und nach ausgewählte aus aller Welt hinzu. „Wir achten natürlich darauf, welche Sprachen von wie vielen Menschen gesprochen werden“, sagt Kutylowski. „Aber für uns ist auch relevant, wie viele Geschäftsbeziehungen in einer Sprache existieren. Da Firmenkunden unsere wichtigste Umsatzquelle sind, sind starke Exportländer für uns zum Beispiel bedeutsamer.“

Auch die durchschnittlichen Fremdsprachenkenntnisse eines Landes seien ein wichtiger Faktor. Je schwerer sich die Einwohnerinnen und Einwohner mit Fremdsprachen tun, umso wichtiger wird ein Tool wie DeepL. Beispiel Tokio: Dort ist die Übersetzungsseite extrem populär, das vergleichsweise kleine Japan steuert mehr als zehn Prozent zum weltweiten Traffic des Dienstes bei. Im Juli 2023 eröffnete die Firma darum auch ein eigenes Büro in Japan. Andere gibt es in London, Amsterdam, Berlin, dem texanischen Austin und – der guten KI-Forschung wegen – in Paderborn. Kutylowski muss es wissen, hat er doch an der dortigen Universität in Informatik promoviert.

Ausblick

Selbst wenn DeepL vieles richtig gemacht hat, holt die Konkurrenz auf. Auch die Übersetzer von Google und Microsoft haben längst von Wort-für-Wort-Übersetzungen zu neuronalen Netzwerken gewechselt, die weniger Unsinn ausspucken. Und warum sollte man in Zukunft für etwas extra bezahlen, das man im Betriebssystem des Computers oder Smartphones inklusive hat und das genauso gut funktioniert?

„Betriebssysteme wie iOS, Windows oder Android haben immer den Vorteil, dass sie näher am Nutzer sind und eine Übersetzungsfunktion überall im System integrieren können“, sagt Marcel Weiß. Die Liste von Firmen, deren Ideen oder Dienstleistungen irgendwann ein weiteres Feature in den diversen Betriebssystemen waren, ist lang. Wer ein Lied erkennen wollte, brauchte früher die App Shazam, heute kann man auch einen Sprachassistenten fragen.

Es sei jedoch noch nicht klar, ob andere Dienste demnächst so hochwertig übersetzen wie DeepL, sagt Weiß. „Es kann sich durchaus lohnen, sich auf eine Sache zu fokussieren und dadurch der Konkurrenz immer qualitativ einen Schritt voraus zu sein. Trotzdem wird DeepL zeigen müssen, ob Übersetzungen wirklich ein eigenständiges Produkt sind – oder am Ende doch nur ein Feature.“

Dropbox oder Box.com sind Beispiele dafür, wie man seine Eigenständigkeit trotz wachsender Konkurrenz bewahren kann: Mittlerweile bieten alle Betriebssysteme mit Google Drive über iCloud bis zu OneDrive eigene Cloud-Speicher an. Und doch sind die beiden Cloud-Pioniere putzmunter. Auch den Büro-Messenger Slack gibt es noch, obwohl Microsoft vor sieben Jahren mit Teams einen direkten Wettbewerber tief in seinem System verwurzelt hat.

Jarek Kutylowski wirkt nicht nervös. „Wir haben einen starken technologischen Fokus und sind nicht so leicht zu kopieren“, sagt er. „Außerdem sind wir durch unsere Browser-Plug-ins und Office-Integrationen auch von fast überall nur einen Klick entfernt.“ Vermutlich kann er nicht mehr zählen, wie oft er gefragt worden ist, wie viel Geld ihm Google, Apple oder Microsoft schon für seine Firma und seine Technik geboten haben. Die Antwort – begleitet von einem freundlich-bescheidenen Lächeln – ist aber stets dieselbe: Dazu könne er nun wirklich nichts sagen. ---

Die Kurze Geschichte von DeepL

2007: Der Mathematiker und ehemalige Google-Mitarbeiter Gereon Frahling entwickelt die Übersetzungs-Datenbank Linguee.

Oktober 2008: Gemeinsam mit Leonard Fink gründet er in Köln die Linguee GmbH.

August 2017: Ein Team aus der Firma stellt unter der Leitung des langjährigen Technikchefs Jaroslaw „Jarek“ Kutylowski den DeepL Translator vor.

März 2018: DeepL Pro wird veröffentlicht und ermöglicht zahlenden Abonnenten, längere Texte zu übersetzen und Zusatzfunktionen zu nutzen.

2018: Benchmark Capital, ein Risikokapitelgeber aus dem Silicon Valley, erwirbt eine Beteiligung von 13,6 Prozent an DeepL. Bei späteren Finanzierungsrunden werden keine Details zu Preis und Beteiligung genannt. Aber die Branche geht davon aus, dass das Unternehmen noch zu mehr als der Hälfte Kutylowski gehört.

Dezember 2018: Portugiesisch und Russisch werden als neue Sprachen hinzugefügt.

Juli 2019: Kutylowski wird Geschäftsführer der DeepL GmbH.

September 2019: DeepL-Apps für Microsoft Windows und MacOS werden veröffentlicht.

März 2020: Gereon Frahling, der bis dahin für DeepL noch an neuronalen Netzen geforscht hat, verlässt das Unternehmen.

März 2020: Chinesisch (vereinfacht) und Japanisch kommen hinzu.

2021 Kutylowski firmiert das Unternehmen in eine europäische Aktiengesellschaft (SE) um.

2022: Indonesisch, Türkisch und Ukrainisch kommen hinzu.

Jahreswechsel 2022/2023: Mit DeepL Write bietet die Firma ein Tool zur Verbesserung von englischen und deutschen Texten an.

2023: Das Unternehmen ist mit einer Milliarde Dollar eines der am höchsten bewerteten Tech-Unternehmen Deutschlands. Koreanisch und Norwegisch kommen hinzu.

Herbst 2023: Das Unternehmen ist mit einer Milliarde Dollar eines der am höchsten bewerteten Tech-Unternehmen Deutschlands. Koreanisch und Norwegisch kommen hinzu.

Januar 2024: DeepL führt mit Arabisch die fünfthäufigst gesprochene Sprache ein und die erste für das Unternehmen, die von rechts nach links geschrieben und gelesen wird.

So funktioniert DeepL
Zunächst werden die neuronalen Netze trainiert: Das System übersetzt Texte, die auch von Menschen übersetzt wurden, und vergleicht seine Ergebnisse mit den menschengemachten. Nach dem Prinzip des Machine Learning korrigiert es sich, wenn es falschliegt, und merkt sich, wenn es richtig übersetzt hat. Zudem arbeiten professionelle Übersetzer und Linguistinnen an der Verfeinerung mit. Daraus können mathematische Modelle gewonnen werden: Google Translate setzte für eine Weile auf ein Recurrent Neural Network (RNN). DeepL nutzte ein Convolutional Neural Network (CNN) – ob das heute noch so ist, gibt die Firma nicht preis. RNNs sind für Texte die naheliegende Wahl. CNNs werden eher zur Bildgeneration eingesetzt, können aber auch mit Texten arbeiten. Inzwischen gelten die sogenannten Transformer-Modelle als am besten geeignet, die etwa ChatGPT einsetzt. Diese können auch Bezüge zwischen Wörtern, die weit auseinanderstehen, erkennen, und liefern somit sinnvollere Ergebnisse.