Zweite Luft
Warum Durchhalten oft wichtiger ist als Disruption.
I see the carrot at the end of the tunnel.Stuart Pearce aka Psycho, Englischer Fußballer und Trainer
Was löst Transformationsprozesse eher aus: Krisen oder gute Ideen?
Notlagen machen genauso erfinderisch wie krisenlose, gute Ideen oder deren Verbindung – wie eine vegane Wurst, die eine ganze Branche verändern kann.
Können wir inzwischen Krise?
Zumindest gibt es immer mehr Anlässe und eine immer intensivere Forschung zu dem Thema. Dabei wird zwischen einer eher reagierenden Vermeidungstaktik und einer aktiven Entwicklungstaktik unterschieden. Weitgehende Einigkeit besteht, dass in der Krise motivierende, chancenorientierte Kommunikation erfolgreicher ist als eine warnende.
Was heißt das für die Führung?
Die mitunter ohnehin schon modisch anmutende Teamorientierung weicht gerade in Krisensituationen einer resonanten Re-Hierarchisierung, die aktivierend, fordernd und fördernd ist – mit einem klaren „tone from the top“!
Bewältigen weibliche Führungskräfte schwierige Zeiten besser als männliche?
Methodisch ist das schwer zu beantworten, weil es keine Vergleichsmöglichkeit für eine konkrete Situation gibt.
Der inzwischen verstorbene Bernard M. Bass hat als Ergebnis einer mehr als zwei Jahrzehnte dauernden empirischen Studie den Frauen – entgegen seinen Erwartungen – einen höheren transformationellen Führungsstil zugesprochen. Das lässt sich auch aktuell bei der Nachfolge durch Töchter in Familienunternehmen beobachten, etwa beim Outdoor-Ausrüster Vaude (siehe „Die Einsamkeit der Pioniere“, Seite 106) oder bei Managerinnen in ehemaligen Start-ups, die in der zweiten Phase aufräumen mussten, wie bei Ebay oder Meta Platforms.
Nach der Glasdecken-Theorie – der zufolge Frauen irgendwann nicht weiter in der Hierarchie aufsteigen – hat ein Team um Max Reinwald an der LMU München nun die Gläserne-Klippen-Theorie aufgestellt. Demnach scheitern Frauen an nicht von ihnen zu vertretenden Krisen. Aber dafür gibt es noch wenig Belege.
Die Zeiten der männlichen Helden an der Unternehmensspitze scheinen aber eher vorbei zu sein, trotz Elon Musk, Jeff Bezos oder auch einigen deutschen Familienunternehmern *. Und es gibt immer wieder Analysen etwa von McKinsey, dass gemischte Teams – sowohl beim Geschlecht wie bei der Ethnie – bessere Ergebnisse erzielen.
Warum misslingen Transformationen?
Meine These ist: Die Organisation sieht weniger als der Einzelne – und nur selten werden alle Beteiligte in den Prozess und die Ergebnisse einbezogen.
Disruption ist daher weniger eine schöpferische Zerstörung als eine Kognitionsstörung der Organisation. Wir nennen das einen Bias in der Wahrnehmung und Entscheidung. Unter anderem hat uns der israelisch-amerikanische Psychologe und Nobelpreisträger von 2002, Daniel Kahnemann, diese Störfaktoren nahegebracht. Vereinfacht lässt sich unterscheiden:
– Status-quo-Bias: Das haben wir schon immer so gemacht.
– Verfügbarkeits-Bias: Verfügbare Informationen werden wichtiger genommen als zu recherchierende.
– Bestätigungsfehler: Menschen überbewerten Informationen, die die eigenen Hypothesen bestätigen, und vermeiden kognitive Dissonanzen.
– Default-Effekt: Wir wissen nicht, ob sich Veränderungen auszahlen.
– Social Proof: Wird schon stimmen, weil es doch alle so (falsch) machen.
Wenn eine Transformation gelingen soll, müssen unterschiedliche Betroffenheiten und Geschwindigkeiten in der Organisation zugelassen werden. Die ganze Kunst besteht nach der Ansicht des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker darin, „das langfristig Notwendige kurzfristig mehrheitsfähig zu machen“.