Vier-Tage-Woche

Die Vier-Tage-Woche wird vielerorts diskutiert. Eine Firma im Spessart hat sie bereits eingeführt: Beim Messgeräte-Hersteller Wenzel hat das Produktionsteam immer ein langes Wochenende.




• Es riecht nach Regen am Bahnsteig von Wiesthal. „Liegt am Wald“, sagt Ute Adelmann. „Davon haben wir hier im Spessart viel.“ Sie lacht und führt zu ihrem Auto. Zwei Minuten Fahrt zur Firma Wenzel. Besucherausweis ist vorbereitet, Mittagessen steht bereit. Man merkt: Sie empfangen nicht zum ersten Mal Presse. Ja, die Anfragen häuften sich in letzter Zeit, sagt Adelmann, die Marketingleiterin. Diverse Journalisten wollten vorbeikommen. Nicht, um etwas über industrielle Messtechnik zu erfahren, das Geschäft der Wenzel Group. Sondern: wegen der Vier-Tage-Woche.

Das Unternehmen hat Anfang 2022 die wöchentliche Regelarbeitszeit von 37,5 auf 36 Stunden reduziert, verteilt auf vier Tage, bei vollem Lohnausgleich. In der Produktion mit rund 60 Beschäftigten ist freitags seitdem schon Wochenende, in den anderen Abteilungen legen die Teams den freien Tag individuell fest.

Regulär an vier statt an fünf Wochentagen zu arbeiten, darüber wird derzeit viel diskutiert. So sprach sich etwa SPD-Chefin Saskia Esken dafür aus, und auch die Gewerkschaft IG Metall drängt in Verhandlungen darauf. In Belgien gilt seit November 2022 ein Rechtsanspruch auf die Vier-Tage-Woche, allerdings mit weiterhin 40 Wochenarbeitsstunden. In Großbritannien testeten rund 60 Firmen sechs Monate lang ein Vier-Tage-Modell mit reduzierter Arbeitszeit. Ein ähnliches Pilotprojekt beginnt im Februar 2024 in Deutschland.

Für die Belegschaft bei Wenzel in Wiesthal ist die Vier-Tage-Woche längst Alltag. „Wir waren Trendsetter“, sagt Heiko Reinosch, 46, Teamleiter aus der Produktion. Bemerkenswert ist, dass sie das neue Arbeitszeitmodell ausgerechnet hier so früh eingeführt haben: in einem mittelständischen Familienunternehmen in einer ländlichen Region in Bayern. Und dann auch noch im produzierenden Gewerbe, dem oft Inflexibilität nachgesagt wird.

„Wir müssen den Leuten etwas bieten“, sagt Daniel Eisler, 46, Leiter der Personalabteilung, „um als Arbeitgeber attraktiv zu sein.“ Gerade in einer Branche, in der Fachkräfte rar sind: Wenzel stellt unter anderem Koordinaten- und Verzahnungsmessgeräte her. Das klingt nach Nischenprodukten, die Geräte sind aber unerlässlich in vielen Industriezweigen wie Luftfahrt, Autoindustrie oder Medizintechnik. Mit den Maschinen von Wenzel lassen sich Teile präzise ausmessen – seien es Turbinenschaufeln für Flugzeuge oder kleinste Bauteile in einem Thermomix.

Die Wenzel Group beschäftigt 522 Menschen, 305 davon in Wiesthal, die übrigen in Niederlassungen und Vertretungen in mehr als 50 Ländern weltweit. „Um unsere Mitarbeiter zu halten und neue zu gewinnen, mussten wir uns was überlegen“, sagt Eisler. „Als mittelständisches Unternehmen können wir keine horrenden Löhne zahlen.“ Der Standort ist auch nicht unbedingt ein Vorteil: Die nächstgelegene Großstadt, Hanau, liegt 50 Autominuten entfernt. In der Vier-Tage-Woche sah Eisler eine Möglichkeit, das Image der Firma zu verbessern.

„Während der Corona-Pandemie hatten wir in der Produktion gezwungenermaßen Kurzarbeit“, sagt er. „Am Ende haben sich viele gewünscht, die verkürzte Arbeitszeit beizubehalten.“ Um mehr Zeit zu haben für Familie, Ehrenämter, Fahrradtouren. Mehr Freizeit habe für die meisten im Team mehr Priorität gehabt als mehr Gehalt.

Also schlug Daniel Eisler der Geschäftsführerin Heike Wenzel im Oktober 2021 vor, auf eine Vier-Tage-Woche umzustellen. Ihm sei dabei wichtig gewesen, die Arbeitszeit insgesamt zu verkürzen – anders als beim belgischen Modell, bei dem an vier Tagen jeweils zehn Stunden gearbeitet wird. „Das ist in meinen Augen keine richtige Vier-Tage-Woche“, sagt Eisler. Die Beschäftigten bei Wenzel bekamen 1,5 Wochenstunden geschenkt – indirekt eine Lohnerhöhung um vier Prozent. Ausbezahlt in Zeit.

Damit die vier Arbeitstage nicht allzu lang werden, gehören kürzere Pausen zum Modell: Zuvor gab es eine Stunde Mittagspause, jetzt nur noch 30 Minuten. Das ist nach dem Arbeitszeitgesetz das vorgeschriebene Minimum. Reicht das? Reinosch aus der Produktion nickt: „Kurz eine rauchen, Kaffee trinken, was essen. Wer länger Pause machen möchte, kann ab- und wieder anstechen.“

Als Mitglied des Betriebsrats achtet er auf das Wohl des Teams. Anfängliche Bedenken wegen zu langer Arbeitstage hätten sich zerstreut. Er sagt: „Wir sind im Endeffekt von Montag bis Donnerstag nur eine halbe Stunde länger bei der Arbeit.“ Von 6 bis 15.30 Uhr. Der Freitag fühle sich so an wie ein gewonnener Tag.

Mit seinem Vorschlag war Eisler bei der Geschäftsführerin gleich auf offene Ohren gestoßen. „Geht nicht, gibt’s nicht“, sagt Wenzel. Die 52-Jährige sitzt in einem Konferenzraum mit dunklem Holztisch, Vitrine und einem Porträt von Wenzel Senior. „Das hat mein Vater schon immer gesagt. Und ich habe das aufgesaugt.“ Werner Wenzel gründete das Unternehmen 1968, seine Tochter, promovierte Wirtschaftsinformatikerin, ist seit 2018 die Geschäftsführerin.

„Ich würde nie pauschal sagen, dass eine Vier-Tage-Woche für jedes Unternehmen die beste Lösung ist“, sagt sie. Aber bei ihnen funktioniere es. „Wir haben kein Fließband, bei uns gibt der Mensch in der Produktion den Takt an. Und wenn man motivierter arbeitet, schafft man in kürzerer Zeit mehr.“


Für sie ist die Vier-Tage-Woche eine „Win-Win-Lösung“: die Firmenchefin Heike Wenzel. Heiko Reinosch, Teamleiter in der Produktion, freut sich über den freien Freitag

Aufwendige Umsetzung

In der Firma gibt es noch viel Handarbeit. Etliche Messmaschinen werden auf Basis von Granit gebaut, ein besonders hartes und langlebiges Material. Die großen Granitblöcke werden angeliefert, geschliffen und von Hand geläppt – das heißt: so bearbeitet, dass die Oberfläche keine Unebenheiten mehr aufweist. Außerdem muss das Team Rohstahl schneiden und schweißen, Kabelbäume und Steuerungselemente bauen, Teile montieren und die Maschinen transportbereit machen.

Als die Idee zu dem neuen Arbeitszeitmodell aufkam, habe Heike Wenzel im Bekanntenkreis erst einmal viele Zweifel gehört: Wie soll die Arbeit an vier Tagen zu schaffen sein? Kann man sich neun Stunden lang konzentrieren? Bleiben Aufträge nicht unerledigt? Aber sie war zuversichtlich: „Man muss Ideen einfach mal umsetzen.“

So einfach war es dann aber nicht, räumt sie ein. Die Personalabteilung musste mit allen Beschäftigten in Deutschland – nur dort gibt es die Vier-Tage-Woche – Einzelgespräche führen, denn es gab Klärungsbedarf. Viele habe etwa irritiert, dass im neuen Vertrag nicht mehr 30 Urlaubstage festgelegt waren, sondern nur noch 24 – die Anzahl der Urlaubstage war aber nur an die gesunkene Zahl der Arbeitstage angepasst worden.

Ein weiterer Punkt: Einige Beschäftigte hatten 40-Stunden-Verträge. Sie konnten entscheiden, ob sie diese behalten oder mit Lohnverzicht auf 37,5 Stunden reduzieren und dann auch 36 Stunden an vier Tagen arbeiten wollten. Anfangs seien viele bei 40 Stunden geblieben, doch: „Es gab Neid, wenn die einen früher ins Wochenende gingen“, sagt Wenzel. Mittlerweile seien auch viele der 40-Stündler auf das neue Modell umgestiegen.

Nach fast zwei Jahren ist Wenzels Fazit: „Die Vier-Tage-Woche ist eine Win-Win-Lösung für uns.“ Was konkret haben sie gewonnen?

Sie haben bereits ein brand eins Konto? Melden Sie sich hier an.

Wir freuen uns, dass Ihnen dieser Artikel gefällt.
Er ist Teil unserer Ausgabe Zeit

Mal ganz schnell entschleunigen.
Zum Weiterlesen wählen Sie eine dieser Optionen

brand eins 12/2023 (Digital)

6,30 € / einmalig
Meistgewählt

brand eins Abonnement

108,00 € / Jährlich

✓ Print-Ausgabe nach Hause geliefert
✓ Digital-Ausgabe, PDF und E-Book
✓ Zugriff auf das gesamte brandeins-Archiv inkl. Kollektionen
✓ Jederzeit kündbar

Sicher bezahlen mit
Weitere Abos, Schüler- & Studentenrabatte