Isabell Winkler im Interview

Warum warten wir nicht gern? Wieso scheint die Zeit umso schneller zu verfliegen, je älter man wird? Und der Rückweg immer kürzer zu sein als der Hinweg? Ein Gespräch mit der Psychologin Isabell Winkler.





Isabell Winkler, 46, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Forschungsmethodik und Evaluation an der Technischen Universität Chemnitz und hat über Zeitwahrnehmung promoviert. Sie arbeitet außerdem als psychologische Psychotherapeutin am Klinikum Chemnitz.

brand eins: Frau Winkler, haben wir Menschen ein natürliches Gespür für Zeit? Und was ist Zeit an sich?

Isabell Winkler: Die Wahrnehmung von Zeitdauern ist uns Menschen angeboren, genau wie die Wahrnehmung von Helligkeit oder Lautstärke. Schon Säuglinge können Unterschiede in Zeitdauern wahrnehmen und darauf reagieren. Die menschliche Zeiteinteilung in Stunden und Minuten oder einen Zeitpunkt wie zwölf Uhr mittags lernen Kinder ab dem Alter von etwa vier Jahren nach und nach zu verstehen. Bei der Frage, was Zeit an sich ist, wird es aber schnell philosophisch.

Eine Minute kann unterschiedlich lang sein, je nachdem ob man in einem spannenden Kinofilm oder in einer Eiswanne sitzt. Woran liegt das?

Dieses Geheimnis ist nicht vollständig gelöst, wir erforschen noch die kognitiven Prozesse, die da ablaufen. Die populärste wissenschaftliche Erklärung ist das sogenannte Attentional Gate Model. Es geht davon aus, dass wir Menschen einen Taktgeber besitzen, eine Art innere Uhr, die regelmäßig Signale abgibt. Die Zeit nehmen wir wahr, indem wir auf diese Takte achten und sie innerlich mitzählen.

Kann sich dieser Takt beschleunigen oder verlangsamen?

Ja, wenn wir uns in einem Zustand befinden, den die Forschung Arousal nennt. Das kann man mit Erregung übersetzen, also eine körperliche oder emotionale Aktivierung. Diese kann zum Beispiel entstehen, wenn wir Liegestütze machen oder uns erschrecken. In diesem Zustand beschleunigt der innere Taktgeber, und unsere innere Uhr produziert mehr Signale in der gleichen Zeitspanne.

Was heißt das für unser Empfinden?

Die Zeit kommt uns dadurch länger vor. Das kann man sich gut vorstellen, wenn man eine schwere Einkaufstüte die Treppe hochträgt oder unter einer eisigen Dusche steht. Da vergeht die Zeit eher langsam. Der innere Takt hat nichts mit unserem Puls zu tun. Das könnte man denken, weil der Puls beim Treppensteigen ansteigt. Aber wir konnten in Versuchen das Arousal erhöhen, ohne das Herz schneller schlagen zu lassen – der innere Takt erhöhte sich dennoch. Es gibt aber noch einen zweiten Faktor, der für unser Zeitempfinden wahrscheinlich noch wichtiger ist.

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