Zeitkonzepte

Jede Ära hat ihre eigenen Zeitkonzepte. Fünf Beispiele der Gegenwart.



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Eigenzeit

Was bedeutet es?

Der Begriff geht auf die österreichische Wissenschaftsphilosophin Helga Nowotny zurück. Damit sind Zeiträume gemeint, die ganz nach eigenen Wünschen gestaltet werden und die das Bedürfnis befriedigen, Zeit für sich selbst zu haben. In Abgrenzung zur Fremdzeit, die von Vorgesetzten, Kundschaft, Familie und anderen Dritten festgelegt und eingeteilt wird, kann die Eigenzeit – oder modern Me-Time – komplett selbstbestimmt verbracht werden. Ohne Ergebniszwang, ohne Selbstoptimierung, ohne Rechenschaftspflicht.

Wer sagt es wann?

„Jetzt erst mal eine Runde Me-Time!“ – Der gestresste Student, bevor er sich aufs Sofa wirft und eine Runde „Candy Crush Saga“ auf dem Smartphone zockt.

Nicht verwechseln mit:

Eigenheim – denn zumindest, wenn man dieses selber baut, geht die Eigenzeit für ein paar Jahre erst einmal gegen null.

Facetime

Was bedeutet es?

Zeit, die von Angesicht zu Angesicht verbracht wird. Diese wird als wertvoller erachtet als Telefonate oder Zeit, die in E-Mails oder Messenger-Nachrichten investiert wurde. Interessant: Ob dabei wirklich ein Ergebnis erzielt wurde oder die Zeit angenehm war, ist weniger wichtig als der Vorgang an sich.

Facetime kann einerseits Pflichterfüllung sein – zum Beispiel wenn man sich mal wieder bei einem wichtigen Auftraggeber persönlich sehen lassen muss. Sie kann aber auch als Privileg verstanden werden, zum Beispiel wenn man eine persönliche Audienz bei der Chefin erhalten hat, die nicht für jeden Zeit findet.

Wer sagt es wann?

„Der Müller hat immer so dermaßen viel Facetime beim Vorstand – kein Wunder, dass der mit allem durchkommt.“ – Neidische Kollegen, die auf ihre Anfragen an die Chefetage nur selten eine Antwort erhalten.

„Wenn wir das Budget noch mal nachverhandeln wollen, dann sollten wir aber dem Kunden vorher noch ein bisschen Facetime bieten.“ – Der abgebrühte Berater, der längst den Glauben daran verloren hat, dass er den Firmen, die er berät, wirklich weiterhelfen kann.

Nicht verwechseln mit:
Facetime – der gleichnamigen iPhone-App. Denn auch ein Video-Anruf ersetzt kein persönliches Gespräch.

Fokuszeit

Was bedeutet es?

Wegen ständig aufpoppender E-Mails, Slack-Benachrichtigungen und Messenger-Mitteilungen kommen manche Menschen nicht mehr zum Arbeiten. Was ihnen helfen kann: Fokuszeiten in den Tagesablauf einzuplanen. In diesen Zeitfenstern wird dann konzentriert gearbeitet, E-Mail- und Messenger-Programme sind geschlossen, das Smartphone und diverse Profile auf „nicht stören“ gestellt. Alle Ansprechpartner sollten über diese Fokuszeiten informert werden, zum Beispiel durch Ansagen auf dem Anrufbeantworter oder in der E-Mail-Signatur.

Wer sagt es wann?

„Meine Fokuszeit ist vormittags von 10 bis 11 und nachmittags von 14 bis 16 Uhr. In dieser Zeit gehe ich nicht ans Telefon und beantworte keine Nachrichten. Ich danke dir für dein Verständnis. Es ist total okay, wenn du andere Arbeits- und Fokuszeiten hast als ich.“ – E-Mail-Signatur eines modernen HR-Mitarbeitenden.

Nicht verwechseln mit
»Focus Money« – der Zeitschrift mit dem ewig gleichen Anlagetipp: „Jetzt Gold kaufen!“

Quality Time

Was bedeutet es?

Der Begriff stammt aus den USA; die deutsche Entsprechung Qualitätszeit hat sich bislang kaum durchgesetzt. Man versteht darunter Zeit, die man mit der Partnerin oder dem Partner, den Kindern oder im Freundeskreis verbringt und unbedingt mit angenehmen gemeinsamen Aktivätiten füllen sollte. Also nicht zusammen Besorgungen machen oder nebeneinander auf der Couch sitzen, aber getrennt voneinander im Netz unterwegs sein. Quality-Time ist gewissermaßen Me-Time mit anderen.

Wer sagt es wann?

„Es reicht nicht, wenn du Finn immer nur am Wochenende zum Fußballtraining fährst und wieder abholst. Ihr müsst auch mal richtige Quality Time miteinander verbringen!“ – Die enttäuschte Mutter, die sich wünscht, dass ihr Ex-Mann sich ein bisschen mehr für das gemeinsame Kind interessiert.

Nicht verwechseln mit:
Quality Street – eine Konfektmischung aus „einzeln verpackten Köstlichkeiten“ in einer lila Metalldose.

Auszeit

Was bedeutet es?

Der Begriff Auszeit (Time-out) stammt aus dem Sport. Beim American Football, Basketball, Eishockey oder Handball können Mannschaften um kurze Spielunterbrechungen bitten, etwa um sich zu besprechen und die Taktik zu ändern. Im Berufsleben ist mit Auszeit oft ein längerer Sonderurlaub oder ein Sabbatical gemeint. Dabei folgt in der Regel nach mehreren Jahren Vollzeitarbeit eine Teilzeitarbeit oder Freistellung von bis zu einem Jahr.

Dieses Modell, ursprünglich als Forschungs- oder Freisemester angelegt, ausgehend von US-Universitäten, hat sich auch in Unternehmen etabliert. Bei der Umsetzung gibt es verschiedene Modelle: Beim Arbeitszeitguthaben werden Überstunden angespart und im Sabbatical verbraucht. Beim Wertguthaben kann auch Geld (Boni, Weihnachtsgeld etc.) angespart werden, das die Firma dann im Sabbatical als Gehalt auszahlt.

Wer sagt es wann?
„Bei uns in der Firma jagt ein stressiges Großprojekt das nächste – wenn ich nicht bald ein Jahr Auszeit nehme, rausche ich direkt ins Burnout.“ – Erschöpfter Mitarbeiter, der sich dann doch nicht traut, den Chef um ein Sabbatical zu bitten.

Nicht verwechseln mit:
Unzeit – auch wenn es natürlich gut sein kann, dass die Frage nach einer beruflichen Auszeit mit einem „Na, der Wunsch kommt aber gerade zur Unzeit!“ beantwortet wird. ---


„Jetzt erst mal eine Runde Me-Time!“

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