Arbeitsmarktservice Steiermark

Beim Arbeitsmarktservice Steiermark herrschte schlechte Stimmung. Dann kam das Werteprojekt. Über den Versuch, gegenseitigen Respekt zu trainieren.





• Muss das sein? Wozu brauchen wir das? Wäre nicht etwas anderes wichtiger? Solche Fragen bekam Christina Lind zu hören, als sie vorschlug: „Lasst uns ein Werteprojekt machen.“ Ihre Leute hätten unnötige Mehrarbeit befürchtet, in einer ohnehin schon stressigen Zeit. „Aber das Werteprojekt musste sein.“ So erzählt Lind es an diesem Vormittag, sechs Jahre nach ebenjenem Projekt.

Sie sitzt in ihrem Büro in einem sechsstöckigen Nachkriegsbau in Graz, der zweitgrößten Stadt in Österreich, 300 000 Einwohnerinnen und Einwohner. „Das Haus steht unter Denkmalschutz. Auch wenn es nicht danach aussieht“, sagt sie. In dem tristen Klotz ist die Landesgeschäftsstelle des AMS Steiermark untergebracht. Christina Lind, 62, ist die stellvertretende Landesgeschäftsführerin. Das (so lau- tet die österreichische Bezeichnung) AMS (Arbeitsmarktservice) ist das österreichische Pendant zur Bundesagentur für Arbeit – es vermittelt Arbeitssuchende, zahlt Weiterbildungen, berät Firmen.

Obwohl es sich streng genommen nicht um ein Amt im herkömmlichen Sinne handelt, sondern um ein Dienstleistungsunternehmen, ist die Landesgeschäftsstelle Graz doch ein Ort mit klassischem Behörden-Flair. Im Treppenhaus hängt die Hausordnung, im Sitzungssaal steht ein Schnurtelefon auf der Fensterbank.

„Vor ein paar Jahren war die Stimmung im Team schlecht“, sagt Lind. Um 2015 herum seien die Arbeitslosenzahlen und damit die Anforderungen gestiegen. Die öffentlichen Debatten über die vielen Geflüchteten hätten etliche erwerbslose Menschen verunsichert und in Existenzangst versetzt, das habe sich in der Beratung gezeigt. „Die Belegschaft fühlte sich geringgeschätzt und überlastet.“ Mit solchen Herausforderungen könne man nur gut umgehen, wenn man innen stark sei, sagt Lind. Ihr Gedanke damals: Das gesamte Personal des AMS Steiermark sollte an einem Projekt für mehr Teamgefühl und gelebte Wertschätzung teilnehmen.

Wertschätzung, das ist ein typisches Buzzword der modernen Arbeitswelt. Die meisten Personaler und Beschäftigten würden wohl zustimmen: Klar, ohne geht’s nicht. Vieles, was damit verbunden ist und was Lind dazu sagt, klingt, als stamme es wahlweise aus einem Achtsamkeits-Podcast oder Führungskräfte-Seminar. Augenhöhe, gesunde Unternehmenskultur, Vertrauen und so weiter. Aber was heißt Wertschätzung in der Praxis – und lässt sie sich herbeiführen, gar erzwingen?

In der Landesgeschäftsstelle in Graz arbeiten rund 110 Leute; die meisten von ihnen am Schreibtisch, jeder für sich. Insgesamt sind für das AMS Steiermark 815 Menschen in 15 Regionalgeschäftsstellen und fünf Zweigstellen tätig. Wolfgang Groiss, 58, heute im Personalmanagement, zuvor im Service für Arbeitssuchende, erinnert sich, dass vor dem Werteprojekt eine Kultur des „Einigelns“ geherrscht habe: „Es gab Tendenzen, sich abzuschotten, um nicht noch mehr Arbeit zu bekommen.“ So seien auch Gerüchte entstanden wie: „Die anderen Abteilungen arbeiten weniger als wir.“ Gift für das Unternehmen, sagt er.

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