Editorial

Wir können anders

• Das haben wir nun wirklich alle verstanden: Wir müssen umdenken. Sagt jeder, steht überall. Und tun wir doch längst, seit wir lernen mussten, mit einer Pandemie zu leben, seit der Klimawandel überall spürbar ist und sich die künstliche Intelligenz so langsam vom Versprechen zur Macht entwickelt. Wir denken um! Wirklich?

Foto: André Hemstedt & Tine Reimer


Als wir in der Redaktion diskutiert haben, was das Thema Umdenken vom Thema Veränderung unterscheidet, das uns ja immer beschäftigt, war schnell klar: Es ist radikaler. Es ist nicht ein bisschen anders, es ist ganz anders.

Das lässt sich ganz schön an der Reparatur elektrischer und elektronischer Geräte erklären. Dass Hersteller lieber Neues verkaufen, ist verständlich, dass das angesichts knapper werdender Rohstoffe verschwenderisch ist, auch. Firmen wie Asgoodasnew bieten deshalb schon lange Reparaturservices an – und kämpfen mit Herstellern, die sich immer neue Tricks einfallen lassen, um die Reparatur zu erschweren. Besonders kreativ ist dabei Apple, das zwar inzwischen (teure) Reparaturkoffer verkauft, aber offenbar noch nicht verstanden hat, dass eine neue Zeit angebrochen ist.

Bei der Mobilität ist das für uns alle am augenfälligsten: Es wird nicht reichen, nur den Verbrenner- durch einen Elektromotor zu ersetzen – wir müssen Mobilität neu denken. Neu bestimmen, wann wir uns wie fortbewegen, welchen Platz wir dem Auto zugestehen und was daraus für die Stadtplanung folgt. Wäre es eine Alternative, alles im Homeoffice per Internet zu erledigen? Auch das kostet Ressourcen, was der Suchmaschinenanbieter Ecosia durch aufwendige Klimaschutzprojekte auszugleichen versucht.

Wer sich erst einmal auf den Gedanken eingelassen hat, wird anfangen, alles infrage zu stellen – und schnell merken, wie anstrengend das ist. Das durchleben zurzeit die Verantwortlichen in Flensburg, die eine prima Planung für den alten Hafen durch den Stadtrat gebracht hatten, bis ein ambitionierter Architekt mit guten Argumenten alles über den Haufen warf. Nun beginnt das Ringen erneut, immer begleitet von der Frage: Lohnt das wirklich den ganzen Aufwand?

Für den Philosophen René Weiland lohnt es jedenfalls, sich vom Wissen in Richtung Denken zu bewegen. Denn dann „lassen wir Dinge, die uns beunruhigen, an uns heran, sind bereit, die Welt mit anderen Augen zu betrachten“. Diese Welt muss dadurch nicht trister werden, im Gegenteil. Es entstehen neue Chancen für Start-ups, neue Antriebe für Boote, neue Einsichten, um Kinder endlich ernst zu nehmen. Und auch mit Geld lässt sich richtig Sinnvolles anfangen. Dirk Gratzel, durch eine Software-Firma zu Wohlstand gekommen, kauft Industriebrachen und macht Biotope daraus.

Das Neue mag anders sein. Ob es gut wird, entscheiden wir alle. ---