Null reicht nicht

Klimaneutral? Häufig nur ein leeres Versprechen. Firmen wie Ecosia und Greenzero verfolgen ein ehrgeizigeres Ziel: mehr CO2 aus der Atmosphäre zu fischen, als in sie hineinzublasen. Was steckt hinter der Klimapositiv-Mission? Eine Erkundung in sechs Etappen.





"Wenn Sie realisieren, dass es nicht in Ordnung ist, Ihre Kinder zu schlagen, und deshalb weniger fest zuschlagen: Das ist es, ein bisschen nachhaltig zu sein."

Michael Braungart,
Begründer des Cradle-to-Cradle-Prinzips

Was heißt klimapositiv?

Der Schritt zum 1,5-Grad-Ziel ist nur eine Fingerbewegung entfernt, und wahrscheinlich gehen ihn deshalb Tag für Tag Hunderttausende Internetnutzer. Sie wählen bei Recherchen im Netz lediglich Ecosia statt einer anderen Suchmaschine – und landen bei einer Firma, deren ausschließlicher Zweck darin besteht, Geld für den Klimaschutz aufzutreiben: für Solaranlagen und Baumpflanzungen in aller Welt. Durchschnittlich mehr als 20 Millionen Nutzer sorgen mit 100 Millionen Suchanfragen pro Woche für einen Jahresumsatz von mehr als 35 Millionen Euro.

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Die Berliner Firma, die heute gut 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt, arbeitet damit bilanziell klimapositiv. Für ihren Gründer Christian Kroll ist das nicht radikal, sondern überfällig. „Viele Unternehmen behaupten, klimaneutral zu sein, während sie ihre toxischen Emissionen durch den Kauf billiger, nutzloser Emissionsgutschriften ausgleichen“, sagt der 39-jährige, der seine grüne Suchmaschine 2009 nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre und einer Weltreise konstruierte. „Solange sich diese Firmen nicht ernsthaft um Klimaneutralität bemühen, müssen wir anderen nicht nur Klimaneutralität erreichen, sondern darüber hinausgehen. Und zwar nicht 2050, sondern jetzt.“

Laut Kroll funktioniert das Ganze so: Mit jeder Suchanfrage verdient seine Suchmaschine im Schnitt 0,5 Cent Werbeeinnahmen. Zwischen 20 Cent und 6 Euro kostet die Firma das Pflanzen eines Baumes. Statt auf große Plantagen setzen die Berliner auf Kooperationen mit rund 70 lokal verwurzelten Organisationen, die in Burkina Faso, Madagaskar, Peru, Äthiopien und anderen armen Ländern bislang mehr als 171 Millionen Bäume gepflanzt haben. Nach Ecosia-Berechnungen wird jeder von ihnen in seinen ersten 20 Lebensjahren 65 Kilogramm Kohlendioxid binden.

Dabei ist dem Öko-Unternehmer Kroll bewusst, dass es in solchen Rechnungen viele Unbekannte gibt. Niemand weiß, ob die von Ecosia gepflanzten Bäume nicht eines Tages durch Kahlschlag oder Dürre zerstört werden oder ein Waldbrand ihre gespeicherten Klimagase auf einen Schlag freisetzt. Im Dezember 2019 beispielsweise räumte auf Madagaskar ein Zyklon mehrere Millionen Setzlinge ab, die Ecosia daraufhin aus der Statistik entfernte. Doch trotz solcher Risiken seien professionelle Aufforstungen die schnellste und billigste Methode, um Kohlendioxid zu neutralisieren und nebenbei Ökosysteme und Dorfgemeinschaften zu stützen, sagt Kroll. „Bis wir alle unsere Geschäftsmodelle und Lieferketten klimaschonend umgestellt haben, dauert es viel zu lang.“

Wieso drängt die Zeit so sehr?

Der Klimaforschung zufolge muss die Menschheit den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur möglichst auf 1,5 Grad Celsius gegenüber vorindustrieller Zeit begrenzen. Sollte sich der Planet stärker erwärmen, könnten auftauende Permafrostböden und abschmelzende Polkappen Kaskadeneffekte in Gang setzen, die ebenso unumkehr- wie unkontrollierbar wären. Das 1,5-Grad-Ziel ist also gut begründet. Das ist die schlechte Nachricht.

Die noch schlechtere: Will die Menschheit diese Latte nicht reißen, darf sie von jetzt an nur noch maximal 260 Gigatonnen Klimagas in die Atmosphäre blasen. Diese Menge wäre beim derzeitigen Ausstoß von Kohlendioxid bereits in sechs Jahren erreicht. Deshalb genügt es nicht, wenn Nationen oder Firmen versprechen, ihren CO2-Fußabdruck zu verkleinern – sie müssen es sehr schnell tun.

Seitdem dies immer mehr Menschen bewusst wird, überschlagen sich viele Unternehmen mit vollmundigen Versprechen. Der Lebensmittelkonzern Unilever peilt bis 2039 die Netto-Null-Linie bei allen Emissionen an, die Google-Mutter Alphabet verspricht, bis 2030 auf kohlenstofffreie Energie zu wechseln. Amazon hingegen will erst 2040 CO2-neutral sein. Gemeinsam haben alle drei Konzerne eines: Sie werden ihr Ziel wohl verfehlen.

Das prognostizieren die Experten des New Climate Institute und der Nichtregierungsorganisation Carbon Market Watch, die die Klimaversprechen der 25 höchstbewerteten Unternehmen der Welt unter die Lupe genommen haben. Ihre Forschungsfrage: Mit welcher Strategie wollen die Firmen ihr Nullsummen-Versprechen einlösen? Ihre erstaunliche Erkenntnis: Mehr als die Hälfte der Firmen verfügen über gar keine. „Das Ausmaß der Kreativität, mit dem diese Firmen einen glaubhaften Weg zu Klimaneutralität vorzutäuschen versuchen, hat uns ziemlich schockiert“, konstatiert Studienautor Thomas Day vom New Climate Institute. Die andere Hälfte der Unternehmen hat zwar konkrete Schritte definiert, wird nach Experteneinschätzung mit diesen jedoch lediglich bei einer durchschnittlich 40-prozentigen CO2-Reduktion landen – meilenweit von der proklamierten Klimaneutralität entfernt. Wobei auch dieses Versprechen bei Lichte betrachtet ziemlich zweifelhaft ist.


Baumpflanzprojekte von Ecosia in Burkina Faso (links) und Äthiopien; Fotos: © Ecosia GmbH

Wie glaubwürdig ist Klimaneutralität?

Wer wirtschaftlich aktiv ist, produziert als Nebenprodukt zwangsläufig Klimagas. Viele Firmen versuchen diese CO2-Emissionen auszugleichen, indem sie etwa effizientere Öfen für äthiopische Kleinbauern oder Baumpflanzungen in der Eifel finanzieren. Nach Einschätzung von Michael Pahle vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, der unter anderem die Bundesregierung und die EU-Kommission berät, ist dieser ökologische Ablasshandel legitim. „Voraussetzung ist allerdings, dass die Betriebe gleichzeitig ernsthaft in die Reduzierung ihres CO2-Fußabdrucks investieren.“

Denn der Weltmarkt für freiwillige CO2-Ausgleichsmaßnahmen gleicht einem zwielichtigen Basar, auf dem Scheingeschäfte abgewickelt werden. Geschätzter Jahresumsatz: zwei Milliarden Dollar. Tendenz: schnell wachsend. Das Tauschgeschäft mit Emissionen ist ebenso lukrativ wie betrugsanfällig. Angenommen, man ist Besitzer eines Urwaldstücks in Äquatornähe, das still vor sich hinwächst und das man nicht antasten will, etwa weil es zur Umgebung der eigenen Öko-Lodge gehört. Dann lässt sich trotzdem mit diesen Bäumen viel Geld verdienen. Man muss nur behaupten, die Urwaldriesen fällen zu wollen, und eine Institution finden, die die CO2-Einsparung durch Regenwaldschutz, also das Nicht-Fällen der Bäume, bestätigt – und schon füllt Nichtstun die Kasse. Denn irgendwo auf der Welt gibt es ein Unternehmen, das seine CO2-Emissionen damit ausgleicht, wenn auch nur auf dem Papier.

Taschenspielertricks wie diese, das enthüllten im Januar Rechercheure von der »Zeit«, dem britischen »Guardian« und dem Reporter-Pool „Source Material“, sind auf dem Ausgleichsmarkt gang und gäbe. Die Journalisten hatten Klimagutscheine des mächtigen US-Zertifizierers Verra unter die Lupe genommen, der weltweit etwa 75 Prozent der CO2-Zertifikate verbucht – darunter auch jene, mit denen Firmen wie Shell, Gucci, Bayer oder SAP ihre Klimabilanzen ausgleichen. Dabei entdeckten die Reporter reihenweise Luftbuchungen wie jene des Öko-Hotels im peruanischen Dschungel, das sich seinen angeblich kahlschlaggefährdeten Wald versilbern ließ. Mehr als 90 Prozent der untersuchten Verra-Zertifikate – etwa ein Drittel aller Waldschutz-Projekte – sind nach Einschätzung der Rechercheure „ein Haufen Schrott“. Die Kohlendioxid-Kompensation: eine große Luftnummer.

Das erklärt unter anderem, weshalb CO2-Zertifikate mitunter schon zu Spottpreisen von drei bis vier Dollar pro Tonne zu haben sind, schließlich steht hinter vielen offenbar keine echte Reduktionsleistung. Für die Käufer ist der dubiose Handel viel billiger, als tatsächlich im eigenen Unternehmen den CO2-Ausstoß zu reduzieren.

Wie dreht man einen Betrieb?

2018, neun Jahre nach der Gründung von Ecosia, machte Christian Kroll einen mutigen Schritt nach vorn und wandelte die Firma in ein sogenanntes Purpose-Unternehmen um, das fortan einer Stiftung gehört. Seitdem kann Ecosia weder verkauft noch von ihren Eigentümern ausgeweidet werden. „Gegenüber Google verfügen wir damit über einen uneinholbaren Wettbewerbsvorteil“, sagt Kroll. „Ecosia ist jetzt hundertprozentig glaubwürdig. Wir gehören nicht irgendwelchen Aktionären, sondern nur noch uns selbst und unserem Ziel Klimaschutz.“

Zur Glaubwürdigkeit gehört unter anderem, dass die Firma 2018 im Erzgebirge und in Franken Solarkraftwerke mit einer Höchstleistung von 8,3 Megawattpeak finanzierte. Im vergangenen Jahr erzeugten diese Anlagen mit 8,6 Gigawattstunden mehr als dreimal so viel Strom, wie die Firma selbst samt angemieteter Serverkapazitäten verbrauchte. Hinzu kommt die CO2-Absorptionsleistung durch die Ecosia-Wälder. „Wir reparieren also viel mehr, als wir kaputt machen“, sagt Kroll. „Es gibt ja auch keinen Grund, nicht über 100 Prozent CO2-Neutralität hinauszugehen. Und wir setzen darauf, dass dies künftig immer mehr Unternehmen tun werden.“

Wie sinnvoll ist Klimapositivität?

Der Potsdamer Klimafolgenforscher Michael Pahle gilt als führender Experte für Emissionshandel. Auf die Frage nach dem Nutzen von Klimapositiv-Missionen antwortet er: „Es kommt darauf an.“ Nämlich auf die Integrität und Zuverlässigkeit der Maßnahmen.

Integrität zeige sich beispielsweise daran, dass eine Firma wirklich Bäume pflanze, die über Jahrzehnte CO2 binden könnten, und nicht lediglich pro forma an irgendeine Umweltorganisation Gelder überweise. Und klimarelevant sei ein solches Engagement nur, wenn es wirklich zusätzlichen Nutzen stifte. Das sei beispielsweise nicht der Fall, wenn die Deutsche Bahn Grünstromzertifikate von norwegischen Wasserkraftwerken erwerbe, um ihren ICE-Betrieb mit dem Label „100 Prozent Ökostrom“ bewerben zu können. „Die Wasserkraftwerke dort oben laufen ja bereits seit Jahren“, sagt Pahle. „Durch den Zertifikatsverkauf wird keine einzige zusätzliche Kilowattstunde Ökostrom erzeugt.“

Doch selbst wenn ein Öko-Betrieb wie Ecosia seinen Eigenbedarf komplett mit neuen klimaneutralen Energiequellen deckt, lassen sich Rückkopplungseffekte nicht vermeiden. Denn als Teil der deutschen Stromerzeugungskapazitäten wird jede neue Solar- oder Windkraftanlage automatisch auf die CO2-Reduktionen angerechnet, zu denen sich die Bundesregierung per Klimaschutzgesetz verpflichtet hat. „Das Unternehmen nimmt also lediglich etwas vorweg, das sich die Bundesrepublik ohnehin verordnet hat“, sagt Pahle. „Und dann ist da ja auch noch der europäische Emissionszertifikatehandel.“

Der funktioniert so: Industriesektoren werden CO2-Budgets zugeteilt, die über Emissionszertifikate an Unternehmen verteilt und von diesen untereinander gehandelt werden. Nach dieser marktwirtschaftlichen Logik wird CO2 effizient gespart. Mit der Folge allerdings, dass Kohlendioxid, das eine frisch installierte Fotovoltaikanlage auf einem deutschen Firmendach einspart, stattdessen von einem Kohlekraftwerk in Polen zusätzlich ausgestoßen werden kann. „Das liegt in der Logik des Systems“, sagt Pahle schulterzuckend. Trotzdem sind unternehmerische Initiativen seiner Ansicht nach sinnvoll. „Je mehr Firmen dem Ecosia-Beispiel folgen und je mehr sie dafür investieren, desto deutlicher signalisieren sie der Politik, dass eine Bereitschaft für ehrgeizigere Klimaziele vorhanden ist.“ Mit anderen Worten: Progressive Firmen senken den politischen Preis für Klimaschutz – mitunter gleich um die Ecke.

Was geht noch?

Es ist 15 Jahre her, dass auf Zeche Polsum beim Ruhrpottstädtchen Marl der letzte Förderkorb in die Tiefe rauschte. Seitdem verfallen auf dem Zechengelände die Gebäude. Neuerdings aber tut sich dort was: Müll wird abtransportiert, Flächen werden entsiegelt, Bäume und Sträucher gepflanzt, Gewässer renaturiert. Verantwortlich dafür ist ein Aachener Unternehmer, der in der Region Industriebrachen kauft und ökologisch aufmöbelt. Dirk Gratzel ist damit voll auf der Klimapositiv-Linie. „Wir müssen die Schäden der Vergangenheit schnellstmöglich ausgleichen, und das heißt: nicht nur auf null kommen, sondern darüber hinausgehen“, sagt der 55-Jährige.

Das Besondere: Seine Brachen- zu-Biotopen-Projekte findet Gratzel, der als Software-Unternehmer zu Wohlstand kam, nicht am anderen Ende der Welt, sondern in der Mitte Deutschlands. Mehr als 150 Hektar verlassene Industrie-Areale und vom Borkenkäfer geschädigte Fichtenplantagen hat er im Ruhrgebiet in den vergangenen drei Jahren zusammengekauft, weitere Flächen sollen folgen. Ihre Renaturierung lässt er von Ökologen begleiten und die Fortschritte wissenschaftlich überprüfen. Er tut dies nicht nur mit Blick auf das aktuelle Top-Thema Klimarettung, son- dern auch auf Gewässer- und Bodenschutz sowie die Artenvielfalt.

Gratzels postindustrielle Refugien dienen so als eine Art Klinikbetrieb für eine Vielzahl von Krankheiten, unter denen der Planet aktuell leidet. Entstanden sind sie als Spätfolge einer niederschmetternden Lebensbilanz.

Sechs Jahre ist es her, dass der passionierte Jäger Gratzel eines Nachts auf seinem Hochsitz saß, in die dunkle Natur blickte und ins Grübeln geriet. „Wie viel CO2 puste ich eigentlich persönlich in die Atmosphäre?“, fragte er sich und machte sich mit Wissenschaftlern der Technischen Universität Berlin an eine akribische Auflistung seiner Besitztümer und Aktivitäten. Der damalige Vielflieger und Sportwagen-Fan listete Autos auf, die er gefahren, und Strecken, die er in seinen vergangenen fünf Lebensjahrzehnten geflogen war, zählte seine Hemden, Hosen und Socken, protokollierte seine morgendlichen Minuten unter der Dusche und die Zahl der täglichen Tassen Kaffee.


Betonwüsten zu Biotopen: Dirk Gratzel

Am Ende stand eine Erkenntnis, die aktuell viele ereilt: Als deutscher Durchschnittskonsument watet man knietief im Dispo *. 27 Tonnen Klimagas produzierte Gratzel mit seinem Lebenswandel Jahr für Jahr – nicht nur in seinen Augen „ein echtes Debakel“. ** Schockiert schaltete der fünffache Familienvater seinen Lebensstil auf Sparflamme, verkaufte seinen Jaguar, dämmte sein Wohnhaus, verzichtete auf Flugreisen, Milchprodukte, langes, warmes Duschen – und senkte seinen CO2-Ausstoß binnen eines Jahres um mehr als 70 Prozent. Beruhigt war er dennoch nicht. „Mir wurde klar, dass eine naturfreundliche Lebensweise niemals ausreichen wird, um eine grüne Null zu erreichen. Also startete ich Ausgleichsprojekte wie die Zeche Polsum, um meine bisherigen Wirkungen wiedergutzumachen.“


Frisch ergrünt: die ehemalige Zeche von Polsum Foto: © HeimatErbe GmbH

Aus diesem persönlichen Projekt ist mittlerweile ein Firmenkonglomerat unter dem Dach der Greenzero GmbH mit knapp 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erwachsen. Diese erstellen Ökobilanzen für Unternehmen, beraten sie bei Reduktionsstrategien und renaturieren in deren Auftrag Industriebrachen. Zu den Kunden gehören unter anderem die Drogeriekette dm, der Papierhersteller Wepa und die Holding Franz Haniel & Cie., in deren Auftrag man gerade zusammen mit der Stadt Duisburg und dem Land Nordrhein-Westfalen das Hafenquartier Duisburg-Ruhrort ökologisch umplant. Alles umweltwirksam hier und heute.

Auch bei seiner persönlichen Mission kommt Gratzel gut voran. Nach Berechnungen seiner wissenschaftlichen Begleiter dürfte er spätestens zu seinem 70. Geburtstag die Umweltschäden seiner ersten Lebenshälfte ausgeglichen haben. Dann liegen allerdings noch viele Jahre vor ihm, denn seine individuelle Lebenserwartung ist statistisch deutlich höher. Stimmt die Prognose, dann würde der Unternehmer in etwa dreieinhalb Jahrzehnten mit einer tiefgrünen Null aus dem Leben scheiden. Ökologisch gesehen.

„Positiv würde ich meine Lebensbilanz dann aber immer noch nicht nennen, dazu habe ich viel zu großen Respekt vor der Natur“, sagt er. „Ich würde glücklich sterben, wenn ich behaupten könnte, einigermaßen im Einklang mit ihr gelebt zu haben.“ ---

Lesen Sie zu dem Thema auch:

* Beschrieben hat Dirk Gratzel seinen Selbstversuch in dem Buch „Projekt Green Zero – Können wir klimaneutral leben? Mein konsequenter Weg zu einer ausgeglichenen Ökobilanz“. Ludwig Verlag, 18 Euro

** Der durchschnittliche CO2-Ausstoß eines Bundesbürgers liegt bei rund 11 Tonnen im Jahr.
2,2 Tonnen entfallen auf das Wohnen, ebenso viel auf die Mobilität. 1,7 Tonnen ergeben sich aus der Ernährung, Strom schlägt mit 0,5 Tonnen zu Buche, die öffentliche Infrastruktur mit 0,8 Tonnen. Der Rest, rund 3,4 Tonnen, geht für Kleidung und Freizeitaktivitäten drauf. Klimaneutral wäre ein Pro-Kopf-Ausstoß von weniger als einer Tonne Kohlendioxid.

Kleines Klima-Glossar

Klimaneutral
Klimaneutral wirtschaftet kein Unternehmen, sondern allenfalls bilanziell klimaneutral – dann nämlich, wenn es für seine CO2-Emissionen andernorts Ausgleichsmaßnahmen finanziert. Nach der Green-Claims-Initiative der EU-Kommission soll der irreführende Begriff neben anderen (wie plastikfrei oder biologisch abbaubar) künftig nur noch eingeschränkt verwendet werden dürfen.

CO2-negativ
besagt, dass ein Unternehmen einen ökologischen Vorteil erwirtschaftet, indem es unterm Strich mehr Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernt als ausstößt.

Klimapositiv
ist ein Synonym für CO2-negativ. Auch ein Unternehmen wie Ecosia ist nur bilanziell klimapositiv, weil es seine unvermeidlichen CO2-Emissionen durch Baumpflanzungen ausgleicht.

CO2-Fußabdruck
beschreibt die Gesamtmenge an Treibhausgasen durch die Geschäftstätigkeit einer Firma. Indem man die Emissionskategorien (die sogenannten > Scopes) enger oder weiter fasst, lässt sich der unternehmerische Fußabdruck fast beliebig groß- oder kleinrechnen.

Scope 1, 2 und 3
Scope 1 umfasst die direkten Emissionen aus dem Betrieb, Scope 2 die indirekten, etwa durch zugekauften Strom und Wärme. Der größte, aber auch am schwersten zu beziffernde Posten jeder Klimabilanz ist Scope 3. Er beinhaltet sämtliche Emissionen entlang der Wertschöpfungskette, also alles, was von der Rohstoffgewinnung über die Arbeitswege der Belegschaft bis zur Auslieferung der Produkte entsteht. Siehe dazu auch Seite 86: „Die Welt retten – auf sehr praktische Art“.