Der Weg übers Wasser

Zwei Tüftler mit Erfahrung in der Autoindustrie arbeiten an einem großen Ding: dem autonomen, elektrischen Schiffsverkehr.






Der Zero One – ein Katamaran wie die großen Boote, die irgendwann in Serie gehen sollen


Stefanie Engelhard, Mitgründerin von Unleash Future Boats (UFB).

• Wenn es nach den Dinosauriern ginge, hätten Stefanie und Lars Engelhard keine Chance. Dann könnten sie ihr großes Ding im Schiffbau vergessen, den Traum von selbstfahrenden, emissionsfreien Booten. Vor einiger Zeit sei einer dieser Dinosaurier, wie die Engelhards sie bezeichnen, bei ihnen aufgetaucht: ein Vertreter der maritimen Lobby, in der sich Werften und Meerestechnikbetriebe zusammengeschlossen haben. „Der hat uns gesagt, dass wir gar nicht nachweisen könnten, dass unser Boot keine Abgase ausstoße, weil es ja kein Auspuffrohr habe, an dem der Schadstoffausstoß gemessen werden könnte“, sagt Lars Engelhard. Ein Auspuffrohr. An einem Elektroboot. Engelhard ist immer noch fassungslos, wenn er diese Geschichte erzählt.


 

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Dabei kennen die beiden Elektroingenieure sich aus mit Dinosauriern. Sie haben jahrelang in der Automobilindustrie gearbeitet, bei Audi selbstfahrende Fahrzeuge mit entwickelt. Vielleicht würden sie das heute noch tun, wenn sie das Gefühl gehabt hätten, dass die deutschen Autobauer es ernst meinten mit dem Fortschritt in Richtung Nachhaltigkeit. „Doch die sind träge und wollen zunächst ihre alten Systeme remonetarisieren, statt möglichst schnell neue, umweltfreundlichere Produkte zu entwickeln und auf den Markt zu bringen“, sagt Lars Engelhard. „Jetzt verschlafen die deutschen Konzerne zum Beispiel gerade die Brennstoffzelle. So wird Zeit vergeudet, die wir angesichts des Klimawandels nicht mehr haben.“ Den Engelhards war klar: Um ihre Vorstellungen verwirklichen zu können, müssen sie die Branche wechseln – und das Element. Sie gründeten ihren eigenen Betrieb, zogen aus Bayern nach Schleswig-Holstein und mit ihren Entwicklungen von der Straße aufs Wasser.

Auf den ersten Blick erfüllt die Werkstatt von Unleash Future Boats (UFB) am Stadtrand von Schleswig alle Start-up-Klischees. Die Garagen-Werft, wie das Paar sie nennt, ist in der Backsteinhalle einer ehemaligen Schnapsfabrik untergebracht. Darin stehen diverse Tische, vollgepackt mit Werkzeug, Baumaterial und Messgeräten. Der Espresso wird auf einem Campingkocher vor der Tür gebrüht, ein Klo gibt es nicht. Zum Pinkeln geht es zum Büro des freundlichen Pflegedienstes nebenan.

Wenig deutet darauf hin, dass es sich bei UFB um einen Betrieb mit einem Grundkapital von 15 Millionen Euro und fast 40 festen Beschäftigten handelt, von denen hier heute, außer den Gründern, keiner zu sehen ist – die meiste Arbeit erledigen sie bislang am Rechner von zu Hause aus. Allein ein paar Ausdrucke von Computeranimationen, die auf Stellwänden am Rand des Raumes kleben, geben einen Eindruck davon, dass hier ein Projekt entsteht, das den Verkehr auf dem Wasser einmal wesentlich umweltfreundlicher und flexibler machen könnte.

„Das sind Cargo One und Future One, unsere Bootsentwürfe“, sagt Stefanie Engelhard und zeigt auf mehrere Bilder, auf denen jeweils ein kleiner Katamaran zu sehen ist – also ein schlittenartiges Schiff mit zwei Rümpfen, die mit einer Grundplatte verbunden sind. Cargo One haben die Entwickler als nackten, flachen „Schlitten“ ohne Aufbau geplant, auf dem, je nach Ausführung, ein oder mehrere Transportcontainer Platz finden sollen. Future One basiert auf demselben Rumpfkonzept, besitzt allerdings eine gläserne Kabine, um als Personenfähre eingesetzt zu werden. „Beide Bootsvarianten werden rein elektrisch über eine Kombination aus Batterie und mit grünem Wasserstoff gespeister Brennstoffzelle betrieben“, sagt die 39-Jährige, die bei UFB für die technische Entwicklung zuständig ist. „Sie fahren autonom, werden also nicht von Menschen gesteuert.“

Die Boote sollen einmal das Herzstück eines umfassenden Mobilitätssystems sein, das die Engelhards mit ihrer Firma für den Güter- und Personenverkehr zu Wasser entwickeln. „Die Straßen in Deutschland sind überfüllt, das Eisenbahnnetz und viele Brücken marode“, sagt Stefanie Engelhard. „Dagegen sind nur maximal 40 Prozent der Wasserwege ausgelastet; viele kleine Flüsse und Kanäle wie zum Beispiel die Spree in Berlin oder die Fleete in Hamburg sind praktisch ungenutzt. Das wollen wir ändern.“


Das Testboot wird regelmäßig auf der Schlei erprobt


Der Ingenieur Lars Engelhard versteht auch was von Zahlen

Ein Plus: wenig Tiefgang

Der Gütertransporter Cargo One soll ähnlich flexibel wie ein Lkw eingesetzt werden können, um Container auf Binnenwasserstraßen und innerhalb von Häfen zu transportieren. Seine kompakten Maße sieht Lars Engelhard als Vorteil. „Die 17 bis 45 Meter langen Cargo Ones nehmen zwar nur einen bis achtzehn Container auf, können aber im Schwarmmodus wie ein Zug als Verband fahren.“

Weil jedes einzelne Boot mitsamt Ladung deutlich weniger wiege als ein großes Binnenschiff, das 45 bis 70 Container befördere, habe es weniger Tiefgang und sei bei Niedrigwasser noch manövrierbar, wenn herkömmliche Transportschiffe auf Grund liefen. „Für die Wirtschaft ist das angesichts immer häufiger auftretender Dürreperioden entscheidend: Im trockenen Sommer 2018 haben deutsche Unternehmen durch Lieferschwierigkeiten infolge von unbefahrbar gewordenen Flüssen rund fünf Milliarden Euro Verlust erlitten.“

Anders als Cargo One ist die Fähre Future One ausschließlich für kurze Strecken gedacht. Sie fasst zwölf Passagiere plus Fahrräder, Rollstühle und Kinderwagen. „Man kann sich das wie ein Uber oder Moia auf dem Wasser vorstellen“, sagt Stefanie Engelhard. „Die Fähren fahren nicht auf festen Routen, man ruft sie sich einfach per App an bestimmte Anlegestellen und fährt mit ihnen wie in einem Anrufsammeltaxi an ein Ziel, das man selbst bestimmt.“ Betrieben werden sollen die Fähren von öffentlichen oder privaten Nahverkehrsunternehmen, die sie in ihre bestehenden Netze integrieren können.

Sowohl das Transport- als auch das Personenschiff sollen mittels zentraler Rechner überwacht werden, die die Tourenaufträge an jedes einzelne Boot herausgeben, sei es zu einem bestimmten Hafen, Terminal oder Fähranleger. Computer auf den Booten übernehmen dann die Wegstreckenberechnung und die Steuerung. Sie erfassen über Sensoren die aktuelle Verkehrssituation auf dem Wasser, bewerten die Lage und reagieren so auf eventuelle Störungen und Hindernisse.

Der Verzicht auf menschliches Fahrpersonal hat nach Ansicht von Lars Engelhard mehrere Vorteile. „In den kommenden Jahren gehen viele Kapitäne in Rente, und es wird immer schwieriger, Nachwuchs zu rekrutieren“, sagt der 40-Jährige. „Zudem sind gerade kleine Fährverbindungen oft ein Zuschussgeschäft. Mit unseren Booten lohnt es sich auch, bislang unrentable Strecken zu befahren.“ Und nicht zuletzt sei es eine Frage der Sicherheit: In der Schifffahrt beruhten schätzungsweise mindestens 70 Prozent der Unfälle auf menschlichem Versagen. Engelhard: „Ein Computer kann die Umgebung eines Bootes ständig in alle Richtungen überwachen. Ein Mensch dagegen kann nur in eine Richtung sehen.“ Ganz ohne menschliches Zutun werde es aber wohl auch bei den selbstfahrenden Booten zunächst nicht gehen. „Vermutlich werden Kapitäne in den Flottenkontrollzentren die Bewegungen der Schiffe überwachen.“

Ursprünglich hatten die beiden Hobby-Segler nach ihrer Zeit im Volkswagen-Konzern mit dem Boot um die Welt fahren wollen. Das war 2015. „Wir waren müde und wollten eine Pause“, sagt Stefanie Engelhard. Doch dann habe es da dieses Gespräch zwischen ihrem Mann und dem US-Ökonomen Jeffrey Sachs am Rande einer Vortragsveranstaltung gegeben, zu der Lars Engelhard als Mitautor eines Berichtes des Club of Rome eingeladen worden war. „Sachs hat mir klargemacht“, sagt er, „dass genug über den Kampf gegen den Klimawandel geredet worden sei. Jetzt müsse gehandelt werden.“

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Damals probierten sie auf ihrem Boot Sensortechnik zur Selbststeuerung aus, die sie in Ansätzen nebenbei entwickelt hatten. Dabei erkannten sie schnell, dass ein solches System auf Booten ganz anderen Anforderungen genügen muss als in Autos. „Allein das Wackeln, diese Instabilität auf dem Wasser – solche Bewegungen hat man in einem Wagen höchstens mal, wenn er schleudert“, sagt Stefanie Engelhard.

Als die Sensortechnik schließlich funktionierte, begannen die beiden, ein Boot dafür zu bauen. „Wir haben uns dabei an der Automobilbranche orientiert“, sagt die Ingenieurin. „Da wird auch von innen nach außen entwickelt: erst die Technik, am Schluss die Karosserie. Beim Bau eines Schiffes läuft es gewöhnlich umgekehrt.“

Überhaupt funktioniere im traditionellen Schiffbau vieles anders, als sie es gewohnt gewesen seien, sagt Lars Engelhard. „So haben im Maritimen beispielsweise die Zulieferer die Macht, weil hier nur selten in Serie gefertigt wird. In der Automobilbranche dagegen werden Teile in hohen Stückzahlen in verschiedenen Modellen verbaut, deshalb können die Autohersteller die Preise bestimmen.“ So wollen sie es auch bei UFB machen, schließlich sollen ihre Boote einmal in Serie hergestellt werden.

Bis dahin wird es allerdings noch etwas dauern. „Wir hoffen, dass wir spätestens in zwei Jahren Cargo One bauen werden“, sagt Lars Engelhard, der neben seiner Ingenieurausbildung auch einen Abschluss als Master of Business Administration hat und sich bei UFB maßgeblich um die Strategie kümmert. „2027 wollen wir dann in der ersten Stadt zunächst teilautonom in den Regelbetrieb gehen.“

Dass die Idee mit den selbststeuernden, emissionsfreien Booten funktioniert, wissen die Engelhards. In ihrer Werft steht ein Versuchskatamaran, an dem sie ihre Entwicklungen testen. Zwei Jahre haben sie an dem Zero One genannten Schiff gebaut, im Sommer 2021 wurde es getauft. Seither erprobt UFB das Fahrzeug auf der Schlei, einem Ostseearm bei Schleswig. Dieser wurde vom Bundesverkehrsministerium als digitales Testfeld für autonome Schifffahrt ausgewiesen.

Interessenten für die neue Technik gibt es bereits, zum Beispiel die Duisburger Hafen AG. Der Betreiber des größten Binnenhafens der Welt, Duisport genannt, will die Cargo-One-Boote auf dem Rhein als Wassertaxis zwischen seinen neun Containerterminals einsetzen. „Wir haben schätzungsweise 10 000 solcher sogenannten Umfuhren von Containern innerhalb des Hafens pro Jahr“, sagt Alexander Garbar, Leiter der Abteilung für Unternehmensentwicklung und Strategie im Duisport. Bislang werde der allergrößte Teil dieser Fahrten per Lkw erledigt. „Doch die Brücken im Hafen sind überlastet und sanierungsbedürftig, und die Fahrzeuge stoßen viele Schadstoffe aus. Ein automatisierter Pendelverkehr mit kleinen, flexibel einsetzbaren Booten, die keine Emissionen freisetzen.“


Noch eher provisorisch: Vorratsregal bei UFB


Bald wird neugebaut: die UFB-Baracke

Ein Antrieb auch für andere

Das erste Geld, und auf lange Sicht womöglich auch das meiste, wird UFB nach Einschätzung der Engelhards aber nicht mit ihren Booten verdienen, sondern mit dem von ihnen entwickelten Antrieb. Dazu haben sie ihre Firma in eine Holding aufgespalten, der Antriebsektor heißt Green Boats Engineering. „Zur Finanzierung sammeln wir gerade 25 Millionen Euro bei Investoren ein“, sagt Lars Engelhard. Der Plan: Die batterie- und brennstoffzellenbasierten Systeme sollen nicht nur in den eigenen Fahrzeugen eingesetzt, sondern auch als Nachrüstsätze für vorhandene Boote angeboten werden – allerdings nicht komplett zum Kauf. „Teile davon vermieten wir“, sagt Stefanie Engelhard. So bleibe die Batterie Eigentum der Firma. „Nach acht Jahren nehmen wir sie zurück, um die Seltenen Erden darin wieder zu nutzen. Auf diese Weise profitieren die Umwelt und wir von der Kreislaufwirtschaft.“

Wie sehr die Engelhards an den Erfolg ihrer Mission glauben, zeigt sich daran, dass sie derzeit den Neubau von zwei Hallen planen. Spätestens Anfang des kommenden Jahres sollen die Arbeiten beginnen, 2025 wird laut Plan alles fertig sein. Von der alten Halle bleibt dann nur noch eine Wand als Reminiszenz an die Vergangenheit. Sie wird an die Garagen-Werft erinnern, wenn bei UFB niemand mehr den Kaffee auf dem Campingkocher brühen und zum Austreten zu den Nachbarn gehen muss.

Dabei hätte alles ganz anders kommen können – wenn die beiden Gründer das Angebot angenommen hätten, das ihnen ein weiterer Vertreter der maritimen Lobby im vergangenen Jahr gemacht habe. „Der stand bei uns in der Halle und fragte: ‚Könnten Sie sich vorstellen, für 20 Millionen Euro Ihr Unternehmen pleitegehen zu lassen?‘“, erzählt Lars Engelhard. „Im Gegenzug hätten wir dafür öffentlich bekunden müssen, dass Nachhaltigkeit im Bootsverkehr doch nicht funktioniere. Wir haben abgelehnt – und nie erfahren, wer der Auftraggeber des Mannes war.“ ---

 



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