Asgoodasnew

Elektroschrott ist ein großes Problem für die Umwelt. Für die Firma Asgoodasnew sind alte und defekte Geräte ein Geschäft.




• Tom Kaden schippert gern über die Oder. Der 38-Jährige mit der eckigen Brille und den Igelhaaren besitzt ein kleines Boot, dessen Motor von einem Akku angetrieben wird. Kaden hat ihn selbst gebaut. Wie bei Tetris müsse man sich das vorstellen, sagt er, ein paar Akkus von alten Smartphones und Laptops, einer von einem Elektro-roller, und schon sei der Lithium-Speicher fertig. Das Boot kann damit gut 40 Kilometer weit fahren. Und Kaden hat 2500 Euro gespart, die ein neuer Akku gekostet hätte. „Nich janz unwesentlich“, sagt er in breitem Brandenburgisch.

Kaden sitzt in der Kantine von Asgoodasnew, einem Unternehmen aus Frankfurt an der Oder, das gebrauchte Geräte aufarbeitet – im Fachjargon refurbishing genannt. Er leitet dort die Technikabteilung.

Früher wurden fast alle Dinge repariert. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich Deutschland zur Konsumgesellschaft. Die Umweltbewegung versuchte, diese Entwicklung zu stoppen, das Recyclingsystem entstand, dennoch leben wir heute in einer Wegwerfgesellschaft.


Impressionen aus der Werkstatt.

Reparieren ist beliebt – zumindest in Umfragen

Das Wort Entsorgung gaukelt uns vor, dass wir Sorgen loswerden, wenn wir etwas wegwerfen. Darum lieben viele Leute Recyclinghöfe. Alles hat seinen Platz: Matratzen, Möbel, DVDs. Sicher ist es gut, Abfall zu sortieren. Aber noch besser wäre, er entstünde gar nicht. Je länger man ein Gerät nutzt, desto besser ist die Ökobilanz. Reparieren hilft gegen die Klimakrise.

Doch von vier defekten Elektrogeräten wird in Deutschland nur eines wieder funktionstüchtig gemacht. Das Unbehagen darüber ist groß. In einer Umfrage gaben 77 Prozent der EU-Bürger an, dass sie ihre Geräte lieber reparieren als ersetzen würden. Repair-Cafés und Reparatur-Initiativen stemmen sich seit Jahren gegen den Wegwerf-Trend. Doch die Initiativen erreichen nur wenige Menschen, und erst seit Kurzem sind gesetzliche Vorgaben für die Hersteller in der Diskussion (siehe Seite 65). Unternehmen wie Asgoodasnew versuchen, die Sache professioneller aufzuziehen und ein Geschäft daraus zu machen.

Tom Kaden sägt in seiner Werkstatt Smartphone-Bildschirme auseinander, verlötet stecknadelkopfgroße Chips, erhitzt die Geräte in Vakuum-Öfen. Die Hersteller, besonders Apple, denken sich immer neue Dinge aus, die es kompliziert machen, einen Bildschirm oder einen Akku auszutauschen – Kaden nimmt es sportlich.

Seinen Arbeitgeber Asgoodasnew gibt es seit 2008. Das Unternehmen hat sich auf den An- und Verkauf von Smartphones, Laptops, Tablets und Kameras spezialisiert. Etwa 1,5 Millionen Geräte hat es laut eigenen Angaben wieder in Umlauf gebracht. Meist funktioniert das so: Menschen verkaufen der Firma ihre gebrauchten, ein bis drei Jahre alten Geräte über eine Internetseite. Sie geben das Modell und den Zustand an und bekommen ein Angebot. Dann schicken sie ihr Gerät nach Frankfurt. Zu 70 Prozent sind es Smartphones, meistens von Apple.

In der Fabrik werden die Geräte geprüft, von persönlichen Daten befreit, gesäubert, gegebenenfalls repariert, kategorisiert und dann weiterverkauft. Ein gebrauchtes, voll funktionsfähiges Gerät kann bis zu 50 Prozent billiger sein als ein neues. Allerdings muss man dann Kratzer und andere Gebrauchsspuren in Kauf nehmen. Neuwertige Geräte, die Asgoodasnew ebenfalls anbietet, sind teurer.

Das Wort Fabrik ist etwas zu groß für das bunte Firmengebäude in Frankfurt-Markendorf. Vor allem im Vergleich zu der Produktionsstätte, die hier früher stand. Im VEB-Halbleiterwerk fertigten 8500 Menschen erst Gleichrichter und Dioden für die Radios und Fernseher der DDR, später stellten sie Mikrochips für die Sowjetunion her.

Es ist kein Zufall, dass der Refurbisher in Frankfurt an der Oder entstanden ist. Die Viadrina-Universität hat den Gründer Christian Wolf unterstützt. Zudem gab es nach der Schließung des Halbleiterwerks so viel ungenutztes elektrotechnisches Wissen wie in keiner anderen deutschen Stadt. Reparateure hatte die DDR zuhauf. Im Wiederverwerten waren die Menschen geübt. Jetzt ist diese Tradition wieder gefragt.

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Know-how, das nicht verloren gehen soll

Tom Kaden baute als Junge ferngesteuerte Autos auseinander. Er wollte wissen, wie sie funktionierten. Später ging er ins Jugendzentrum, wo ein ehemaliger Mitarbeiter des Halbleiterwerkes eine Elektronik-AG organisierte. Kaden lernte, wie Schaltungen aufgebaut sind. Dann machte er eine Ausbildung zum Energieelektroniker und wartete Trafostationen.

Etwa fünf bis zehn Prozent der Geräte, die sein heutiger Arbeitgeber verkauft, landen in Kadens Abteilung. Zum Beispiel wenn ein Bildschirm so verkratzt ist, dass sich das Gerät nur schwerlich verkaufen lässt. Oder wenn es eine Zustandskategorie hochgestuft werden soll, damit es einen höheren Preis erzielt. Der Refurbisher teilt seine Produkte in vier Kategorien ein (neu, wie neu, sehr gut, gut). Die Kategorie bezieht sich ausschließlich auf den äußeren Zustand des Geräts. Ein neues Display kann einen Preisunterschied von 100 Euro ausmachen. Funktionsfähig sind alle Geräte. Die Akku-Kapazität beträgt laut Asgoodasnew immer mindestens 80 Prozent.

„Die Werkstatt ist eigentlich ein nicht unerheblicher Kostenfaktor“, sagt der Betriebsleiter Andreas Max, „im Wettbewerb mit anderen aber geradezu ein Muss. Wir wollen dieses Know-how unbedingt haben.“

Max und Kaden schauen einem Mitarbeiter über die Schulter. Er trägt einen weißen Kittel, in den kleine Drähte eingewebt wurden, antistatische Kleidung, die verhindert, dass elektrische Schläge den Geräten schaden. Er legt die Front eines iPhone 11 auf eine Heizplatte. Bei 70 Grad Celsius löst sich der Kleber, der Rahmen und Bildschirm zusammenhält. Mit einer kleinen, runden Zange zieht der Mitarbeiter den Rahmen des Smartphones ab. Dabei darf er die sogenannte Flex, eine flexible Leiterplatte, nicht berühren. „Sobald da ein Kratzer drauf ist, geht das Display kaputt“, sagt Kaden. Und ergänzt, dass Hersteller auch Kleber nehmen könnten, die sich einfacher lösen lassen. „Das würde die Reparatur enorm erleichtern.“

Apple verwende 10 bis 15 unterschiedliche Schrauben in den eigenen Geräten. Mit bloßem Auge könne man die unterschiedlichen Durchmesser nicht erkennen, die Unterschiede betrügen 0,1 bis 0,2 Millimeter. „Wenn man eine zu lange Schraube ins falsche Gewinde schraubt, durchsticht sie das Mainboard, und das Gerät ist kaputt“, sagt Kaden. Hersteller wie Sony und Samsung benutzten bloß zwei Schraubengrößen.

„Apple legt uns mit seinen strengen Serviceprozessen Steine in den Weg“, sagt Andreas Max, der Betriebsleiter. Original-Ersatzteile bekomme Asgoodasnew nicht, denn Apple habe kein Interesse daran, mit externen Reparaturwerkstätten und Refurbishern zusammenzuarbeiten. Apple bietet selbst aufgearbeitete Produkte an. Der Preisvorteil für Kunden ist dabei laut Stiftung Warentest allerdings sehr gering.

Apple hat sich lange dagegen gesträubt, dass Kundinnen und Kunden ihre Geräte selbst reparieren können. Das Unternehmen begründete das mit der Gerätesicherheit. Fakt ist: Apple verdient gut an Reparaturen und lässt neben eigenen Läden nur autorisierte Partner zu.

Inzwischen sieht es so aus, als bewege sich der Konzern: Seit Dezember 2022 können sich Apple-Nutzer in Deutschland Werkzeugsets leihen, um selbst einen Akku oder ein Display zu wechseln. Apple liefert auch Ersatzteile. Die beiden zugeschickten Koffer wiegen fast 36 Kilogramm. Die Leihgebühr und der Akkupreis machen die eigenständige Reparatur nicht viel billiger, als wenn man das Gerät einschicken würde. Außerdem ist die Reparatur so komplex, dass Apple sie nur „technikversierten Kundinnen und Kunden“ empfiehlt. Kaden sagt: „Ich würde das einem normalen Menschen eher nicht zutrauen.“


iPhone-Reparatur & Betriebsleiter Andreas Max


Eine Platine & Geschäftsführer Tim Seewöster

Repariert wird nur, was den Aufwand lohnt

Sein Team schlachtet alte Geräte aus und baut die funktionierenden Komponenten in andere iPhones ein. Der Mitarbeiter, dem Kaden und Max über die Schulter schauen, hat es auf den Bildschirm, den aus flüssigen Kristallen aufgebauten LCD, abgesehen. Er legt das Gerät auf einen Screen-Separator. Von unten wird das Gerät erhitzt, in der Mitte trennt ein dünner, reißfester Draht das Glas der iPhone-Front vom Bildschirm. „Das LCD-Modul ist die teuerste Komponente“, sagt Kaden. Die neuen OLEDs seien noch teurer. Ein neues Glas hingegen koste fünf oder sechs Euro.

„Wir könnten viel mehr reparieren“, sagt Kaden. „Aber wir müssen immer überlegen, ob das rentabel ist.“

Asgoodasnew verbuchte über Jahre Verluste, doch die Anteilseigner glaubten an die Idee. Beteiligt sind unter anderen die Investitionsbank des Landes Brandenburg, der skandinavische Wagniskapitalgeber Verdane und Sevenventures. Seit 18 Monaten sei das Unternehmen profitabel, sagt der Geschäftsführer Tim Seewöster. Im vergangenen Jahr betrug der Umsatz erstmals mehr als 100 Millionen Euro. Man achte auf Kosteneffizienz, aber sehe sich auch in der Verantwortung für die 100 Beschäftigten in Frankfurt. Eine Fabrik in Polen käme nicht infrage, sagt Seewöster.

Er ist seit einem Jahr im Unternehmen und hat auch die Aufgabe, Asgoodasnew bekannter zu machen. Jahrelang habe sich die Firma auf die Qualität seiner Produkte konzentriert und auf die internen Prozesse. Jetzt soll mehr ins Marketing investiert werden. Außerdem will man expandieren: „Wir schauen uns die Benelux-Länder an, vielleicht auch Skandinavien“, so Seewöster. Asgoodasnew soll seine Geräte dort aber erst mal auf Plattformen wie Ebay Refurbished, Back Market oder Refurbed anbieten.

Laut einer Umfrage kann sich rund die Hälfte der Deutschen vorstellen, ein generalüberholtes Gerät zu kaufen. Getan hat das bisher allerdings erst jeder achte. Dieses Wachstumspotenzial haben auch andere Unternehmen erkannt. Neben den Verkaufsplattformen sind Rebuy und Clevertronic Konkurrenten der Frankfurter.

Immer neue Hürden erschweren die Arbeit

Seit einiger Zeit hat auch das Mobiltelefon des Chefs einen Schaden. Eine Reparatur bei Apple würde 600 Euro kosten. Seewöster hofft, dass Kaden das übernehmen kann. Der hat eine neue Rückseite bestellt, in China, für gut 70 Euro. Aber er muss seinen Vorgesetzten enttäuschen. Die Plastikumrandung der Kameralinse klappert – das geht gegen seinen Handwerkerstolz.

Kaden und sein Team können iPhones bis zur Elfer-Serie reparieren, die neueren Modelle noch nicht. Aber die landen ohnehin meist erst nach ein, zwei Jahren beim Refurbisher. Mittlerweile ist das iPhone 14 auf dem Markt. Mit den neuen Modellen kommt eine weitere Herausforderung auf die Werkstätten zu: Komponenten wie die Face-ID oder der Bildschirm sind durch einen Chip mit dem Gerät gekoppelt. Wenn ein neuer Bildschirm eingebaut wird, erkennt das Gerät das und zeigt eine Fehlermeldung an. „Der Kunde glaubt dann, das Gerät sei kaputt“, sagt Seewöster.

In Kadens Werkstatt steht deswegen eine Maschine, die Chips verlöten kann. Wenn ein Bildschirm defekt ist, wird der Chip von diesem getrennt und dem neuen Bildschirm aufgelötet – mit der Folge, dass das Smartphone das Ersatz- für das Originalteil hält. „Hier sind wir aber schon in einem Grenzbereich unterwegs“, sagt Kaden. Denn der Aufwand sei groß, und wer weiß, was die Kalifornier sich als Nächstes ausdenken, um den Ostdeutschen Reparaturen zu erschweren. Mit dem Umdenken lassen sich die Strategen in Cupertino echt Zeit. ---

ist ein zentrales Element der von der EU angestrebten Kreislaufwirtschaft. Im Frühjahr 2022 forderte das EU-Parlament die EU-Kommission auf, ein Gesetz zu entwerfen, damit Geräte wie Wasch- und Spülmaschinen, Trockner, Fernseher, Tablets und Smartphones künftig so konstruiert werden, dass jeder und jede sie sicher und einfach reparieren kann. Dafür brauche es Zugang zu Ersatzteilen. Außerdem sollen Hersteller Anleitungen bereitstellen, wie Geräte repariert werden können. Reparaturen sollen insgesamt billiger werden. Denn die hohen Kosten schrecken oft von Reparaturen ab.

Ende März veröffentlichte die EU-Kommission ihren Entwurf. Bei Reparatur-Initiativen und Verbraucherschützern sorgte er für Enttäuschung. Von den Forderungen des Parlaments sei nicht viel übrig geblieben, hieß es. Denn Hersteller sollen nur dann zur Reparatur verpflichtet werden, wenn das Gerät innerhalb der ersten zwei Jahre kaputtgeht – und wenn die Reparatur nicht teurer ist als der Austausch. Wenn der Entwurf nicht verändert werde, so die Kritikerinnen und Kritiker, könnten Hersteller ihr Reparatur-Monopol ausbauen und den Preis einer Reparatur so hoch ansetzen, dass sie sich nicht lohne.