Jobs für alle

• Wer durch die Straßen von Yonkers läuft, mag mit vielem rechnen, aber nicht damit, hier ein aufsehenerregendes Unternehmen zu entdecken. Die Stadt, nur wenige Kilometer von New York City entfernt, wirkt abgekämpft. Alte Stromkabel hängen zwischen Holzpfeilern durch. Den Straßenrand säumen verwaiste Baustellen und Lager. Mit jedem Atemzug meint man einen Hauch von Marihuana aufzunehmen, den selbst der Wind vom Hudson River nicht vertreiben kann.

Yonkers liegt in Westchester County, der zweitreichsten Gemeinde im US-Bundesstaat New York. Dort wohnen Banker und Hedgefonds-Milliardäre, wohlhabende Ärzte und Politiker, die ihr Geld in Manhattan verdienen, aber lieber Upstate wohnen. Yonkers, vor allem der Südwesten der Stadt, ist der soziale Brennpunkt von Westchester County: Knapp zwei Drittel aller Haushalte können sich die Lebenshaltungskosten nicht leisten. Rund die Hälfte aller Obdachlosen, die die Gemeinde zählt, leben hier.

Am Rande der Stadt liegt die Greyston Bakery, die außen wie innen sehr zweckmäßig gehalten ist. Das Besondere ist ihre Einstellungs-Praxis, mit der sie für Aufsehen sorgt: Es geht nicht um Qualifikation, Alter oder Quote, sondern strikt nach Warteliste. Egal ob vorbestraft, obdachlos oder mit Lücken im Lebenslauf: Hier bekommt jeder einen Job.

In der Bäckerei arbeiten Menschen mit psychischen Problemen oder Suchterkrankungen, andere sind kürzlich erst eingewandert und sprechen nur Spanisch. Sie alle sind zwischen 19 und 65 Jahre alt, die meisten von ihnen Männer.

Was viele Arbeitgeber abschreckt, gehört hier zum Erfolgsrezept. „Open Hiring“ nennt sich das Konzept, das weder besondere Kenntnisse noch ein Vorstellungsgespräch voraussetzt. „In den USA ist es für viele Menschen schwierig, eine Beschäftigung zu finden, weil sie eine kriminelle Vergangenheit oder nicht mal einen Wohnsitz haben“, sagt Kevin McGahren, der Chef der Bäckerei. Er ist in Yonkers aufgewachsen und kennt die Probleme der Stadt. „Wir wollen diesen Leuten Jobs geben und ihr Potenzial freisetzen.“

Der Betrieb beschäftigt mittlerweile 117 Menschen, 82 von ihnen arbeiten in der Bäckerei. Nudelholz und Kuchenformen sucht man hier allerdings vergebens: Greyston ist eine industrielle Großbäckerei, spezialisiert auf Brownies. Die Fertigungshalle, mit 2000 Quadratmetern so groß wie ein Supermarkt, ist eine automatisierte Lebensmittelfabrik. Fließbänder durchziehen den Raum, auf ihnen rattern Backbleche, im Hintergrund quirlen Mixer.

Einer, der hier eine Chance bekommen hat, ist Alexander Crooks. Der 31-Jährige ist vorbestraft, fünf Jahre saß er wegen Drogenhandels und Waffenbesitzes im Gefängnis. Danach suchte er einen Job. „Ich habe jeden Tag zehn bis fünfzehn Bewerbungen geschrieben. Nicht mal Lieferdienste wie Uber Eats oder Doordash wollten mich haben“, sagt er. „Es ist verrückt, wenn du merkst, dass du nicht mal mehr die einfachsten Jobs bekommst.“

Crooks hatte eine harte Kindheit, so wie viele seiner Kollegen: die Mutter noch minderjährig, als er geboren wurde, der Vater irgendwann abgehauen. Schon früh sei er auf sich selbst gestellt gewesen. „In dieser Stadt erklärt dir keiner, wie es läuft.“

Mit 25 Jahren habe er „falsche Entscheidungen“ getroffen, die sein ganzes Leben verändert hätten. Er habe Zeit verloren und Freunde, beides werde er nicht zurückbekommen. „Ich wollte Profi-Footballer werden“, sagt Crooks und starrt auf den Boden. „Jetzt bin ich hier.“