Zehn-Tage-Woche statt Peter-Pan-Prinzip

Peter Weibel, 78, Künstler, Kurator, Kunst- und Medientheoretiker, hat einen ungewöhnlichen Vorschlag, wie wir mehr Lebenszeit gewinnen können.






Ewig jung bleiben bis ins hohe Alter: Für Peter Weibel ist das nicht erstrebenswert. Er selbst hat einen Großteil seines Lebens am Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe verbracht. Die Unordnung, die er dort in mehreren Räumen verbreitet hat, ist legendär.

• Gemessen an den Milliarden Jahren des Universums, ist der Timeslot des menschlichen Lebens lächerlich. Insofern ist der Wunsch nach einer längeren Lebenszeit verständlich, und das Thema begleitet die Menschen als Methusalem-Mythos schon lange.

Der große irische Dramatiker Bernard Shaw hat im Vorwort zu seinem Theaterstück „Back to Methuselah“ (1921) geschrieben: „Wenn aus passenden Gründen der Mensch heute die Dauer seines Lebens auf siebzig Jahre festsetzt, kann er sie ebensogut auf dreihundert oder dreitausend festsetzen.“ Damit meinte er: Was der Mensch will, schafft er. Und wenn er 300 Jahre lebte, könnte er dank seiner Reife die Aufgaben, vor die uns die moderne Zivilisation stellt, lösen.

Für mich ist das ein unangenehmer Gedanke. Dann würden nämlich nicht nur große Mathematiker und Philosophen noch leben, sondern auch gewissenlose Schurken, brutale Päpste und mörderische Monarchen. Es wäre zweifelhaft, ob all die notwendigen sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen überhaupt gegen den Widerstand der Alten hätten stattfinden können.

Paradoxerweise wollen die Menschen nicht nur alt werden, sondern dabei auch noch jung bleiben. Sie möchten als junge Menschen möglichst lange leben. Nicht das Alter ist der Feind, sondern das damit einhergehende körperliche Gebrechen. Ewig jung zu bleiben wird Peter-Pan-Prinzip genannt, das zum Beispiel von Michael Jackson verkörpert wurde. Im kalifornischen Weltbild wird der Mensch ohnehin bald unsterblich sein. Der umstrittene amerikanische Arzt David B. Agus verheißt in seinen Bestsellern „The End of Illness“ (2012) und „The Lucky Years“ (2016) bereits ewige Gesundheit.

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Wer 100 Jahre alt werden will, will gesund mehr Lebenszeit genießen. Um das zu erreichen, schlage ich eine Neuordnung der Gesellschaft vor, die sich auf die Kalenderreform der Französischen Revolution beruft. Das heißt auf eine Zehn-Tage-Woche. Ich würde aber einen Teil des Revolutionskalenders ändern, der ursprünglich nur alle zehn Tage einen Ruhetag vorsah. Mein Vorschlag wäre: fünf Tage Arbeit und fünf Tage frei. Damit würden die Menschen, deren Leben bisher zu einem Großteil aus Schlaf und Arbeit besteht, mehr Lebenszeit gewinnen, als wenn sie 100 Jahre alt würden. Vor allem qualitative Lebenszeit.

Lebenszeit erhöhen – nicht durch Verlängerung des Alters, sondern durch Verkürzung der Arbeitszeit, innerhalb einer neu geschaffenen Zehn-Tage-Woche, die einer demokratischen Gesellschaftsordnung entspricht. ---

Peter Weibel ist kurz nach der Veröffentlichung dieses Texts am 1. März in Karlsruhe verstorben.