Yes, I scan!

In immer mehr Geschäften müssen Kundinnen und Kunden selbst aktiv werden – oder können alles der Technik überlassen. Unser Autor hat getestet, wie gut das funktioniert.





• Der Rewe bei mir an der Ecke ist jetzt vollautomatisch und heißt Pick & Go. Man geht rein, scannt seinen QR-Code, packt den Rucksack voll und geht wieder raus. Keine Kasse, kein weiterer Scanner, nichts.

Theoretisch.

In der Praxis kommt zuerst Herr Weber, ein sympathischer junger Mann. Er ist der stellvertretende Filialleiter und macht die Alterskontrolle. Unter 18 darf man hier nicht rein. Wahrscheinlich wegen des Kühlregals voller Bier, Wein und Schnaps kurz vor dem Ausgang.

Aber so weit bin ich noch nicht. Es ist mein erster Besuch bei Rewe Pick & Go. Viel ist gerade nicht los. Herr Weber sagt, mittags sei es meistens richtig voll. Da kaufen sich die Leute aus den Büros, den Galerien des Museumsviertels und von den Universitäten in der Nachbarschaft ihre Snacks.

1 Einchecken

Der Laden hat 300 Quadratmeter, 4000 Produkte, mehr als 400 Kameras und elf Beschäftigte. Drei davon stehen mit Herrn Weber an einem kleinen Tisch im Eingangsbereich herum und erklären, wie alles funktioniert: Pick & Go-App auf das Smartphone laden, Konto anlegen, Bezahlmethode wählen (Kreditkarte, Apple Pay, Google Pay, Paypal). Herr Weber schaut mir über die Schulter. Läuft! Mein Handy erzeugt einen QR-Code. Den halte ich vor den Scanner, und schon bin ich drin.

Ziemlich cooler Laden: Decke und Wände mattschwarz, schönes Licht auf den Produkten in den Regalen, viel Bio, viel vegan – München-Maxvorstadt halt. Ich packe ein wenig Gemüse, Brot, eine Flasche Grauburgunder, eine Tiefkühlpizza und ein paar andere Lebensmittel in den Rucksack – und gehe. Einfach so. Niemand, der irgendetwas von mir will. Niemand, der mich aufhält. Komisches Gefühl. Ich komme mir vor wie ein Ladendieb.

Zwei Minuten später ist das komische Gefühl weg. Mein Handy vibriert, die Rechnung ist da: 32,12 Euro. Wie hat Rewe das hingekriegt?

Andreas Wegner aus der Kölner Rewe-Zentrale klärt mich auf: Gleich beim Check-in haben mich ein paar Kameras ins Visier genommen. Nein, Gesichtserkennung machen die nicht in Deutschland, Datenschutz. Aber sie scannen meine Skelettmerkmale: wie groß ich bin, wie lang meine Arme sind, wie ich gehe. Sei genauso gut wie ein Fingerabdruck, sagt Wegner. „Es gab noch nie Probleme damit.“ Bei einem Test mussten sich eineiige Zwillinge umarmen und auf dem Boden wälzen, und trotzdem konnten die Kameras und die dahintergeschalteten Rechner die beiden auseinanderhalten. „Mein edge case“, sagt Wegner, „war der Karneval.“ Alle in Kostümen und angeschickert. Aber die Computer im Pick & Go-Markt blieben nüchtern und hielten die Jecken sauber auseinander.

Ich habe es meinem Rewe leicht gemacht: kein Kostüm, kein Zwilling, keine Bodenakrobatik. Ich, ganz allein, umgeben von mehr als 400 Kameras und Tausenden von Gewichtssensoren in den Regalen, die wiegen, was ich herausnehme oder wieder zurücklege. Da kann eigentlich nichts schiefgehen. Es ist die totale Überwachung.

Aber sie macht das Einkaufen schnell. Neulich war ich noch bei meinem Netto. Der hat vor ein paar Monaten mit den alten Kassen auch das dazugehörige Personal ausgetauscht. Jetzt sitzt eine einzige neue Kassiererin an der letzten normalen Kasse, und wer da nicht Schlange stehen will, geht an eine der sechs nagelneuen Self-Check-Out-Geräte (SCO).

Davon gibt es in Deutschland schon Tausende. Sie kosten 16 000 bis 30 000 Euro, also etwa so viel wie normale Supermarktkassen mit Vorlaufbändern, sagt Frank Horst von der SCO-Initiative des Einzelhandelsinstituts in Köln. Dafür muss man nie wieder – womöglich vergeblich – nach jemandem suchen, der kassiert. Das erledigen dann ja die Kundinnen und Kunden. Gratis. Außerdem kann man sechs SCO-Terminals auf den Platz von zwei traditionellen Kassen mit Menschen stellen und mehr Leute durchschleusen. Die Produktivität (Kundendurchsatz pro Stunde) steigt nach Berechnungen des EHI Retail Instituts um 40 Prozent.

2 Durchleuchtet werden

Ich bin mittlerweile ein ziemlich erfahrener Self-Scanner. Artikel raus aus dem Einkaufswägelchen, am Scanner vorbeiziehen, auf den Piep warten, in die Einkaufstasche stecken. Gute Aldi-Kassierer scannen angeblich 55 Artikel pro Minute. Ich brauche etwa fünf Minuten, wenn kein Wein dabei ist. Wenn Wein dabei ist, dauert es eine Minute länger. Dann fordert mich das Display zu einer Alterskontrolle auf, und ich rufe zur einzigen menschlichen Kassiererin hinüber: „Alterskontrolle.“ Sie guckt, in meinem Fall nur kurz, und drückt ohne weitere Rückfragen einen Knopf an ihrer Kasse, dann kann ich mit EC- oder Kreditkarte bezahlen. Ist besser als an der Kasse anzustehen, aber Steinzeit im Vergleich zu Pick & Go.

Bei Pick & Go scanne ich nichts und stoppe nicht am Ausgang, ich verliere keine Zeit. Das ist komfortabel. Aber in der Rewe-Cloud sind jetzt Tausende Bilder von mir, das Gesicht verpixelt, alles andere absolut klar: Skelett, Einkaufszettel, Verhalten vor dem Regal. Wo bin ich unsicher? Was stelle ich wieder zurück? Neulich habe ich gelesen, dass mich die Algorithmen mithilfe von künstlicher Intelligenz schon nach 100 Sekunden anhand meines Verhaltens im Laden mit 94-prozentiger Sicherheit identifizieren könnten, wenn sie dürften. Jedes Mal, wenn ich dort einkaufe, wissen sie mehr über mich.

Mich stört das nicht. Wie 64,2 Prozent aller Kunden ärgert es mich im Supermarkt am meisten, wenn ich in der Kassen-Schlange anstehen muss. Das Check-out, heißt es in der »Lebensmittelzeitung«, sei „eine potenzielle Störquelle der Customer Journey“. Alles, was Störungen beim Check-out verhindert, finde ich gut. Ich gehe ja nicht in die Geschäfte, um dort Zeit zu verbringen, sondern weil ich etwas erledigen will. Und zwar so flott wie möglich.

Was den Datenschutz betrifft, bin ich hart im Nehmen. Ich komme vom Land. Unser Metzger und seine Frau konnten jeden, der ihren Laden betrat, innerhalb von einer Sekunde nicht nur zu 94, sondern zu 100 Prozent identifizieren, und alle Informationen über mich (auch sensible) hatte die Frau des Metzgers für immer und ewig in ihrem Gedächtnis gespeichert. Im Vergleich dazu hat Rewe keine Ahnung von mir.

In den USA ist das Start-up Zippin Marktführer bei der Einrichtung von Geschäften ohne Kassen. Der Gründer Krishna Motukuri wurde von seiner Frau losgeschickt, um Bio-Milch für das Baby zu besorgen. In seinem Lieblingsladen war die Schlange so lang, dass er schnell nebenan eine Tüte Billigmilch besorgte. Das kam zu Hause nicht gut an, und Motukuri fand, dass es einen besseren Weg für die täglichen Besorgungen geben müsse: einen Laden ohne Kassen und Schlangen. Heute existieren schon 89 Shops mit Zippin-Ausstattung.

Der Firma zufolge wurden 10 Millionen Kundinnen und Kunden so 229 000 Stunden Wartezeit in den Schlangen vor der Kasse erspart. Die Geschäfte machten bis zu 50 Prozent mehr Umsatz, und die Lohnkosten sanken um 20 Prozent. Die Daten werden auf der Cloud-Computing-Plattform Azure von Microsoft verarbeitet.

Der kassenlose Rewe-Markt in München nutzt Technik der israelischen Firma Trigo Vision. Über die Kosten der Software, der vielen Kameras und Sensoren will Rewe nicht sprechen. Frank Horst von der SCO-Initiative schätzt, dass es eine hohe sechsstellige Summe ist, die zu den Einrichtungskosten eines Supermarktes von 755 Euro pro Quadratmeter addiert werden muss. Das macht diesen Rewe etwa viermal so teuer wie eine normale Filiale. Ob und wann sich das amortisiert? Auch darüber will das Unternehmen nicht sprechen. Ist ja ein Pilot-Projekt und muss kein Geld verdienen, sondern nur zeigen, wo es in Zukunft hingeht.

Bisher gibt es nur etwa 40 Just- Walk-Out-Läden (JWO) in Deutschland einschließlich ein paar kleiner vollautomatischer Tante-Emma-Läden in der Provinz. Die meisten von ihnen haben aber noch eine traditionelle Kasse. Der Münchener Rewe ist der einzige pure JWO-Markt.

Weltweit ist eindeutig Amazon Marktführer mit rund 20 Amazon-Go-Läden in den USA und 20 in Großbritannien unter dem Namen Amazon-Fresh. Das Unternehmen hat im Dezember 2016 auch den ersten JWO-Laden überhaupt eröffnet: erst für die Mitarbeiter in Seattle, zwei Jahre später dann für alle.

Auch ganz gewöhnliche Selbstscanner-Kassen sind bei uns noch die Ausnahme. In Großbritannien ist jede 15. Kasse eine, in Deutschland nur jede 158ste. Das liegt daran, dass die Deutschen sehr am Bargeld hängen, und SCO-Terminals mit Bargeldannahme sind so teuer, dass sie sich nicht lohnen. Selbstscanner-Geräte mögen lieber Kreditkarten. Aber nur ein Drittel aller Kundinnen und Kunden ist bereit, bargeldlos oder an Automaten zu bezahlen.

3 Auschecken

Vermutlich bin ich der Shopper-Typ „aspirational Tech-Fan“ aus der Nielsen-Studie „International Grocery Shopper and Technology Survey“, ein Early-Adopter, der hemmungslos alles ausprobieren will. Das ist ganz klar eine Minderheit. Zwar haben 98 Prozent aller Deutschen ein Smartphone, aber nur ein Prozent bezahlt damit wie ich beim Einkaufen. Die meisten trauen der Sache nicht. Sie sind als „hesitant Potentials“ technisch versiert, „legen aber hohen Wert auf Privatsphäre und Datenschutz“. Oder noch schlimmer: Sie sind „sensible Socializers“ mit einer „gewissen Vorliebe für menschliche Interaktion“.

Für solche Leute ist Pick & Go oder Just Walk Out, wie es international heißt, natürlich nichts. Für mich schon. Ich finde Selbermachen grundsätzlich gut. Ich fahre selbst Auto und tanke selbst, nicht nur für mich. Neulich wollte ich ein Carsharing-Auto von Miles nach einer Drei-Kilometer-Fahrt zum Bahnhof abstellen, wurde von der App aber in strenger Form darauf hingewiesen, dass der Tank fast leer sei und von mir gefüllt werden müsse, sonst sei der Vorgang nicht abgeschlossen. Brav hetzte ich zur nächsten Tankstelle, füllte zehn Liter ein und erreichte gerade noch meinen Zug. Vermutlich werde ich die Fahrzeuge bald auch noch selbst reinigen müssen, so schmutzig, wie sie neuerdings oft sind.

Auch bei der Deutschen Bahn bin ich seit ein paar Jahren ehrenamtlicher Mitarbeiter. Ich buche meine Fahrten im DB-Navigator und checke eigenständig per Comfort-Check-in ein, sofern das System nicht abgestürzt ist. Von mir aus braucht es keine Schaffner mehr.

Ikea hat übrigens die meisten SCO-Terminals in Deutschland, und das finde ich logisch. Wer seine Möbel selbst aus dem Regal wuchtet, durch die Hallen fährt, nach Hause transportiert und dort aufbaut, soll ruhig auch bezahlen, ohne dabei irgendwelche Ikea-Mitarbeiter zu behelligen. 40 Prozent aller Kunden machen das so.

Aber irgendwann ist sogar für mich Schluss. Meine Steuererklärung mache ich noch nicht selbst. Dafür habe ich einen Steuerberater. Der forderte mich vor zwei Jahren dazu auf, aus Gründen der Transparenz für das Finanzamt ein Zweitkonto für Privatausgaben einzurichten. Damit das vom Geschäftlichen sauber getrennt sei. Für seine Buchhaltung sei es zu viel Arbeit, das jeden Monat auseinanderzudividieren. Bis dahin hatte ich gedacht, dass ich ihn genau dafür bezahle. Aber anscheinend hatte ich mich getäuscht.

Ich suchte also eine zweite Bank für das zweite Konto. Die Genossenschaftsbank, bei der ich seit vielen Jahren aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen Genosse bin, lud mich sehr freundlich zu einem persönlichen Vorsprechen ein. Das Gespräch dauerte fast eine Stunde. Dann wollten die Leute von der Genossenschaftsbank sehr viele Unterlagen, sehr viele Gebühren und ein jährliches Feedback-Gespräch. Ich sagte: „Aber ich will doch nur ein Konto, keinen Dispo, keine Überziehung, keine Beratung.“ Das sei leider nicht möglich, hieß es. Als Genosse sei eine persönliche Betreuung kein Anrecht, sondern eine Pflicht.

Jetzt bin ich Kunde bei einer spanischen Online-Bank. Der Anmeldeprozess erfolgte in einer Art Zoom-Konferenz, in der ich meinen Personalausweis in die Kamera halten musste. Es dauerte zehn Minuten. Danach kamen mein Online-Zugang und meine Kreditkarte per Post – und bisher wollte auch niemand mit mir reden. Warum auch, ich mache ja alles selbst: Ich fülle das neue Konto online auf, gebe das Geld online wieder aus und verplempere weder die Zeit der Bankangestellten noch meine.

4 Plaudern

Bei Burger King läuft es jetzt auch besser. Die haben überall Bestellautomaten, damit man nicht minutenlang am Tresen überlegt, was man eigentlich will, während die Schlange hinter einem immer länger wird und man sich dann nicht traut, einen Roasted Onion Lover Plant-based Double Burger zu bestellen, weil man nicht weiß, wie man sich den langen Namen merken und auch noch korrekt aussprechen soll. Am Automaten klickt man nur auf das Bild. Das macht Bestellungen einfacher, steigert den Umsatz und sorgt dafür, dass man den Laden schneller wieder verlässt, um Platz zu machen für neue Kunden. Das Motto lautet nicht: Mach’s dir gemütlich, sondern bitte zahlen – und tschüs.

Der Jumbo-Supermarkt im niederländischen Vlijmen macht es genau umgekehrt. Er hat Plauderkassen eingerichtet für die zehn Prozent aller Kundinnen und Kunden, die sich oft einsam fühlen. Wer sich an der „Kletskassa“ anstellt, kann mit der Kassiererin quatschen, so lange er oder sie will. Und danach mit Bargeld bezahlen. Anscheinend keine schlechte Idee. Bei der Kundschaft kommt sie jedenfalls so gut an, dass Jumbo in weiteren 30 bis 40 Märkten Plauderkassen einrichten will. ---

Wie bei uns bezahlt wird
Zahl der Einzelhandelsgeschäfte in Deutschland …

… insgesamt 320 000
… mit traditionellen Kassen 317 144
… mit Self-Scanner-Kassen 1687
… mit Scanner-App-Technik  885
…, die vollautomatisiert sind (geschätzt) 40

 

Anteil der Kunden, die Self-Scanner nutzen, in Prozent 7,3
Anteil der Kunden, die Self-Scanner per Smartphone nutzen, in Prozent 0,67

Quelle: Statista, EHI Retail Institute, SCOInitiative

 

Erfindung der Scanner-Kasse
1977 wurde der Strichcode mit der sogenannten European Article Number eingeführt. Die Gewürzmischung der Firma Wichartz aus Wuppertal trug als erste deutsche Ware den Code. Im selben Jahr installierte das Einzelhandelsunternehmen Carl Doderer in Augsburg die erste Scannerkasse. Bis dahin mussten die Preise für jedes Produkt per Hand eingetippt werden. 1979 gab es neun Scannerkassen in Deutschland, 1982 waren es 66, 1985 schon 719. Aldi Süd führte Scannerkassen im Jahr 2000 ein, Aldi Nord 2003. Bis dahin tippten die Kassierer die Preise schneller ein, als die Scanner sie erfassen konnten. Heute sind die Geräte viel schneller und werden flächendeckend eingesetzt.

Self-Check-Out-Konzepte

Stationäres Self-Check-Out (SCO): Kundinnen und Kunden scannen ihren Einkauf selbst an einer Kasse und bezahlen bargeldlos.

Scan-Pay-Go (SPG): Wer einkauft, scannt die Artikel entweder mit einem Leihgerät des Geschäftes oder mit dem eigenen Smartphone. Bezahlt wird an der Kasse, ohne die Artikel aus dem Einkaufswagen nehmen zu müssen.

Just Walk Out (JWO): Kameras und Sensoren ermitteln die von den Kunden eingepackte Ware. Beim Verlassen des Geschäftes wird der entsprechende Betrag automatisch abgebucht.