Was Wirtschaft treibt

Ich glaub’, ich steh’ im Wald

Privatpersonen, Firmen – alle spenden Bäume. Für die CO2-Bilanz. Aber hilft das wirklich?





• Neuerdings bin ich Waldbesitzer. Meine Bäume stehen überall auf der Welt. Von den meisten weiß ich gar nicht so genau, wo. „Auf der Südhalbkugel“, sagt Ecosia. Die Suchmaschine pflanzt jedes Mal einen Baum, wenn ich 50 Suchanfragen gestellt habe. Das schaffe ich locker an einem Tag. Irgendwo in Afrika, Asien oder Südamerika steht dank mir vermutlich schon ein kleiner Forst und bindet CO2. Einen Baum habe ich auf Haiti, einen in Nepal, einen in Mosambik. Die hat die Online-Plattform für gebrauchte Elektronik, Refurbed, für mich dort gepflanzt, als mein Sohn ein generalüberholtes iPhone 11 bestellte. Und einen Baum habe ich zum Valentinstag über Planet Tree verschenkt. Für zehn Euro. Er steht in Deutschland. Planet Tree hat mir die Koordinaten geschickt: N50°06´00.8´´, E9°04´06.2´´. Stadtwald Alzenau im Nordwesten Bayerns. „Hier haben wir Ihren Baum gepflanzt.“ Den schaue ich mir mal an.

1. Tote Bäume

Bernd Handlbichler ist der Oberförster von Alzenau und Herr über 2700 Hektar Wald, einer der größten Kommunalforsten in Bayern. Jetzt steht er mit neon-orangefarbener Schutzjacke und dornenfester Arbeitshose im Forstrevier Mühlmark, einem Waldstück im Norden der Gemeinde. Neben ihm stehen Leslie Schnee und dessen Mutter Kathrin von Planet Tree. Alle machen betretene Gesichter. „Der Baum ist noch gar nicht gepflanzt“, sagt Leslie Schnee.

Das ist schade, denn Handlbichler könnte neue Bäume gut gebrauchen. Seinem Wald geht es schlecht. Erst schlug das Sturmtief Bernd 2019 eine Schneise der Zerstörung durch den Forst. Etwa jeder zehnte Baum im Stadtwald von Alzenau war betroffen. „Das war Weltuntergang“, sagt Handlbichler. Im Revier Mühlmark hat kaum ein erwachsener Baum überlebt. Die invasive Spätblühende Traubenkirsche aus Nordamerika drohte die Brache zu überwuchern. In den Augen des Försters minderwertiges Zeug. Er pflanzte deshalb so schnell er konnte bewährte Hölzer nach: Stieleichen, Roteichen, Hainbuchen. 100 000 Bäumchen. Zwei Euro pro Stück. Aber dann kam der Trockensommer 2022, und die Setzlinge starben. Im Gegensatz zur Traubenkirsche, die mit dem Klimawandel gut zurechtkommt. In der Mühlmark stehen jetzt überall kniehohe, armselig vertrocknete Bäumchen zwischen der prächtig gedeihenden Traubenkirsche mit ihren lanzettenförmigen und rot leuchtenden Blättern.

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Auf der Suche nach dem versprochenen Baum (von rechts): Förster Bernd Handlbichler, Planet-Tree-Gründer Leslie Schnee und Mutter Kathrin Schnee. 

Mehr Bäume als Menschen

Waldfläche weltweit, in Hektar ... 4000 Millionen
Waldfläche Deutschland, in Hektar ... 11 Millionen
Zahl der Bäume, weltweit ... 3000 Milliarden
Zahl der Bäume, in Deutschland ... 90 Milliarden
Zahl der Bäume pro Mensch, weltweit ... 375
Zahl der Bäume pro Mensch, in Deutschland ... 1067
Zahl der Bäume pro Hektar, weltweit ... 750
Zahl der Bäume pro Hektar, in Deutschland ... 8181

Was kostet ein Baum

Kosten pro Setzling in Afrika ... 0,05 bis 0,16 Euro
Kosten pro Setzling in Deutschland ... 2 Euro
Kosten pro Straßenbaum in Köln ... 1450 Euro
Kosten pro Straßenbaum in Berlin ... 2500 Euro

Für Handlbichler fängt damit alles wieder von vorn an. 70.000 Euro wendete er 2022 auf, um die Spätblühende Traubenkirsche zu eliminieren und Platz zu schaffen für seine deutschen Lieblingsbäume. Und die lässt er sich jetzt gern spenden. 25 Setzlinge hat der lokale Rotary-Club „zur Reduktion des Klimawandels“ beigesteuert und dafür extra ein goldfarbenes Schild an den Zaun gegen Wildverbiss getackert, den das Forstamt rund um das Areal gezogen hat. Womöglich war das Schild teurer als die Setzlinge. Hunderte von weiteren Bäumchen kommen von Organisationen wie Plant for the Planet oder Planet Tree.

Plant for the Planet ist die gemeinnützige Stiftung von Felix Finkbeiner aus Bayern, der sich als Kind entschloss, mit Bäumen die Welt zu retten. Sein Ziel: 1000 Milliarden Bäume pflanzen. 75 Millionen hat er in den vergangenen 15 Jahren schon geschafft. Wenn er so weitermacht, hat er sein Ziel in 199.985 Jahren erreicht. Kein Wunder, dass seine Organisation Kritiker hat.

Planet Tree ist die Firma der Familie Schnee aus Hanau. Statt einem Euro pro Baum wie Plant for the Planet verlangt sie zehn Euro pro Setzling, behauptet dafür aber auch nicht, gemeinnützig zu sein. 225.000 Bäume hat Planet Tree seit der Gründung im Jahr 2020 nach eigenen Angaben schon gepflanzt. Das entspricht einem Umsatz von 2,2 Millionen Euro. Maximal 50 Prozent der Summe geht in Pflanzprojekte, der Rest wird verwendet „für Werbung und Marketing“, sagt Leslie Schnee, „sonst funktioniert das Geschäftsmodell nicht“. Die Konkurrenz im Baumspende-Business ist nämlich groß. Weltweit mindestens 174 solcher Firmen gibt es nach einer Studie der North Carolina State University. Eine Zunahme um 288 Prozent in den vergangenen 30 Jahren.

2. Reines Gewissen

Seit Unternehmen mit Aufforstungsprojekten Zertifikate zur Verbesserung ihrer CO2-Bilanz kaufen können, boomt der Markt. Bäumchen spenden und sonst weiter wirtschaften wie gehabt, das ist attraktiv.

Weltmarktführer im Ausstellen von Emissionsgutschriften ist die Organisation Verra in Washington DC. Sie bescheinigte Firmen wie Volkswagen, Apple oder Gazprom, dass deren CO2-Ausstoß kompensiert sei. Insgesamt eine Milliarde VCUs (Verified Carbon Unit) hat Verra seit der Gründung 2007 ausgestellt. Eine VCU erlaubt es den Zertifikatkäufern, eine Tonne CO2 in die Luft zu blasen und trotzdem als klimaneutral zu gelten. Vielleicht ist das ein wenig voreilig. »Die Zeit« und der britische »Guardian« behaupten unter Berufung auf einen US-Ökologen namens Elias Ayrey, dass bis zu 90 Prozent der Ablasspapiere wertlos seien, weil Verra die CO2-Speicherung der zertifizierten Wälder schamlos übertreibe*. Verra dementiert diesen Vorwurf. Einige Unternehmen wie die deutsche Drogeriemarktkette Rossmann haben das Label „klimaneutral“ aber vorsichtshalber gestrichen.

Hello Fresh nicht. Die Kochbox-Lieferfirma kompensiert seit 2020 Emissionen aus internen Betriebsabläufen und den Büros sowie alle Emissionen, die durch die Auslieferung der Fresspakete und durch Geschäftsreisen entstehen. 2020 waren das 91.447 Tonnen CO2, 2021 schon 130.908 Tonnen. Kostet pro Jahr eine sechsstellige Summe, sagt Martin Becker von Hello Fresh. Genauer will er das nicht beziffern, weil der Preis pro Tonne CO2 schwanke, je nach Art des Aufforstungsprojektes, Zeitpunkt und Nachfrage. In den USA beauftragt Hello Fresh das kalifornische Unternehmen Terrapass mit dem Ausgleich, im Rest der Welt das Berliner Unternehmen Planetly, das inzwischen zur US-Software-Firma OneTrust gehört. Hello-Fresh-Pflanzungen gibt es demnach in der Schweiz, in Peru und in Kenia.

Auch Privatpersonen können, so das Versprechen, ihre Umweltbilanzen durch Bäume verbessern. Die Firma Impact Hero aus Berlin bietet über ihre Growmytree-Plattform ein Paket von unter anderem 440 Bäumen an und verspricht: „Du neutralisierst dauerhaft circa 100 Prozent deines jährlichen CO2-Ausstoßes.“ Rund zehn Tonnen CO2 absorbieren die Bäume angeblich pro Jahr. Das Angebot ist ein Schnäppchen. Gerade mal 484 Euro kassiert Impact Hero für das Paket, 1,10 Euro pro Baum. Dafür bekommt man natürlich keine Stieleichen im Stadtwald von Alzenau, sondern irgendwelche Setzlinge in fernen Ländern, die dort ab fünf Cent im Angebot sind. Wenn alles gut läuft, wachsen aber auch die an und speichern später mal Kohlendioxid aus der Atmosphäre.

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Noch Platz nach oben: Edelkastaniensetzlinge im Stadtwald Alzenau

Das ist allerdings nicht immer der Fall. „Manche Organisationen fliegen einfach mit Drohnen über irgendein Gelände und werfen dort Samen ab“, sagt Jaron Pazi von Treedom, „von denen wachsen oft nur zwei Prozent an.“ Treedom wurde 2010 von zwei italienischen Gamern gegründet, die das Computerspiel „Farmville“ spielten und eines Tages merkten, dass sie für virtuelle Bäumchen auf ihrer Spielfarm echte 150 Dollar ausgegeben hatten. „Ist doch total verrückt“, sagte Tommaso Speroni damals zu Federico Garcea, und der nickte. Dann hatten die beiden eine Idee: „Wenn Hunderttausende Gamer bereit sind, Geld für virtuelle Bäumchen auszugeben, dann können die das auch für echte tun. Wir müssen das nur so einfach machen wie im Computerspiel. Mit nur einem Mausklick.“ Dank den Klicks von 30 Millionen Menschen habe Treedom weltweit schon 3,7 Millionen Bäume gepflanzt. Die meisten davon in sogenannten Agroforstsystemen für Kleinbauern. Maximal 150 Bäume, unter denen Vieh weidet. „Eine Art Streuobstwiese in exotisch“, sagt Pazi.

Seriöse Baumpflanzorganisationen überlegen sich genau, welchen Baum sie wann und wo setzen, und sie vermeiden riesige Plantagen. Außerdem garantieren sie, dass eingegangene Setzlinge ersetzt werden und der Bestand für mindestens zehn Jahre gepflegt wird. Denn erst dann beginnen Bäume, nennenswerte Mengen CO2 zu speichern.

Dieses Alter erreichen sie nicht ohne Weiteres. Kleine Bäume haben viele Feinde: Trockenheit, Schädlinge, Wildverbiss – und vor allem Menschen. „Qualitätssetzlinge werden gern geklaut“, sagt Jaron Pazi. „Trotzdem liegt unsere Verlustrate nur im unteren zweistelligen Bereich.“

Das Vorgehen von Treedom findet sogar Pierre Ibisch akzeptabel. Der Professor für Nature Conservation an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde hält grundsätzlich wenig von Anpflanzaktionen. „Der Wald kann das allein viel besser.“ Sobald Menschen gezielt pflanzen, sind alle Bäume gleich alt, sagt Ibisch. „Dann ist das eine Plantage.“

Für ihn haben vor allem die Pflanzprojekte auf der Südhalbkugel „einen öko-kolonialistischen Hautgout“, es gehe vor allem darum, unser schlechtes Gewissen zu beruhigen. Eine moderne Art des Ablasshandels.

Pierre Ibisch plädiert dafür, entweder bestehende Wälder zu retten, wie es die Organisation Oroverde vorrangig tut, oder lieber Patenschaften für erwachsene Bäume in heimischen Wäldern zu übernehmen. In Deutschland arbeitet Ibisch mit der Bonner Firma Woodify zusammen, die Waldflächen pachtet – und dort 30 Jahre lang nichts macht.

3. Emotionale Bindung

Richtig sexy ist es allerdings nicht, bestehende Bäume zu schützen. Vor allem Männer wollen selber pflanzen – Endpunkt einer archaischen Trilogie: Haus bauen, Kind zeugen, Baum pflanzen. Auf dem Land macht man das noch händisch im eigenen Garten. Die naturfernen Stadtmenschen lassen das von Greentech-Start-ups erledigen, die um ihre Kunden buhlen mit opulenten Internet-Auftritten, exotischen Pflanzgebieten, Rabatt-Codes und Welcome-Boni.

Traditionelle Organisationen wie die Tropenstiftung Oroverde mit ihren Regenwaldprojekten tun sich schwer, da mitzuhalten. Es gibt sie schon seit mehr als 30 Jahren. Pro Jahr fließen knapp vier Millionen Euro in ihre Kassen, 85 Prozent davon aus öffentlichen Zuwendungen. Etwa 25 Prozent gehen für Verwaltung und Werbung drauf, mit dem Rest werden Urwälder geschützt.

Treedom ist erst zwölf Jahre alt, macht aber jährlich bereits einen Umsatz von gut 30 Millionen Euro. Etwa ein Drittel der Bäume wird von Privatpersonen finanziert, der Rest von Unternehmen. Wie viel Prozent der 30 Millionen kommen bei den Projekten an? Da man keine gemeinnützige Organisation sei, so Jaron Pazi, weise man auch keine Verwaltungskosten aus: „Wir sind eine Greentech-Company.“

Das deutsche Büro befindet sich in einem stylischen Innovation-Hub in München. Die PR macht eine Agentur. Pazi erhält ein Managergehalt mit Erfolgsbonus, wie er es von seinen vorherigen Jobs als Fundraiser für die Universität Jerusalem oder als Corporate-Responsibility-Manager bei Sixt gewohnt war.

Pazi selbst ist Pate für 18 Treedom-Bäume, darunter der Mango-Baum W60-3R3 in Madagaskar. Pazi klickt seinen Baum an. Er sieht alle Daten und den genauen Standort: W60-3R3 wurde am 13. August 2021 an den Koordinaten S20°32`11.03`` E47°32`54,95`` gepflanzt. Der Himmel über dem Baum ist leicht bewölkt. Die Lufttemperatur beträgt 26 Grad Celsius. Bis 2033 soll der Baum jährlich bis zu 70 Kilogramm CO2 für ihn kompensieren. „Wir wollen das für unsere Kunden ganz konkret machen“, sagt Pazi. Eine emotionale Bindung zwischen Mensch und Mango. „Manche besuchen sogar ihren Baum. Die haben ja die Koordinaten.“

Hoffentlich erleben diese Menschen nicht die gleiche Enttäuschung wie ich im Alzenauer Stadtwald. Die Koordinaten sind da. Familie Schnee ist da. Der Oberförster ist da. Ich bin da. Was fehlt, ist mein Baum. Bernd Handlbichler zeigt auf einen vertrockneten Setzling. „Hier kommt Ihr Baum hin“, sagt er, „bei der nächsten Pflanzaktion. Versprochen!“

Ich werde das kontrollieren. --

Nachtrag: Kurz vor Redaktionsschluss teilt Bernd Handlbichler mit, dass mein Baum jetzt gepflanzt ist. Eine Stieleiche. Über den Berg ist sie noch nicht. Aber der Forstmann ist hoffnungsvoll: „Derzeit sind die Feuchteverhältnisse dank der Regenfälle von November bis Januar ausreichend. Bleibt zu hoffen, dass wir nicht wieder so einen Dürre-Sommer bekommen wie 2022.“

* Ein weltweites Forschungsteam hat ein Drittel der Waldschutzprojekte untersucht, die aktuell von Verra zertifiziert sind. Die Aussage, 90 Prozent der Ablasspapier seien wertlos, bezieht sich nur auf diese Zertifizierungen und nicht auf andere Papiere der Organisation für die CO2-Reduktion durch Aufforstungsprojekte. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen.

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