Zwischen Burnout und Boreout

Die Arbeitsbedingungen in Callcentern sind oft miserabel. Kann künstliche Intelligenz das ändern? Antworten von Nils Hafner, der vor 25 Jahren über Callcenter promoviert hat und den das Thema seitdem nicht mehr loslässt.





560 000 Menschen
arbeiten in Deutschland in Callcentern, davon etwa 80 Prozent in firmeneigenen und 20 Prozent für einen Dienstleister. Sie bearbeiten 25 Millionen Kundenkontakte täglich. Der Monatslohn bei Vollzeit betrug im Jahr 2021 im Mittel 2220 Euro.

 

brand eins: Sind Maschinen bald bessere Kundenbetreuer als Menschen?

Nils Hafner: Das glaube ich nicht, aber die Technik kann dafür sorgen, dass man in den Firmen mehr Zeit für besseren Service hat. 80 Prozent aller Kundenanfragen sind einfach zu beantworten, die können Chatbots sehr gut übernehmen.

Das würde auch Personal sparen. In den Callcentern klagt man darüber, keine Leute zu finden.

Kein Wunder, denn dort werden qualifizierte Menschen benötigt, die derzeit anderswo besser bezahlte Jobs finden. Callcenter-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter brauchen besondere Kompetenzen: Sie müssen mit jemandem reden, gleichzeitig ein Telefonsystem und Datenbanken bedienen. Häufig leiden sie an Burnout, weil sie wie am Fließband arbeiten. Oder an Boreout, weil sie die immer gleichen Fragen beantworten müssen.

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Servicebots sind teils noch erstaunlich schlecht. Warum kriegen so viele Firmen die Technik nicht in den Griff?

Vor einigen Jahren wurden übersteigerte Erwartungen an Chatbots geschürt. In den Unternehmen war man dann enttäuscht von dem, was die Technik konnte, und geht seitdem mit Vorsicht an das Thema heran. Dabei gibt es jetzt große Sprünge bei der maschinellen Verarbeitung natürlicher Sprache. Unternehmen sollten sich also wieder damit befassen.

Es gibt die Theorie, dass große US-Anbieter, die Callcenter mit Technik ausrüsten, kein Interesse an Automatisierung haben, weil sie bisher pro Mitarbeiter, den sie ausstatten, bezahlt werden.

Das klingt plausibel. Tatsächlich kommen von diesen Firmen keine wirklich guten Bots. Sie wollen mit ihrer Technik vor allem die Menschen produktiver machen.

Wie soll das gehen?

Die Technik kann vieles vorab klären. Es heißt dann beim Anruf nicht: „Drücken Sie die 1 für Deutsch“, sondern: „Hallo, sagen Sie uns in Ihrer Muttersprache, was Ihr Problem ist.“ Künstliche Intelligenz erkennt das Anliegen, die Sprache und anhand der Stimme auch das Alter und die Emotionen des Kunden – und verbindet diesen dann mit dem geeigneten Mitarbeiter. Außerdem kann die Maschine auch die Kundenhistorie durchsuchen und dem Beschäftigten schon mal die wichtigsten Dokumente auf dem Bildschirm anzeigen, wie beispielsweise eine kürzlich versandte Rechnung.

Wird die Technik auch genutzt, um die Belegschaft zu überwachen?

In der Tat. Man kann mittlerweile ganze Gespräche automatisiert auswerten: Wie war die Wortwahl? Wie oft wurde der Kunde unterbrochen? Wie freundlich war der Mitarbeiter?

Ist das nicht übergriffig?

Nicht unbedingt. Man darf das nie live machen und dem Mitarbeiter während des Kundengesprächs beispielsweise die Botschaft schicken: „Oh, jetzt wirst du aber unfreundlich!“ Es gibt Unternehmen, die das getan haben – das kam bei der Belegschaft nicht gut an. Generell ist es aber sinnvoll, diese Gespräche automatisiert auszuwerten, um die Arbeit und den Service zu verbessern.

Allerdings scheinen viele Firmen die Kundschaft mittels Bots lieber auf Distanz halten zu wollen.

So ist es, und das ist lausig.

Warum führt das dann nicht zu mehr Unmut auf Kundenseite und damit Druck auf die Unternehmen?

Wenn es keine Konkurrenz gibt, die es besser macht, dann hat der Kunde keine Alternative. Es kauft auch kaum jemand ein Produkt, weil der Service so gut ist. Relevanter für die Unternehmen sind daher die Kosten. Für den durchschnittlichen Manager eines Großunternehmens ist Kundenservice ein riesiger Kostenblock. Er sieht nicht die Chancen, die darin liegen.

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Welche sind das?

Unternehmen können von Kunden, die sich beschweren, lernen, was in der Firma schiefläuft. Und zwar nicht von den Standardfällen, sondern von den schwierigen. Denn sie bieten die Chance, Prozesse zu verbessern. Man sollte Kunden dafür belohnen, dass sie einen mit Problemen kontaktieren, die man noch nicht kennt. Und dann sollte man sie lösen.

Warum sind die meisten Unternehmen davon so weit entfernt?

Der Druck ist noch nicht groß genug. Die für den Kundenservice zuständigen Führungskräfte sind im Hamsterrad gefangen. Sie haben keine Zeit, die Abläufe zu verbessern, weil sie wegen der hohen Fluktuation in Callcentern immerzu neues Personal suchen müssen. Investiert wird dort kaum, eher gespart. Andererseits geben Unternehmen viel Geld aus für Umfragen oder Berater. Es wäre häufig klüger, einige Leute mehr im Callcenter anzustellen.

Sehen Sie einen Ausweg?

Die wichtigsten Hebel sind höhere Löhne und KI-basierte Technik, die Standardanfragen beantwortet. Dann würden die Dialoge zwischen Kunden und Mitarbeitern anspruchsvoller, die Jobs attraktiver, und es käme zu wertvollen neuen Erkenntnissen für die Unternehmen. Eine neue Generation Managerinnen und Manager beginnt, diese Zusammenhänge zu verstehen.

Welche technischen Lösungen helfen dabei?

In der Regel sind das KI-basierte Voice- oder Chat-Bots. Diese werden auch von sehr guten Unternehmen aus Deutschland hergestellt. Diese Unternehmen integrieren ihre Technik in bestehende Systeme, sodass im Prinzip jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter auch spezialisierte Kundenanfragen beantworten kann. Das isolierte Callcenter hat irgendwann ausgedient, es geht idealerweise in der gesamten Organisation auf.

Wie sähe das konkret aus?

Smarte Chatbots nehmen Kundenanfragen entgegen und beantworten die einfachen Fälle selbst. Bei komplizierten Problemen, die auch die Callcenter-Mitarbeiter nicht lösen können, stellen diese eine Verbindung zu den entsprechenden Fachleuten her.

Wie lange wird es noch dauern, bis es wirklich gute Chat-Bots gibt?

Nicht sehr lange, vielleicht noch drei Jahre. ---

Nils Hafner, 49,
hat in Kiel und Rostock studiert und zum Thema Qualitätsmessung im Callcenter promoviert. Er ist Professor an der Hochschule Luzern und berät Unternehmen zum Thema Customer- Experience-Management